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Proteste in Iran Warum die Abschaffung der Sittenpolizei ein Ablenkungsmanöver der Mullahs ist

Iran will die Sittenpolizei abschaffen. An der Wut vieler Menschen ändert das nichts – und auch nicht an den Menschenrechtsverletzungen der Theokratie. Das zeigen auch die Repressionen, die Elnaz Rekabi gerade erleidet.
Eine Analyse von Gilda Sahebi
Ali Khamenei vor Anhängern

Ali Khamenei vor Anhängern

Foto: HO/ AFP

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Das Mullah-Regime in Iran geht weiterhin brutal gegen Demonstranten vor. Amnesty International hat unlängst  von sechs Menschen berichtet, die die Todesstrafe erhalten haben. Der Grund: ihre Teilnahme an den Protesten gegen die Theokratie.

Mehr als ein Dutzend Männer und Frauen müssen demnach aktuell fürchten, bald ein Hinrichtungsurteil zu bekommen – darunter drei Minderjährige: Amin Mohammad Shokrollahi, Amir Mohammad Jafari and Arian Farzamnia. Ihnen allen wird »Krieg gegen Gott« vorgeworfen. Auch der bekannte Rapper Toomaj Salehi ist unter den Angeklagten. Er hatte noch wenige Tage vor seiner Verhaftung Musikvideos mit regimekritischen Texten produziert.

Eine Person, die dem Rapper nahesteht, weiß aus Gesprächen mit Freunden von Salehi, dass er noch im Gefängnis Widerstand leistet. »Er weigert sich, ein Zwangsgeständnis abzugeben«, erzählt die Person, die anonym bleiben will. Ein Bericht  des kanadischen Nachrichtensenders CBC vom 3. Dezember, dem Geburtstag Salehis, bestätigt das: Salehi soll aus seiner Zelle heraus Slogans gegen das Regime gerufen haben; nachdem sich andere Gefangene ihm angeschlossen hatten, soll er in Isolationshaft überführt worden sein. Zwangsgeständnisse sind für das iranische Regime zentral: Denn nur auf diesen basieren die Todesurteile der berüchtigten Revolutionsgerichte.

Anhaltende Repressionen gegen Kletterin Rekabi und ihre Familie

Das Schicksal von Salehi ist nur eines von vielen. Im Westen bekannter ist da der Fall von Elnaz Rekabi. Sie machte im Oktober Schlagzeilen. Der Grund: Bei einem Wettbewerb in Seoul in Südkorea nahm die Kletterin ohne Kopftuch teil.

Die Bilder, wie sie sich mit schwingendem Pferdeschwanz die Kletterwand heraufkletterte, gingen um die Welt – eine große Blamage für das iranische Regime. Sie wurde schnell wieder nach Teheran zurückgeflogen, wo am Flughafen viele Fans auf sie warteten und ihr für ihren Mut zujubelten. Rekabi veröffentlichte einen Instagram-Post, in dem sie sich dafür entschuldigte, das Kopftuch abgenommen zu haben; es sei ein Versehen gewesen. Solche mit großer Wahrscheinlichkeit erzwungenen Entschuldigungen sind ein gut bekanntes Propagandamittel des Regimes. Elnaz Rekabi soll seitdem unter Hausarrest stehen.

Nun wurde ein Video in den sozialen Medien veröffentlicht, das ein zerstörtes Haus zeigt: Trümmer, zerstörtes Mobiliar unter freiem Himmel. Es handelt sich, oder handelte sich, um das Haus von Davoud Rekabi, Elnaz Rekabis Bruder. Wer die Aufnahme gemacht hat, ist nicht klar. Die Stimme, möglicherweise ein Freund von Rekabi, sagt: »So ist das, wenn man in diesem Land lebt. Ein Champion des Landes, mit kiloweise Medaillen für dieses Land. Er hat hart gearbeitet, um das Land stolz zu machen. Sie haben ihn mit Pfefferspray besprüht und sein […] Haus zerstört. Was soll ich da noch sagen?« Kurz sieht man Davoud Rekabi im Bild, er scheint zu weinen.

Die Zerstörung des Hauses wurde inzwischen von der staatlichen Nachrichtenagentur Tasnim bestätigt . Das Haus sei zerstört worden, weil es »illegal« gebaut worden sei. Die Behörden hätten die Familie vorher verwarnt. Allerdings ist es schwer vorstellbar, dass Davoud Rekabi, der ebenfalls professioneller Kletterer ist, ohne den zivilen Ungehorsam seiner Schwester sein Zuhause verloren hätte. Sippenhaft ist ebenfalls ein bewährtes Mittel des Regimes, mit dem es Oppositionelle unter Druck setzt.

