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Krim-Talk bei Jauch Gerd Ruge erklärt uns Russland

Auch das soll es geben: eine nachdenkliche Talkshow ohne harsche Anwürfe und Beleidigungen. Die Krim-Krisen-Runde bei Günther Jauch lieferte den Zuschauern einen echten Erkenntnisgewinn. Zu verdanken war dies vor allem Reporterlegende Gerd Ruge.
Journalist Gerd Ruge bei Günther Jauch: Mit der ganzen Abgeklärtheit seiner Erfahrung

Journalist Gerd Ruge bei Günther Jauch: Mit der ganzen Abgeklärtheit seiner Erfahrung

Foto: Paul Zinken/ dpa

Dass Günther Jauch sich zum wiederholten Mal mit der Krim-Krise beschäftigte, dürfte kaum überrascht haben. Schließlich gibt es aktuell kein wichtigeres Thema als dieses brisante Kapitel Weltpolitik, auch wenn es zunehmend schwerfällt, hierzu in Talkshows zu wirklich neuen Erkenntnissen zu gelangen. Doch erstmals saß jetzt jemand aus dem Merkel-Kabinett in einer solchen Runde, und zwar niemand Geringeres als die Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen.

Die hatte am Sonntag die Schlagzeilen dominiert, weil sie in einem SPIEGEL-Interview gefordert hatte, die Nato solle ihre Präsenz an den Ostgrenzen verstärken. Damit war das Tableau der Fragen, die sich mit dem großen außenpolitischen Konflikt verbinden, um eine innenpolitische erweitert: nämlich die, ob die Ministerin auf ihrer koalitionszoffträchtigen Idee beharren würde.

Um es vorweg zu nehmen: Sie tat es nicht. Als Jauch gegen Ende hin die Rede darauf brachte, kam von Frau von der Leyen lediglich ein allgemeiner Hinweis auf die besonderen Ängste der Balten und Rumänen und sonst nichts. Das passte zum Charakter einer Sendung, die angenehm frei blieb von scharfen Tönen und stattdessen geprägt war von viel Nachdenklichkeit und dem Bemühen, sich irgendwie einen Reim zu machen auf das, was gegenwärtig vor sich geht im großen, fremden, von vielen immer noch und mehr denn je als bedrohlich empfundenen Russland.

Putin sieht sich nicht als Diplomat

Da diese Irritationen und Bedrohungsgefühle sich leicht personifizieren lassen, lief das über weite Strecken auf den Versuch hinaus, eine Art Psychogramm von Wladimir Putin zu erarbeiten. Hierzu wusste vor allem der TV-Reporter Hubert Seipel einiges beizutragen, der ihm so nahe gekommen ist wie kaum ein anderer westlicher Journalist und der davon abriet, das System Putin nach den Kategorien Diktatur oder Demokratie verorten zu wollen.

Aufschlussreich waren die Einspieler von Auftritten des russischen Präsidenten und Interviews mit ihm, in denen der selber von sich erklärt hatte, er sei nun mal kein Diplomat und er müsse nicht so sein, wie es dem Westen gefalle, sondern seinem eigenen Volk. Es war diese Diskrepanz zwischen den Erwartungen hier wie dort und ebenso den Täuschungen und Enttäuschungen auf beiden Seiten, die der Debatte auch einen Unterton von tiefer Ernüchterung gab, so als dämmere manchem erst jetzt, was in den letzten Jahren falsch gelaufen ist.

Die Ministerin wurde geradezu emotional, als sie bekundete, es "schmerze", jetzt diesen Kurs der Abschottung erleben zu müssen und diesen Vertrauenseinbruch eines Putin, der sie seinerzeit bei seiner Rede vor dem Bundestag "schwer beeindruckt" habe. Seipel brachte es etwas schnörkelloser auf den Punkt mit der Diagnose, in Wahrheit hätten gleiche Werte zwischen Ost und West nie existiert.

John Kornblum, der frühere US-Botschafter in Deutschland, rief noch einmal in Erinnerung, welch schwierigen Weg die einstige Sowjetunion nach dem Ende des Kalten Kriegs zu gehen hatte - auch aufgrund von Fehlern des Westens -, so dass Putins Riesenland heute wirtschaftlich schwach dastehe und Kooperation dringender brauche denn je. Dies hat das Dilemma zur Folge, dass der optisch so starke und populäre Mann im Kreml zugleich unter enormem inneren Druck steht.

Der anderen Seite Grenzen setzen

Während Dmitri Tultschinski, Chef des Deutschland-Büros der russischen Nachrichtenagentur Ria Novosti, so ungefähr das verlauten ließ, was von offiziös-publizistischer - oder genauer: propagandistischer - Seite in diesen Zeiten aus Richtung Moskau zu hören ist (nämlich dass etwas gegen die bösen Faschisten in Kiew getan werden müsse), war es ein altgedienter deutscher Journalist, dessen Worten zu lauschen sich umso mehr lohnte. Gerd Ruge saß dort, der erste westdeutsche Moskau-Korrespondent, mit seinen 85 Jahren und mehr als einem halben Jahrhundert ost- und weltpolitischer Beobachtung inzwischen eine lebende Legende des Metiers und leider nur noch seltener Talk-Gast.

Ruge sagte gar nicht besonders viel, aber das tat er mit der ganzen Abgeklärtheit seiner Erfahrung. Ohne zu dramatisieren, aber auch ohne falsche Beschwichtigung warnte er vor einer "gefährlichen Situation" durch wechselseitiges Hochschaukeln, mit der durchaus eine ruhige Periode zu Ende gehen könne. