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"Die Liga der außergewöhnlichen Gentlemen" Domestizierte Superhelden

Alan Moores und Kevin O'Neills Comicroman "Die Liga der außergewöhnlichen Gentlemen" versammelt Ikonen der viktorianischen Literatur von Captain Nemo bis Allan Quatermain in einer eleganten Superhelden-Truppe. "Blade"-Regisseur Steve Norrington hat sie auf die Leinwand gebracht und zu reizlosen Anti-Terroreinheiten hochgerüstet.
Von Daniel Haas

Was wäre, wenn Superman gegen Spiderman anträte, was, wenn Batman auf den Hulk träfe? Solche Fragen beflügeln Comic-inspirierte Jungs-Phantasien, und die Verlage schlagen Gewinn daraus, ihnen konkret Gestalt zu geben: Crossover nennt man das Verfahren, Figuren eigentlich konkurrierender Verlagshäuser aufeinander loszulassen.

"Die Liga der außergewöhnlichen Gentlemen" ist das ultimative Crossover-Projekt, ein postmoderner Figurenzirkus und Literatur-Pop der besonderen Art. Allerdings ist die Liga nicht dem Marketingkalkül von Marvel und DC entsprungen, sondern der kreativen Chuzpe von Alan Moore und Kevin O'Neill. In ihrem Comicroman versammelten sie eine Riege viktorianischer Literatur-Ikonen und machten sie zu Geheimagenten mit Regierungsauftrag. Mina Harker, die Geliebte des Vampirjägers Jonathahn Harker aus Bram Stokers Dracula, H.G. Wells' "Unsichtbaren", Dr. Jekyll und Mr. Hyde aus Robert Stevensons gleichnamiger Horror-Mär, Captain Nemo aus Jules Vernes "20.000 Meilen unter dem Meer" und Allan Quatermain, der Abenteurer aus Rider Haggards "Die Minen des König Solomon": Im Jahre 1899 treten sie gemeinsam an, England vor einem Superschurken namens Fantom zu retten.

Die Figuren sind gegenüber der Comic-Fassung domestiziert: Quatermain (Sean Connery) ist im Film von seiner Opium-Sucht ebenso befreit wie der Unsichtbare (von Tony Curran gespielt und aus Copyrightgründen "Skinner" genannt) von seinem sexuellen Appetit auf junge Frauen oder Mina (Peta Wilson) von ihrer geheimen Todessehnsucht. Die Liga ist ein effizienter Trupp von Spezialisten, der - ganz Kind der Frühmoderne - arbeitsteilig und technisch hochgerüstet zu Werke geht.

Neu hinzugekommen sind Dorian Gray (Stuart Townsend), Oscar Wildes tragischer Dandy, und Tom Sawyer (Shane West). Der liebenswürdige Schummler aus Mark Twains Huckleberry-Finn-Roman ist erwachsen geworden und arbeitet für die US-Regierung. Special Agent Sawyer ist der einzige Amerikaner im Bunde und steht als schießfreudiger Cowboy für eine neue Zeit. Möge das neue Jahrhundert das deine sein, ruft ihm Quatermain, der kolonialistische Haudegen, zu - die Geschichte der Liga wird damit auch zum Entwicklungsroman des jungen Amerika, das im Fantom seinen ersten Terroristen jagt (auch wenn der amerikanisch-britische Waffengang nicht nach Nahost, sondern in namenlose Eiswüsten führt).

Das Morbide, das die Comics grundierte, ist also missionarischem Eifer gewichen, dabei ist der Afrika-Liebhaber Quatermain zumindest am Anfang mehr als reserviert, dem imperialen Britannien seinen starken Arm zu leihen. Und auch Nemos ambivalente Rolle kommt zur Sprache: Der Sagen umwobene Seefahrer kämpfte als indischer Pirat lange für die Unabhängigkeit seines Landes, nun soll ihm Amnestie gewährt werden. Doch für Ambivalenzen hat Norringtons Action-vernarrtes Spektakel letztlich kaum Zeit, seine Helden sind eher Kampfmaschinen als vielschichtige Figuren. Das Außerordentliche der literarischen Phantasie, im Titel so vollmundig beschworen, ist der Banalität einer Ökonomie gewichen, deren ästhetischer Wert in der Aufaddierung von Effekten bestehen soll.

Was wäre, wenn Wilde und Wells, Twain und Stoker gemeinsam ins Kino gingen, sagen wir zur Premiere der "außergewöhnlichen Gentlemen". Wer von ihnen hielte es bis zum Abspann aus?


Die Liga der außergewöhnlichen Gentlemen
(The League Of Extraordinary Gentlemen)



USA/Deutschland 2003. Regie: Stephen Norrington. Buch: James Robinson, Alan Moore und Kevin O'Neill (Comic). Darsteller: Sean Connery, Naseeruddin Shah, Peta Wilson, Tony Curran, Stuart Townsend, Shane West. Produktion: 20th Century Fox, Angry Films, Mediastream 1 Productions, JD Productions. Verleih: 20th Century Fox. Länge: 112 Minuten. Start: 2. Oktober 2003

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