SN.AT / Panorama / Österreich

Mehr Geld für Behinderte am Arbeitsmarkt

Die Position Behinderter im Arbeitsleben soll gestärkt werden. Dafür hat die Regierung im Ministerrat am Mittwoch 36 Millionen Euro zur Verfügung gestellt. 18 weitere Millionen sollen seitens der Länder beigesteuert werden. Mit den Geldern sollen Projekte finanziert werden, die Menschen mit Behinderungen den Einstieg in den Arbeitsmarkt ermöglichen und diesen regulären Lohn und Sozialversicherung bringen.

Behindertenproteste wirken
Behindertenproteste wirken

Langfristiges Ziel ist es, Behinderten in speziellen Beschäftigungsverhältnissen ein Gehalt inklusive Sozialversicherung statt eines Taschengelds zu ermöglichen, womit sie auch selbst pensionsberechtigt werden. Die Gespräche zu einem Umstieg auch in tagesstrukturellen Einrichtungen der Länder werden weitergeführt, hieß es im Pressefoyer nach dem Ministerrat mit Sozialminister Johannes Rauch (Grüne) und ÖVP-Klubobmann August Wöginger. Arbeitsminister Martin Kocher (ÖVP) meinte dazu in einer Aussendung, man wolle rasch eine Systemumstellung, die jedoch gute Vorbereitung, die Einbindung aller Stakeholder und die Erarbeitung und Umsetzung von Pilotprojekten bedürfe.

Rund 28.000 Menschen mit Behinderungen sind derzeit in solch betreuten Werkstätten tätig. Für ihre Arbeit sind sie unfallversichert und erhalten je nach Bundesland 35 bis 100 Euro Taschengeld pro Monat - jedoch keinen eigentlichen Lohn. Eine Umstellung würde die Länder laut einer Studie rund 190 Millionen im Jahr kosten. Bis man hier vielleicht im nächsten Finanzausgleich eine Lösung finden könnte, wolle er nicht warten, begründete der Sozialminister die nunmehrige Initiative.

Daher setzt man mit den 36 Millionen einen ersten Schritt Richtung Umsetzung. Die betroffenen Personen sollen dadurch ein faires Entgelt für ihre Arbeit erhalten, sozialversicherungsrechtlich abgesichert sein und Anspruch auf eine Pension haben. Gefördert werden sollen neue oder bereits bestehende Projekte in den Ländern. Wie viele Personen künftig ein Gehalt bekommen, konnte Rauch nicht sagen. Es werde aber bei den Betroffenen eine volle Sozialversicherung und eben kein Taschengeld sondern eine Entlohnung geben.

Die ÖVP-Sprecherin für Menschen mit Behinderungen und Inklusion, Kira Grünberg, begrüßte das übergeordnete Ziel "Lohn am Arbeitsmarkt statt Taschengeld in Tagesstrukturen". Es sei "wesentlich, dass wir Menschen mit Behinderungen bestmöglich in die Gesellschaft sowie in das Arbeitsleben integrieren, um ihnen dadurch ein selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen".

Für Verena Nussbaum, SPÖ-Bereichssprecherin für Menschen mit Behinderungen, ist das zugesagte Geld nur ein "Tropfen auf dem heißen Stein". Die 36 Millionen Euro seien nicht einmal 20 Prozent dessen, was gebraucht werde, postulierte Nussbaum.

"Lohn statt Taschengeld" dürfe keine leere Ankündigung bleiben, forderte Fiona Fiedler, die NEOS-Sprecherin für Menschen mit Behinderungen. Für sie ist es "höchste Zeit, dass auch Menschen mit Behinderungen endlich gerecht entlohnt und abgesichert werden".

Patrick Berger, Leiter des Chancen Nutzen Büros im ÖGB, meinte, dass keine Weg an "angemessener Bezahlung und sozialer Absicherung behinderter Arbeitnehmer:innen" vorbeiführe. "Ganz klar ist aber, dass rasch weitere Schritte eingeleitet werden müssen."

Der Behindertenrat begrüßte die Maßnahme ausdrücklich und zeigte sich in Person von Vizepräsident Martin Ladstätter optimistisch, dass heute der Startschuss für eine wichtige Veränderung abgegeben worden sei. Seitens der Lebenshilfe sah man einen entscheidenden Meilenstein auf dem Weg zur Realisierung einer langjährigen Forderung. Verwiesen wurde auf ein Pilotprojekt in Kärnten, das bereits seit Herbst des Vorjahres laufe.

Diakonie-Direktorin Maria Katharina Moser erläuterte, dass dort kollektivvertraglich entlohnt werde und die Beschäftigten gleichzeitig nach dem Chancengleichheitsgesetz abgesichert seien. Diese Lösung solle durch die Bereitstellung von finanziellen Mitteln flächendeckend werden. Die Caritas erkannte im heutigen Beschluss einen Schritt zu einer inklusiveren Gesellschaft.

Der öffentliche Dienst könne hier eine Vorreiter-Rolle einnehmen, schrieb Verteidigungsministerin Klaudia Tanner (ÖVP) in einer Aussendung. Alleine in ihrem Ressort versähen 735 Bedienstete mit Behinderung Dienst.

Grundsätzlich gibt es drei Zielgruppen. Zunächst profitieren können Personen, die in Unternehmen tätig sind, in denen der Arbeitsplatz individuell an sie angepasst ist. Für diese Tätigkeit erhalten sie dann in Zukunft ein Entgelt und sind sozialversicherungsrechtlich abgesichert. Die Barrierefreiheit wird entweder vom Unternehmen selbst oder durch kostenlose Unterstützungsangebote des Sozialministeriumservice sichergestellt.

Weiters geht es um Menschen mit Behinderungen, die noch in Einrichtungen betreut werden oder im Rahmen einer gemeinnützigen Arbeitnehmerüberlassung tätig sind, aber in Gruppen im Rahmen von Arbeits- oder Ausbildungsverträgen am regulären Arbeitsmarkt oder etwa bei Gemeindeämtern aktiv sind. Schließlich sind noch jene Zielgruppe, die im Rahmen von Arbeits- oder Ausbildungsverträgen in der Struktur oder Organisation ihrer Einrichtung tätig sind.

Die genauen Kriterien der Richtlinie werden in den kommenden Wochen gemeinsam mit den Ländern und Selbstvertretungen von Menschen mit Behinderungen erarbeitet. Gleichzeitig werden bestehende Angebote des AMS für die Inklusion von Menschen mit Behinderungen aus tagesstrukturellen Einrichtungen am Arbeitsmarkt weiterentwickelt. Dazu zählen vor allem Eingliederungshilfen mit erhöhter Förderintensität. Von den 36 Millionen des Bundes kommen 30 aus dem Sozialministerium, sechs vom Arbeitsmarktservice. Wöginger sah im Pressefoyer einen "weiteren sozialpolitischen Meilenstein für Menschen mit Behinderungen" nach dem Ausbau der persönlichen Assistenz.

KOMMENTARE (0)