Wie die geleakten Tapes  des staatlich kontrollierten Mediums Fars News bestätigen, machen der iranischen Führung prominente Oppositionelle wie Elnaz Rekabi besonders viele Sorgen. Da sie viele Unterstützer haben, werden sie als wichtige Figuren der Protestbewegung gesehen. Genau aus diesem Grund zögert das Regime, diese Prominente »einfach« zu töten; es könnte zu viel Wut entfachen. Also setzen sie wie im Fall der Kletterin auf andere Mittel, um sie zum Schweigen zu bringen.

Abschaffung der Sittenpolizei: »Weiterer übler Trick der Mullahs«

Man muss diese beiden Fälle vor Augen haben, um zu verstehen, dass die Meldung, wonach das iranische Regime die Sittenpolizei abschaffen will, mehr oder weniger irrelevant ist.

Für viele Menschen in Iran spielt die Frage, ob die Sittenpolizei abgeschafft werden soll oder nicht, aber gar keine Rolle. Eine Oppositionelle aus Teheran schrieb am Sonntag in einer Chatnachricht: »Ein weiterer übler Trick der Mullahs. Sie haben Iran schon zerstört. Es ist nur eine einzige fette Lüge. Jeder Einzelne von ihnen ist die Sittenpolizei.«

Tatsächlich ist die sogenannte Sittenpolizei nur eines von vielen Instrumenten, mit denen Frauen in Iran systematisch unterdrückt wurden. Sie wurde 2005 vom Regime eingerichtet; ihre Aufgabe besteht darin, im Land auf- und abzufahren und Frauen zu verhaften oder »umzuerziehen«, wenn sie sich nicht den vermeintlichen Sitten des Landes folgend angemessen kleiden oder verhalten. Durch ebendiese Polizei wurde Mahsa Jina Amini  am 13. September festgesetzt. Ihr gewaltsamer Tod war es, der den Beginn der Protestbewegung markiert.

So scheint es weniger eine »Reform« oder gar eine Tatsache zu sein als vielmehr ein Ablenkungsmanöver im »medialen Krieg«. Denn diesen, auch das haben die Fars-News-Leaks enthüllt, habe man »komplett verloren«, so die Einschätzung hoher Repräsentanten des Regimes. Atena Daemi, eine bekannte Menschenrechtsaktivistin in Iran, kommentierte die Sittenwächter-Erklärung auf Twitter  so: »Die Schlagzeile »Sittenpolizei abgeschafft« soll nur die Revolutionäre (gemeint sind die Protestierenden – d. Red.) hinters Licht führen. Montazeri verkündete bereits, die Kontrollen sollen weitergehen.«

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Eines ist klar: Es braucht nicht die Sittenpolizei, um die in der Struktur der Islamischen Republik verankerte systematische Unterdrückung von Frauen durchzusetzen. Hauptsächlich verantwortlich für die Misshandlung von Frauen und die Umsetzung der frauenverachtenden Regeln sind seit 1979 Revolutionsgarden, Polizei und Basij-Milizen.

Propagandaspiele des Regimes

»Es gibt keine Abschaffung der Sittenpolizei, denn die Kleidervorschriften sind ein unabdingbarer Pfeiler der Islamischen Republik und untrennbar mit seiner Identität verbunden«, kommentiert deshalb auch der Iran-Experte Ali Fatollah-Nejad die Nachrichten aus Iran. »Somit sind die Signale aus Teheran nicht als Abschaffung der Sittenpolizei zu verstehen, sondern sind Teil eines Beschwichtigungs- und Ablenkungsmanövers.«

Man könnte die Meldung »Sittenpolizei abgeschafft« auch als Versuchsballon des Regimes werten, inwieweit Medien und Regierungen im Westen der iranischen Führung ihre Reformfähigkeit noch abnehmen. Denn dies war immer Teil der Propaganda der iranischen Führung: Wir sind keine brutale Diktatur, sondern ein rationaler Akteur, der sich weiterentwickeln kann. Dies hat stets von den zahlreichen Menschenrechtsverletzungen abgelenkt. Erst seit Beginn der Proteste finden diese Verbrechen unter den Augen der Weltöffentlichkeit statt.

Fotostrecke

Globale Proteste in Solidarität mit Mahsa Amini und den Frauen im Iran

Foto: Clemens Bilan / EPA

Während also auch hierzulande die mögliche Abschaffung der Sittenpolizei diskutiert wird, gehen in Iran die Menschenrechtsverletzungen weiter; Toomaj Salehi, Davoud Rekabi, die zum Tode Verurteilten, die zu Tausenden Inhaftierten – auf sie sollte man schauen. Nicht auf Propagandaspiele des iranischen Regimes.

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