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"Das Jahr ohne Sommer" 1816: Als der Vulkan Tambora den Himmel über Salzburg verdunkelte

Das Jahr 1816 gilt als "Jahr ohne Sommer". Ernteausfälle ließen den Brotpreis um das Dreifache steigen, viele hungerten. Dabei traf die Krise ein bereits geschwächtes Salzburg.

Historikerin Monika Brunner-Gaurek vor dem Bauernhof der Familie Grimming im Freilichtmuseum Großgmain.
Historikerin Monika Brunner-Gaurek vor dem Bauernhof der Familie Grimming im Freilichtmuseum Großgmain.
Historikerin Monika Brunner-Gaurek vor dem Bauernhof der Familie Grimming im Freilichtmuseum Großgmain.
Historikerin Monika Brunner-Gaurek vor dem Bauernhof der Familie Grimming im Freilichtmuseum Großgmain.
Die Teuerungsjahre 1816/17, zeitgenössische Darstellung, überlassen vom Bauern Felber in Essing in Bayern (aus Standl/Roth/Feiler: Flachgau und Rupertiwinkel im Wandel der Zeit, 2016).
Die Teuerungsjahre 1816/17, zeitgenössische Darstellung, überlassen vom Bauern Felber in Essing in Bayern (aus Standl/Roth/Feiler: Flachgau und Rupertiwinkel im Wandel der Zeit, 2016).

Die Kühe stehen abgemagert im Stall, Schnee bedeckt die Felder, im ganzen Haus ist es bitterkalt: Die Bauersfamilie Grimming kämpfte vor knapp 200 Jahren auf dem Lärchenhof in St. Martin im Tennengebirge mit dem Überleben.

So erzählt es Monika Brunner-Gaurek, Historikerin im Freilichtmuseum in Großgmain. "Der Bauer des Lärchenhofs wurde 1816 gerade zum zweiten Mal Witwer." Die Bäuerin war wegen Mangelernährung nach der Geburt ihres Kindes gestorben. Sohn Hias und Vater Benedict mussten von da an die Arbeit auf dem Hof allein bewältigen.

Nicht nur die Grimmings erlebten 1816 einen katastrophalen Sommer. Unwetter mit Hagel, Überschwemmungen und Schnee bis in den Juni führten zu Missernten in Salzburg. Aber nicht nur hier, in ganz Mitteleuropa und Nordamerika ging 1816 als das "Jahr ohne Sommer" in die Geschichte ein.

Hier befindet sich der Tambora:

Ausgelöst wurden die klimatischen Veränderungen 12.000 Kilometer von Salzburg entfernt, auf der Insel Sumbawa im heutigen Indonesien. Im April 1815 brach dort der Vulkan Tambora aus. Tonnen von Schwefeldioxid schossen in die Atmosphäre und wanderten als Aerosolewolke langsam bis nach Europa. Die Temperaturen fielen.

Hungerkrise 1816: "Die Menschen in Salzburg waren schon verwundbar"

Damals habe noch niemand an eine Verbindung zwischen diesem Ereignis und der Hungerkrise gedacht, wie Historikerin Sabine Veits-Falk schildert: "Naturforscher versuchten Erklärungen zu finden. Doch bereits seit der Kleinen Eiszeit ab 1812 waren Gletscherschwund und ein Rückgang der Temperaturen zu beobachten." Viele Menschen hätten sich übernatürliche oder religiöse Gründe für die dunkle Wolke zurechtgelegt. Wie Quellen belegen, wurde etwa am 11. September 1816 eine Messe in der Sebastianskirche abgehalten, um für bessere Ernte und das Ende der Niederschläge zu beten.

Die Hungerkrise traf ein bereits gebeuteltes Salzburg. Infolge der Napoleonischen Kriege gab es zwischen 1800 und 1816 fünf Regierungswechsel: Vom Fürsterzbistum zur Eigenstaatlichkeit, ab 1806 kam Salzburg zu Österreich, dann zu Bayern und ab 1816 wieder zu Österreich. Dies ging mit Bedeutungsverlust, Schulden und Bevölkerungsschwund einher. Lebten im Jahr 1794 noch 145.000 Menschen im Bundesland Salzburg, waren es 1817 nur noch 134.000.

"Die Menschen waren schon verwundbar und dann kamen die Auswirkungen des Vulkanausbruchs hinzu", sagt Veits-Falk. "Hunger, Armut und die dunkle Wolke drückten auch auf das Gemüt, es herrschte depressive Stimmung." So sei es kein Zufall, dass der Pfarrer Joseph Mohr und der Komponist Franz Xaver Gruber das Lied "Stille Nacht, Heilige Nacht" in diesen Jahren schrieben. "Es ist Ausdruck einer Zeit der Entbehrungen."

Der Brotpreis stieg um das Dreifache: "Viele haben Baumrinde gegessen"

Das gehandelte Getreidevolumen auf der Salzburger Schranne war so niedrig wie nie zuvor. In der Stadt stiegen die Getreidepreise von 1815 bis 1817 um das Dreifache an. Ein Laib Brot kostete im Jänner 1816 17 Kreutzer, im Jahr 1817 45 Kreutzer. Auch Butter und andere Lebensmittel wurden teurer. Viele ersetzten das Getreide durch billigere Zutaten oder streckten das Mehl mit gemahlener Baumrinde. Siegerin der Krise war die Kartoffel: "Seit 1785 sind Erdäpfel in Salzburg bekannt, doch der Großteil stand dem Nachtschattengewächs skeptisch gegenüber. Es galt als Schweinefutter", sagt Veits-Falk. Durch die Hungerkrise habe die Kartoffel schließlich Einzug in die Speisepläne gehalten.

Erst im Frühjahr 1818, als der Brotpreis von der Stadt Salzburg gestützt wurde, normalisierten sich die Preise, auch die dunkle Aerosolewolke verzog sich. "Bis Salzburg aus seinem Dornröschenschlaf erwachte, dauerte es aber bis zur Jahrhundertmitte, bis Salzburg Kronland mit eigenem Landtag und einer Eisenbahnverbindung wurde", sagt Veits-Falk.

Bauernhof kann im Freilichtmuseum besichtigt werden

Für den Bauern Benedict Grimming kam 1816 nichts anderes in Frage, als zum dritten Mal zu heiraten. "Wer soll sonst die Arbeit am Hof verrichten und die Kinder versorgen?", sagte er zu seinem Sohn in einer nachgestellten Szene, die im Freilichtmuseum als Schatteninstallation zu sehen ist. Tatsächlich konnte Historikerin Brunner-Gaurek herausfinden, dass der Bauer nach 1816 rasch wieder geheiratet hatte.

In St. Martin starben die Menschen in dieser Zeit vor allem an Mangelernährung, Pocken und Lungenkrankheiten, wie Monika Brunner-Gaurek in den Sterbematriken recherchierte. Der Hof der Familie steht mittlerweile nicht mehr in St. Martin, sondern auf dem Museumsareal in Großgmain. "Unsere Besucher glauben oft, dass das Leben der Bauern romantisch war. Aber das ist falsch. Gerade 1816 war es eine Katastrophe."

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