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Furcht vor dem Scheintod: Wenn schon Sarg, dann sicher

Foto: akg-images / Fototeca Gilardi

Scheintod-Hysterie Lebendig begraben? Bitte bimmeln

Scheintot im Sarg und dann erwachen, es ist eine Urangst. Sie bringt Menschen seit Jahrhunderten auf irre Ideen: vom Sarg mit Klingel, Fenster, Notausstieg - bis hin zu einer todsicheren Methode.

Sein adliges Leben verbrachte Herzog Ferdinand von Braunschweig-Wolfenbüttel (1721-1792) in damals standesgemäß kriegerischer Weise: Im Dienste verschiedener Herrscher schickte er in einer schier endlosen Folge von Feldzügen meist siegreich Soldaten in den Tod. Ihm selbst blieb das erspart. Seinen Abschied aus der Militärkarriere sollte er, hoch dekoriert und bis zum Generalfeldmarschall befördert, satte 26 Jahre überleben.

Doch zum Ende seines Lebens zeigte sich Ferdinand weniger tapfer, als seine Biografie vermuten lässt. In großer Angst, lebendig begraben zu werden, machte er angeblich selbst noch kurz vor seinem Tod eine Erfindung, die seither zahlreiche Nachahmer fand: den Sicherheitssarg (siehe Fotostrecke). Beerdigen ließ sich Ferdinand in einem Erdmöbel mit Fenster, Luftlöchern und einer von innen zu öffnenden Klappe.

Die Furcht, scheintot verscharrt zu werden, teilte der Feldherr mit vielen Zeitgenossen. Im ausgehenden 18. Jahrhundert zeigten die allmähliche Professionalisierung der Medizin und der Erkenntnisfortschritt der Wissenschaft zunehmend Wirkung und Nebenwirkung. Einerseits konnten sie viele kranke Menschen fortan einem bis dahin sicheren Tod entreißen. Andererseits stellte genau das aber in Frage, wo die Grenze zwischen Leben und Tod überhaupt zu ziehen sei.

Wiederbelebung galt als Verbrechen

Denn gelangen der Medizin nicht Heilungen, wo man kurz zuvor noch den Priester gerufen hätte? Schafften es nicht die Impfärzte, durch Verabreichung leicht krankmachender Substanzen tödlichere Leiden zu verhindern? Belebte man nicht Ertrunkene wieder, indem man sie bäuchlings aufs trabende Pferd gebunden durchschüttelte, bevor man ihren Darm per Klistier mit heilsamem Nikotindampf füllte? Und erwies sich in alldem nicht immer wieder, dass viele Zustände des menschlichen Körpers mit Mitteln der modernen Wissenschaft zu ändern waren?

Bereits 1740 preschte der Franzosenkönig Ludwig XV. vor und stellte die Wiederbelebung vermeintlich Verblichener straffrei. Solch Fortschritt machte schnell die Runde: Innerhalb von nur 50 Jahren war diese Art der Lebensrettung, bis dahin oft als Sakrileg geahndet, fast nirgendwo mehr ein Verbrechen.

In Preußen und Österreich wurde sie sogar vaterländische Pflicht - und schnell erwies sich, wie berechtigt der Wiederbelebungsgedanke war. Allein in Amsterdam gelang der dortigen Lebensrettungsgesellschaft schon in ihrem Gründungsjahr die Reanimierung von 25 ganz und gar nicht Verblichenen.

Derb, bizarr bis grausam konnte es dabei nach heutigem Empfinden zugehen. Und doch markierte es einen erheblichen Fortschritt im Denken. Vor dieser Zeit, sagt Gerold Eppler, kommissarischer Leiter des Museums für Sepulkralkultur in Kassel , "war alles Magie. Erst mit Beginn der Aufklärung fing man überhaupt an, sich mit den Funktionen des menschlichen Körpers systematisch zu befassen." Hatte die Fehldiagnose eines Priesters bis dahin etwa für einen Komatösen das Todesurteil bedeutet, war es nun zunehmend den Fachleuten für das Leben vorbehalten, den Tod festzustellen - Ärzten.

Sensationell: Der Tod war womöglich umkehrbar

Ihr Sachverstand war dringend nötig. Luigi Galvani schien am 6. November 1780 gezeigt zu haben, dass man selbst dem vermeintlich toten Getier nur die rechte Energie zuführen müsse, um es wieder mit Leben zu erfüllen. Wenn sich ein unter Strom gesetztes Froschbein wecken ließe, dachten sich ambitionierte Wissenschaftler, könnte das sicher doch auch mit einer Leiche gelingen.

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Furcht vor dem Scheintod: Wenn schon Sarg, dann sicher

Foto: akg-images / Fototeca Gilardi

Überall in Europa experimentierten sie in den folgenden Jahrzehnten mit frisch Exekutierten, um ihnen mit angelegtem Strom die Lebensenergie zurückzugeben. Auch wenn dies über kurze Zuckungen hinaus dauerhaft nicht recht gelingen wollte, schien doch eines klar: Der Tod war möglicherweise umkehrbar!

