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Weichmacher im Urin Hunderter Kinder entdeckt: "So einen Stoff dürfte man nicht im Körper finden"

Eine Entdeckung deutscher Behörden schlägt Wellen: Im Urin zahlreicher Menschen, vor allem von Kindern, wurden Hinweise auf einen gesundheitsgefährdenden Weichmacher detektiert. Die wichtigsten Fragen und Antworten zu den eigentlich verbotenen Substanzen.

Die Weichmacher wurden unter anderem in Kinderspielzeug eingesetzt (Symbolbild).
Die Weichmacher wurden unter anderem in Kinderspielzeug eingesetzt (Symbolbild).

Was sind Weichmacher überhaupt?

Weichmacher oder auch Weichmachungsmittel sind Chemikalien, die wie ein Lösungsmittel wirken: Sie bringen vor allem Plastik, aber auch Gummiprodukte oder Lacke in einen gelartigen Zustand. Auf diese Weise werden Kunststoffe weicher und elastischer. Manche Weichmacher sind umwelt- und gesundheitsschädlich und deshalb verboten.

Welche Substanzen wurden gefunden?

Im Zuge der laufenden "6. Deutschen Umweltstudie zur Gesundheit" wurde in 37 Prozent der untersuchten Urinproben der Metabolit Mono-n-hexyl-Phthalat (MnHexP) gefunden. Allein in Nordrhein-Westfalen wurde MnHexP in 61 Prozent von 250 Urinproben von Kindern im Alter zwischen zwei und sechs Jahren gefunden, wie das dortige Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz per Aussendung bekannt gab. Die Konzentration bei hochbelasteten Kindern habe sich grob verzehnfacht.

Mono-n-hexyl-Phthalat ist ein Abbauprodukt des Weichmachers Di-n-hexyl-Phthalat (DnHexP), der etwa für Spielzeug oder in Kosmetika eingesetzt wurde. "So einen Stoff dürfte man nicht im Körper finden - und wir finden ihn", sagte die Toxikologin des deutschen Umweltbundesamtes, Marike Kolossa, der Deutschen Presse-Agentur. Und sie ergänzte: "Es ist ein Problem größeren Ausmaßes." Für Hans-Peter Hutter, stellvertretender Leiter der Abteilung für Umwelthygiene und Umweltmedizin am Zentrum für Public Health der MedUni Wien, ist der Fund hingegen weniger verblüffend: "Dass man wieder etwas entdeckt, vor allem eine Chemikalie aus einer Gruppe, von der es viele, viele Hunderte gibt, ist nicht etwas, das überraschend kommt", sagt er im SN-Gespräch.

Wieso sind die Substanzen potenziell gefährlich?

Di-n-hexyl-Phthalat wurde bereits 2013 in der EU als besonders besorgniserregender Stoff eingestuft; seit 2020 (Entscheid) bzw. 2023 (Umsetzung) darf DnHexP in der EU grundsätzlich nicht mehr verwendet werden. Der Metabolit sei nach Ergebnissen von Tierversuchen ein fortpflanzungsschädigender Stoff, beschrieb Kolossa. Er wirke vor allem auf die Fortpflanzungsorgane männlicher Föten im Mutterleib. Er könne aber auch für Erwachsene schädlich sein und das Risiko für Diabetes, Bluthochdruck und Fettleibigkeit erhöhen.

Das deutsche Umweltbundesamt verweist auf seiner Webseite aber explizit darauf, dass "der reine Nachweis von (Einzel-)Substanzen im Körper nicht zwangsläufig auf ein gesundheitliches Risiko hindeutet". Auch Hans-Peter Hutter beruhigt: "Es gibt sicherlich keinen Grund zur Panik." Seriös könne man lediglich festhalten, dass im Körper detektierte Chemikalien wie jene im aktuellen Fall "die Gesundheit beeinflussen könnten - mit Betonung auf könnten". Selbst wenn eine Chemikalie in einem Organismus nachgewiesen wurde, könne man nicht pauschal sagen, ob dies harmlos ist oder ob es eine Schädigung geben könnte. "Ich weiß, die Aussage ist für viele unbefriedigend", ergänzt Hutter.

Wie kamen die Weichmacher in die Körper?

Dazu kann das deutsche Umweltbundesamt nach wie vor nichts sagen: "Das ist eine richtige Detektivgeschichte. Wir suchen jetzt auf voller Ebene." Auch EU-Behörden seien eingeschaltet worden und würden eng mit dem Amt zusammenarbeiten. Zwei Vermutungen sind aber naheliegend: zum einen, dass die Substanzen über Importprodukte nach wie vor in der EU grassieren. "So was wird gerne von außen eingeschwemmt, zum Beispiel über Produkte aus dem asiatischen Raum", sagt Hans-Peter Hutter. Und zum anderen, dass die Belastung durch Produkte entsteht, die vor dem Verbot in der EU produziert und verkauft wurden. Für Hans-Peter Hutter zeigt das neuerlich, dass solche Belastungen "nicht so leicht aus der Welt zu kriegen sind"; ein weiteres Beispiel seien die PFAS, die sogenannten ewigen Chemikalien. Bereits vor 20 Jahren habe Hutter Analysen durchgeführt, bei denen er Duftstoffe im menschlichen Organismus festgestellt habe, die zuvor bereits verboten waren. Auch deshalb fordert Hutter: "Wir sollen keine Chemikalie ohne weitreichende Untersuchungen freisetzen. Denn wenn es schon draußen ist, ist es meist zu spät."

Gibt es auch in Österreich belegte Fälle?

Wie das Gesundheitsministerium auf SN-Anfrage beauskunftete, sind in Österreich "derzeit keine derartigen Fälle bekannt". Im Zuge des nationalen Kontrollplans würden regelmäßig Schwerpunktkontrollen zu Weichmachern in den Produktgruppen kosmetische Mitteln, Lebensmittelkontaktmaterialien und Spielzeug durchgeführt.