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Schauspieler Jerry Hoffmann »In Deutschland schließt man Schwarze Schauspieler oft grundsätzlich aus«

Der Regisseur und Schauspieler Jerry Hoffmann kämpft für mehr Diversität in Film und Theater – und fordert, dass Transmenschen derzeit nur von Transschauspielerinnen und Transschauspielern dargestellt werden.
Ein Interview von Wolfgang Höbel
Schauspieler und Regisseur Jerry Hoffmann: »Es gibt uns ja schon«

Schauspieler und Regisseur Jerry Hoffmann: »Es gibt uns ja schon«

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FrankHoermann/SVEN SIMON / imago/Sven Simon

SPIEGEL: Herr Hoffmann, derzeit wird viel über den Willen zu mehr Diversität im deutschen Film- und im Theaterbetrieb geredet. Können Sie Ihre Erfahrungen in diesem Betrieb beschreiben?

Hoffmann: Ich muss vorweg sagen, dass es mich weniger interessiert, über meine persönlichen Erfahrungen zu sprechen. Ich werde sehr oft auf das Thema Rassismus im Film und Theater angesprochen. Sehr häufig geht es dann darum, was man Traumatisches erlebt hat und ob es Rassismus in Deutschland wirklich gibt, ob ich da Beispiele aus meinem Berufsalltag nennen könnte. Ich wünschte, wir wären da weiter. Statt immer nur die Einzelerfahrungen von Betroffenen zu reproduzieren, sollten wir über Strukturen sprechen. Als müssten diese Erfahrungen erst legitimieren, dass wir ein Problem haben. Es kann aber nicht mehr darum gehen, ob wir Rassismus haben, sondern darum, wie wir ihm begegnen.

SPIEGEL: Haben Ihrer Meinung nach genügend Menschen in Deutschland kapiert, dass es hierzulande Rassismus und Ausgrenzung gibt?

Hoffmann: Spätestens seit der »Black Lives Matter«-Bewegung und Hanau können wir als Gesellschaft nicht mehr leugnen, dass wir ein Rassismusproblem haben. Rassismus ist aber nur ein Teil unserer Diversitätsdebatte. Zu der Debatte gehört auch die oft noch problematische Darstellung von körperlich und geistig behinderten Menschen, von Homosexuellen und Transmenschen, von mehrgewichtigen Menschen, von BPoCs (Black and People of Colour, Anmerkung der Redaktion). Alle diese Gruppen sind ein selbstverständlicher Teil unserer Gesellschaft, werden aber immer noch nicht als solcher im deutschen Film sichtbar.

SPIEGEL: Was sollte sich ändern?

Hoffmann: Ich wünsche mir erst mal eine Diskussion über den Ist-Zustand. Wie divers sind Hauptrollen in wie hoch budgetierten Filmen? Wie divers sind Filmhochschulen und Schauspielschulen? Ich hatte zum Beispiel in meiner gesamten schulischen und akademischen Laufbahn in Deutschland noch nie eine Schwarze Person, die mich unterrichtet hat. Ich bin in meiner künstlerischen Arbeit noch keinem einzigen Schwarzen Journalisten begegnet, der mich interviewt hat. Ich habe noch nie an einem roten Teppich eine Schwarze Person gesehen, die mich fotografiert hat. Das zeigt ein strukturelles, kein persönliches Problem. Es macht etwas mit einem, wenn man sich selbst nie wiederfindet. Auch in Geschichten und Filmen.

SPIEGEL: Inwiefern?

Hoffmann: Für mich war und ist es ermüdend, so oft der Einzige zu sein. Der einzige Schwarze Mensch in einer Film- und Theaterproduktion, der einzige Schwarze Mensch auf einem Podium. Ich muss immer grundsätzliche Dinge erklären oder Repräsentant für etwas sein. Ich werde von Journalisten wie Ihnen vermehrt als Experte befragt. Das ist gut, aber auch enorm anstrengend. Ich werde gefragt: Darf man das? Kann man das? Wie sollte besetzt werden? Oft scheinen sich Menschen zu wünschen, dass es eine Art Katalog gibt. Dass man sagt, das geht und das geht nicht. Leider kann es den nicht geben. Wir müssen als Gesellschaft diese Fragen immer wieder neu besprechen. Kunst funktioniert nicht nach Rastern.

Schwarze Menschen ist (anders als weiße Menschen) eine Selbstbezeichnung. Es geht dabei nicht um eine Eigenschaft, die auf die Hautfarbe zurückzuführen ist, sondern um eine von Rassismus betroffene gesellschaftliche Position. Jerry Hoffmann nutzt diese politische Selbstbezeichnung, wir schreiben »Schwarz« deswegen in seinen Antworten groß.

SPIEGEL: In der amerikanischen Serie »Bridgerton« wurden historisch weiße Figuren mit schwarzen Schauspielerinnen und Schauspielern besetzt, man nennt das fälschlich »Colourblind Casting«. In der Serie wird das Großbritannien des Jahres 1813 von einer schwarzen Königin regiert.

Hoffmann: Großartig, oder? Das macht Hoffnung. In Deutschland schließt man Schwarze Schauspielerinnen und Schauspieler oft grundsätzlich aus bestimmten Erzählungen aus. Dass ich gerade in einer deutschen Märchenverfilmung einen Prinzen spielen konnte, ist eine Ausnahme – zeigt aber, dass sich auch hier endlich etwas verändert.