Hinzu kam, dass sich der konstatierte Tod im Nachhinein allzu häufig als Irrtum erwies. Die Gazetten wussten gruselige Geschichten von versehentlich Begrabenen zu berichten. Von armen Seelen, die im Sarg, in Flammen oder unter dem Messer des Sezierers wiedererwachten.

Bei Umbettungen und Exhumierungen fand man Leichen, die seltsam verkrümmt lagen und - schlimmster aller Albträume - offenbar von innen an den Wänden ihrer hölzernen Gefängnisse gekratzt hatten.

Die Prüfverfahren - pulst da noch etwas?

Vieles davon war natürlich Unsinn, sagt Gerold Eppler, der die von der Berliner Agentur "h neun" konzipierte Scheintod-Ausstellung "Vita Dubia. Über die Ungewissheit des Todes" nach Kassel holte. Kratzspuren habe man oft "an sehr einfachen Särgen gefunden, die von innen gar nicht groß bearbeitet waren". Soll heißen: Kratzer waren da schon im Sarg, bevor man eine Leiche hineinlegte. Auch das scheinbare Wachsen von Nägeln und Haaren sei eine seit antiker Zeit bekannte Fehlwahrnehmung; Körperbewegungen von Leichen ließen sich teils auf Verwesungsprozesse zurückführen.

Bei einem gewissen Anteil von Fällen indes mag es wirklich zur Bestattung von Lebenden gekommen sein. 1905 zählte der Engländer William Tebb Fachberichte aus. Der Gründer der mittlerweile verblichenen Londoner Gesellschaft zur Verhinderung der vorzeitigen Beerdigung kam auf: 219 angeblich gerade noch verhinderte Fälle, 149 vollzogene Lebendbegräbnisse, zehn Fälle von Obduktionen an Lebenden, zwei Fälle von Erwachen bei der Einbalsamierung.

"Im Laufe des 18. Jahrhunderts war man sich bewusst geworden, dass viele Erkrankungen auf Ansteckung durch Berührung oder Nähe beruhen", so Experte Eppler. "In Zeiten von Krieg und Epidemien trauten die sich oft gar nicht mehr an die vermeintlichen Leichen heran. Es ist denkbar, dass da auch Leute verscharrt wurden, die gar nicht tot waren."

Und so verfügte mancher Zeitgenosse, dass sein Ableben vor dem Begräbnis wirklich sicherzustellen sei - etwa durch Spiegel und Federn, die man vor Mund und Nase hielt. Zu den gängigen Prüfverfahren gehörte es ebenso, den Verblichenen mit allerlei Stoffen zu reizen oder ihn zur Ader zu lassen, um nachzusehen, ob da noch etwas pulste.

Finale Lösung: Der Stich mitten ins Herz

Nicht selten waren auch testamentarische Verfügungen, die Beerdigung erst vorzunehmen, wenn die Verwesung riechbar einsetzte. In Weimar und Preußen ließ der spätere Charité-Direktor Christoph Wilhelm Hufeland ab 1791 beheizte Leichenhäuser bauen, wo Verblichene bis zur Beerdigung zwischengelagert wurden. Die Zehen der Aufgebahrten verband man per Seilzug mit einem Aufsichtsglöckchen, wie Gerold Eppler erzählt: "Das sollte klingeln, falls jemand erwachte."

Wer todsicher nicht lebendig verscharrt werden wollte, verfügte den "Herzstich" per Herznadel: Ein leicht gebogenes Stoßinstrument, das man zwischen den Rippen hindurch ins Herz senkte - wer vorher nicht völlig tot war, war es nachher bestimmt.

Doch die Angst, lebendig begraben zu werden (im Fachbegriff Taphephobie), hatte ja auch eine Hoffnungsseite: Erkennen des Irrtums und rechtzeitige Exhumierung versprachen ein Weiterleben nach dem deklarierten Tod. Eine Inspiration für Paranoiker, Mediziner, Geschäftemacher.

Vom Beginn des 19. Jahrhunderts bis heute wurden einige Dutzend Patente angemeldet, die den zeitweiligen Aufenthalt im Sarg irgendwie überlebbar machen sollten. Die Kernelemente des auf Sicherheit setzenden Sarg-Designs sind Sauerstoffversorgung und Kommunikationseinrichtungen - früher Fähnchen und Glöckchen, heute meist Mobilfunk- oder Internet-basiert und zunehmend multimedial. Fenstersärge oder Gruftmodelle mit von innen zu bedienenden Ausstiegsklappen sind die andere Variante.

"Zumeist blieb es bei der Idee", sagt Gerold Eppler , "gebaut worden ist von alldem sehr wenig." Anders als der Sicherheitssarg des Ferdinand von Braunschweig-Wolfenbüttel. Gebraucht hat er den vorsorglich eingebauten Notausstieg dann aber nicht. Auch des Herzogs Tod blieb - wie fast immer - final.