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"Dämonisch" Engel mit blutigen Äxten

Was tun, wenn Papa ein von Gott beauftragter Axtmörder ist? Der US-Schauspieler Bill Paxton legt mit "Dämonisch" sein Regie-Debüt vor - einen makaberen Gothic-Thriller mit beunruhigenden Untertönen.

Lassen Sie sich nicht von dem deutschen Filmtitel in die Irre führen. Die Damen und Herren des heimischen Verleihs bewiesen mit der Auswahl des Titels "Dämonisch" einmal mehr ihre generelle Unsensibilität gegenüber den ihnen anvertrauten Kunstwerken. Im Original heißt Bill Paxtons erste Regie-Arbeit "Frailty", was man mit "Schwäche" übersetzen kann, besser noch mit "Zerbrechlichkeit".

Denn um Zerbrechlichkeit geht es in "Dämonisch": Um die Zerbrechlichkeit des amerikanischen Kleinstadt-Idylls, wie Edward Hopper es gerne und farbenfroh in seinen Gemälden abbildete, um die Zerbrechlichkeit des menschlichen Geistes und um die Zerbrechlichkeit des Glaubens, den schmalen Grat zwischen Frömmigkeit und Fanatismus.

Der Film wirft uns hinein in eine unterschwellig bedrohliche Stimmung, die an frühe Hitchcock-Werke gemahnt: Eine FBI-Dependance irgendwo im ländlichen Osten von Texas. Agent Wesley Boyle (Powers Boothe) sucht einen Serienmörder, der sich "Die Hand Gottes nennt" und seine Opfer mit der Axt erlegt. In seine abendlichen Grübeleien über einen Fahndungsansatz platzt ein junger Mann, der sich als Fenton Meiks (Matthew McConaughey) vorstellt und behauptet, er wisse, wer der Täter sei: sein eigener Bruder.

Meiks beginnt, Doyle seine Geschichte zu erzählen und entführt uns per Rückblende geradewegs ins Jahr 1979. Der fast schon pubertierende Fenton und sein jüngerer Bruder Adam leben zusammen mit ihrem verwitweten Vater in einem verschlafenen Südstaaten-Kaff. wir erfahren nicht, warum oder woran die Mutter starb, wir erfahren noch nicht einmal den Namen des Vaters, er ist einfach "Dad".

Der Automechaniker kümmert sich liebevoll um seine beiden Söhne, das Familien-Idyll ist durch das Fehlen der Mutter zwar angekratzt, aber dennoch intakt. Bis Dad eines Nachts ins Schlafzimmer der Jungen stürmt und aufgeregt von einer Vision erzählt: Sie seien von Gott auserwählt worden, um im Auftrag des Allmächtigen böse Dämonen zu töten, die als normale Bürger getarnt unter den Menschen wandeln. Genaue Instruktionen, wie die Hinrichtungen zu gestalten sind, habe er von einem Engel erhalten, und er werde seine Jungs in der ehrenvollen Kunst des Abschlachtens unterrichten.

Fenton ist alt genug, um zu merken, dass hier etwas ganz und gar nicht stimmt. Voller Hoffnung schlummert er dem nächsten Morgen entgegen, beinahe betend, das alles nur ein böser Traum gewesen sei. Doch vergebens. Nach einem Frühstück, das so normal wie immer verläuft, verabschiedet Dad seine Söhne zur Schule, aber nicht ohne freundlich aber bestimmt darauf hinzuweisen, dass besser niemand von der neuen, göttlichen Aufgabe der Meiks erfahren soll.

Was nun folgt, ist teils die unorthodox erzählte ewige Geschichte vom Übergang des Kindes zum Erwachsenen, die stets mit dem Verlust der Unschuld einher geht, teils Suspense-Thriller in bester Horror-Manier. Denn Dad beginnt alsbald seinen grausamen Kreuzzug gegen unschuldige Gemeindemitglieder, deren Namen ihm wiederum per Engels-Vision eingeflüstert werden. Die Söhne nimmt er selbstredend mit auf die Dämonenjagd, schließlich sollen sie das gute Handwerk lernen.

Fenton gerät in Gewissenskonflikte. Während sein kleiner Bruder zunehmend Gefallen an den blutigen Aktivitäten findet und seinem Vater blind vertraut, ist sich der Ältere bald sicher, dass Dad, eben noch geliebtes und unfehlbares Familienoberhaupt, ganz offensichtlich an verhängnisvollen Wahnvorstellungen leidet. Doch das Leben in der Kleinstadt ist beengt: Wer würde so eine Geschichte schon glauben, zumal wenn sie ein halbwüchsiger Bengel erzählt.

