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Zäsur bei der akademischen Weiterbildung: "Kind mit dem Bade ausgeschüttet"

Die akademische Weiterbildung, insbesondere der Bereich Masterlehrgänge an Hochschulen, erfährt in Österreich am 1. Oktober eine Zäsur. Weiterbildungsexperte Martin Stieger erklärt die Folgen für MBA und Co. Er kritisiert die neuen gesetzlichen Vorgaben in fast allen Punkten.

Am 30. September dieses Jahres endet die akademische Weiterbildung auf Masterniveau, wie sie bislang in Österreich praktiziert wurde . Die Zugänge zu den Lehrgängen werden verengt, die Abschlüsse benötigen nun deutlich mehr absolvierte Arbeitsstunden ("Workload in ECTS") und es gibt nur mehr wenige, großteils neu eingeführte Titel - zum Beispiel Mastertitel mit dem Zusatz "Continuing Education" (CE). Damit sind die Lehrgänge zur Weiterbildung kompatibel mit "normalen" Studien und können zum Doktorat führen; auch der Titeldschungel wurde damit bereinigt. Dem gegenüber stehen unter anderem Fragen des Bedarfs an nun derart umfangreichen Weiterbildungslehrgängen, international weitgehend unbekannte Titel und die verringerte Durchlässigkeit durch verstärkte Zugangsbarrieren vor allem im Masterbereich.

Martin Stieger, seit vielen Jahren Akteur und profunder Kenner der Weiterbildungslandschaft in Österreich, versteht den grundsätzlichen Reformwunsch - sieht diesen aber in der Umsetzung als verfehlt an. "Es gibt bislang 35.000 Absolvent:innen in diesem Bereich, und vor allem in Deutschland gab und gibt es Unsicherheiten, wie die erlangten Titel abgesehen von der Führbarkeit zu werten sind. Auch in Österreich führen Masterlehrgänge ja beispielsweise nicht zur A-Wertigkeit im Beamtenstatus. Diese Unschärfen haben Reaktionen aus dem Ausland ausgelöst." Was man daraus gemacht habe, stehe auf einem anderen Blatt.

MBA: Zugangsbarrieren zu Masterlehrgängen

"Ich habe die berufspraktischen Zugänge zu Masterlehrgängen immer für gut und wichtig befunden, zum Beispiel zum MBA (,Master of Business Administration', Anm.). In der Schweiz oder Großbritannien war und ist das üblich, auch in Deutschland ist das in den meisten Bundesländern möglich. Wenn jetzt der MBA nur mehr mit einem Bachelorabschluss davor möglich ist - wo ist dann der Unterschied zu einem normalen Masterstudium?" Man brauche, um die Ziele der akademischen Weiterbildung zu erreichen, keine Zugangsvoraussetzungen wie in klassischen Studien. "Berufsbildung wird in Zukunft nur mehr dahingehend berücksichtigt, dass sie bei den meisten Lehrgängen ein Zusatzerfordernis ist. Das ist nicht sinnvoll. Und das alles, um dann am Ende in den meisten Fällen einen Bachelor- oder Masterabschluss mit dem Zusatz ,CE' zu bekommen, der den Titel unattraktiver macht."

"Die Idee des Executive MBA wird vom Ministerium kunstvoll unterlaufen."
Martin Stieger
Weiterbildungsexperte

Wenn es darum ginge, den 1921 in Harvard erfundenen Abschluss "MBA" als "Marke zu schützen", mit einem Bachelorzugang, sei dies in Ordnung - dennoch wären Varianten wichtig, die auch mit Berufszugang und ohne akademischen Vorabschluss funktionieren würden. Der "Executive MBA" (EMBA) als MBA für Führungskräfte sei hier "eine gute Idee" - allerdings schränke das Gesetz den Einsatz durch Hochschulen künftig derart ein, dass es kaum Angebote geben werde. "Die Idee des Executive MBA wird vom Ministerium kunstvoll unterlaufen." Man hätte stattdessen verpflichtende Qualifikationen definieren können und sollen, entlang des Europäischen Qualifikationsrahmens, meint Stieger. "Berufspraxis sollte jedenfalls besser abgebildet werden."

Global anerkannte Titel statt Titeldschungel

Der Wegfall des Titeldschungels sei hingegen gut - an diesem seien auch viele Unis schuld, die immer wieder neue Titel erfunden hätten. Die neuen Alternativen seien allerdings nicht sinnvoll: "Man sollte sich auf die global anerkannten Titel verlassen, statt wieder neue zu erfinden. Und ergänzend Richtlinien erlassen, von Ministeriumsseite, zur Titelverwendung. Das Kind wurde mit dem Bade ausgeschüttet - das war völlig unnötig."

Die mit einem akademischen Weiterbildungsmaster künftig verbundene Promotionsmöglichkeit sieht Stieger ebenfalls kritisch. Abgesehen davon, dass Menschen in der Regel keine Weiterbildung machen, um danach ein Doktorat anzuschließen, werde es "ewig dauern, bis das auch an den Unis angekommen ist. Man erinnere sich nur an die Fachhochschulabsolvent:innen, die teils heute noch darum kämpfen, angenommen zu werden. Es gibt ja kein Recht darauf, hier von einer Uni zugelassen zu werden."

Auch an der Anhebung der sogenannten Workload in den Studien lässt Martin Stieger kein gutes Haar: In vielen Ländern, unter anderem in Großbritannien, seien Abschlüsse in verschiedenen, teils auch kleineren Umfängen, aber mit gleichen Titeln üblich und international anerkannt. "Es kommt auch nicht darauf an, was auf dem Etikett draufsteht, sondern darauf, was drin ist. Und das liegt letztlich immer an der Qualität des Anbieters." Durch mehr Arbeitsstunden würden die Studiendauern jedenfalls tendenziell verlängert - Stieger bezweifelt, dass das in der Weiterbildung sinnvoll ist.

In Summe sieht der Experte die Reform entsprechend kritisch. Der Haupteffekt der Reform sei, dass ein "Millionenmarkt" der akademischen Weiterbildung in Österreich vernichtet würde. Für die heimische Bevölkerung, aber auch für viele Menschen aus anderen Ländern. Diese würden nun stark abwandern bzw. würden nun ausländische Angebote verstärkt nach Österreich kommen - das sei in der EU auch nicht zu verhindern. "Bildung ist ein wichtiges Exportgut: In Australien erwirtschaftet dieses mehr als der Tourismus und wird wie auch in den USA in der Handelsbilanz erfasst. In Österreich wird daran offenbar nicht gedacht. Über die globale Bekanntheit der Philharmoniker in der ganzen Welt freuen sich alle. Aber wenige wissen, dass man in diesem Land der Hochkultur auch in Präsenz und Fernlehre studieren kann. Leider gibt es da kein Verständnis im Ministerium und teils auch nicht in den Hochschulen. Das ist sehr, sehr schade."