SPIEGEL: Wie könnte diverses Erzählen aussehen?

Hoffmann: Es gibt uns ja schon. Menschen, die Geschichten neu erzählen wollen, aber auch Gegenwind spüren. Warum gibt es einen Aufschrei, wenn eine Schwarze Frau Arielle spielt? Warum empören sich Menschen, wenn in einer »Harry Potter«-Produktion Hermine Granger von einer Schwarzen Schauspielerin gespielt wird, obwohl die Autorin JK Rowling selbst sagt, erst durch die Besetzung mit Emma Watson sei sie weiß geworden? Was würde passieren, wenn wir einen »Tatort«, wie von Anta Helena Recke vorgeschlagen, rein Schwarz besetzten?    

SPIEGEL: Die schwarze Regisseurin Recke hat 2016 in den Münchner Kammerspielen eine Theaterinszenierung des in einem bayerischen Dorf spielenden Romans »Mittelreich« ausschließlich mit schwarzen Schauspielerinnen und Schauspielern neu besetzt. Recke nannte die Inszenierung »Schwarzkopie«. Sie waren einer der Schauspieler. Was war anders bei der Inszenierung?

Hoffmann: Die Rezeption. Zuschauer haben berichtet, dass sie an Fluchterfahrung denken mussten, oder dass das Bild von so vielen Schwarzen Menschen auf einer Bühne für sie befremdlich war. Andere hatten das Gefühl, aufatmen zu können, weil sie sich endlich auf dieser Bühne wiederfanden. Die Inszenierung hat gezeigt, was wir auf verschiedene Körper projizieren.

SPIEGEL: Im Augenblick zeigt die Film- und Fernsehbranche viel guten Willen. Nico Hofmann und die Ufa haben eine Selbstverpflichtung zur Diversität  verkündet. An manchen Schauspielschulen und anderen Ausbildungsstätten hört man schon die Klage, dass man dort sozusagen händeringend nach diversen Schülerinnen und Schülern suche. Finden Sie das erfreulich?

Hoffmann: Die Selbstverpflichtung von Produktionsfirmen ist ein guter Schritt. Die Erzählung »Wir suchen händeringend, aber finden niemanden« ist problematisch. Ich habe gerade meinen Abschlussfilm gedreht. Mein Team und ich haben eine Science-Fiction-Geschichte mit zwei Schwarzen weiblichen Hauptrollen entwickelt. Wir haben das Buch vielen gezeigt, oft war die Reaktion: »Das ist ein starkes Drehbuch, aber das braucht sehr gute Schauspielerinnen, wo wollt ihr diese zwei Schwarzen Frauen denn finden?« Ich habe dann mit meiner Casterin einen Aufruf in Deutschland, Österreich und der Schweiz gemacht. Wir hatten 160 Bewerbungen! 160 wunderbare, talentierte Schwarze Frauen. Ich war sehr gerührt, weil ich diesem »Es gibt sie halt nicht«, etwas entgegen setzen konnte. Es gibt sie! Sie sind wunderbar.

SPIEGEL: Was müsste Ihrer Meinung nach passieren?  

Hoffmann: Ein gutes Beispiel sind die Diversitätsstandards der Oscars. Solche Standards fände ich für den deutschsprachigen Film auch sinnvoll. Aber es kann natürlich nicht nur um das Erfüllen von Checklisten gehen. Drehbücher sollten nicht nur diverser geschrieben werden, um einem Katalog zu entsprechen. Es muss darum gehen, warum jemand eine Geschichte erzählen will. Und wie sie besetzt wird. Es geht nie nur um die Geschichte an sich, sondern immer auch um das Narrativ dahinter. Was wird mit der Geschichte erzählt? Und wer erzählt sie?

SPIEGEL: Was heißt das konkret?

Hoffmann: Wir führen gerade eine Debatte darüber, wer was spielen darf. Natürlich sollten Schauspielerinnen und Schauspieler eigentlich alles spielen dürfen. Theoretisch. Im Augenblick sind aber viele Darstellungen problematisch, weil die betroffenen Gruppen selbst nicht zu Wort kommen. Es ist aber wichtig, dass man seine eigene Geschichte erzählen kann, statt dass andere für einen sprechen.

SPIEGEL: Zum Beispiel?

Hoffmann: Na, neulich im WDR, da wurde die problematische Lebensmittelbezeichnung einer Soße diskutiert, aber es wurden keine Sinti und Roma eingeladen, um die es eigentlich ging. Oder Filme, in denen es um Transidentität geht, ohne dass an der ganzen Produktion eine einzige transsexuelle Person beteiligt ist. Die Netflix-Dokumentation »Disclosure« zeigt sehr deutlich, wie das zu Transphobie führt. Deswegen sollten trans Figuren im Augenblick nur von trans Schauspielerinnen und trans Schauspielern gespielt werden. Sie müssen erst mal ihre eigenen Geschichten erzählen. Vielleicht können dann irgendwann alle alles spielen. Meine größte Sehnsucht aber ist Empathie im Umgang mit diesen komplexen Themen. Im Augenblick gibt es so viele aufgebrachte Gespräche zu Themen wie Rassismus, Homophobie, Antisemitismus, Sexismus. Ich würde mir bei all diesen wichtigen Gesprächen einen respektvolleren und gütigeren Umgang wünschen. Das wäre schön.