Auch FBI-Mann Doyle zeigt sich ungläubig ob der reichlich hanebüchen klingenden Erzählung seines nächtlichen Gastes. Der schlägt vor, zum Beweis an jenen Ort zu fahren, wo Dad und später Adam, der die Mission seines Vaters angeblich fortführt, die Überreste der vermeintlichen Dämonen verscharrt haben. Die erneut von mehreren Flashbacks in die Vergangenheit begleitete Reise zu dem unwirklich anmutenden Park, der den Meiks' als Friedhof diente, endet mit einer unangenehme Überraschung - für Doyle und den Zuschauer.

Als Bill Paxton das Drehbuch des Hollywood-Neulings Brent Hanley in die Hände bekam, war er sofort vom Part des dämonischen Dads begeistert, wusste aber, dass die filmische Umsetzung Fingerspitzengefühl und einen von Profilneurosen freien Regisseur erfordern würde. Der erfahrene Schauspieler, der einst von James Cameron entdeckt und später durch Rollen in Carl Franklins "One False Move", "Trespass" oder "Ein simpler Plan" zu bescheidenem Ruhm kam, entschied sich spontan, selbst die Regie zu übernehmen. Für die starke Bildsprache, die ihm für "Dämonisch" vorschwebte, konnte er den Kamera-Veteran Bill Butler ("Der weiße Hai") gewinnen, bei der Auswahl der Kinder-Darsteller ließ er so lange nicht locker, bis er in Matthew O'Leary und Jeremy Sumpter exakt die richtige Mischung aus Unschuld und Lausbubentum gefunden hatte.

Eine Akribie, die sich ausgezahlt hat, denn "Dämonisch" besticht nicht nur durch seine ruhige, und dadurch im Höchstmaße beunruhigende Erzählweise, sondern vor allem durch die überirdisch schönen Bilder, mit denen Butler den geheimnisvollen Süden der USA zum Leben erweckt. Ein krasser Gegensatz zu den Gräueltaten, die Dad verübt. Deren Effekt verstärkt Paxton, indem er die Gewalt nie abbildet, durch die Andeutung und Abblendung jedoch erst recht Horror erzeugt. Klassiker wie Hitchcocks "Psycho" und Charles Laughtons "Night Of The Hunter" habe er beim Drehen vor Augen gehabt, sagt der Neu-Regisseur, und das sieht man.

Schön und gut, ein weiterer Schauspieler, der sich als Filmemacher versucht, ausgiebig seine Vorbilder zitiert und sich selbstverliebt in Szene setzt. Doch das stimmt nur zum Teil. Wahr ist, dass Paxton seinen Film auf sich zugeschnitten hat. Die von ihm verkörperte Figur des lieben Daddys von Nebenan, der nach Feierabend die Axt schwingt, wäre für jeden anderen Mimen eine arge Herausforderung gewesen. Doch Paxton, der ohnehin stets wie ein gutmütiger, nicht zwingend intelligenter Redneck aussieht, verleiht dem gespaltenen Charakter durch leichtes, wie subtiles Spiel jene Glaubwürdigkeit, die letztlich den ganzen Film trägt. In seinen treuen Hundeaugen sehen die Söhne - und auch wir - den ganzen Schmerz des von Gott Beauftragten: Ja, es ist schrecklich, scheint er zu barmen, aber es ist nun einmal Gottes Wille. Ein klassischer Bösewicht sieht anders aus.

So transportiert Paxton den klassischen Gothic-Thriller angelsächsischer Machart in die Neuzeit, in der das Böse nicht mehr als unerklärliches Monstrum mit rot glühenden Augen und spitzen Fangzähnen an der Tür wummert, sondern sich in uns versteckt und auf den richtigen Moment wartet, um herauszubrechen. Dieser Wolf-im-Schafspelz-Effekt ist es auch, der letztlich einen irritierenden Subtext für diese Geschichte liefert, die zunächst ein kleiner, aber feiner Genre-Film zu sein scheint. Besonders die letzte Szene, die hier nicht näher beschrieben sein soll, verweist darauf, dass Paxton mit seiner Horror-Parabel auf religiösen Wahn und Familienbande durchaus auch ein kritisches Auge auf den gottesfürchtigen Weltpolizisten USA werfen wollte.

"Dämonisch" ("Frailty"). USA 2001. Regie: Bill Paxton; Buch: Brent Hanley; Darsteller: Bill Paxton, Matthew McConaughey, Powers Boothe, Matthew O'Leary, Jeremy Sumpter; Produktion: American Entertainment, Cinedelta; Verleih: Kinowelt; Länge: 100 Min.; Start: 12. Dezember 2002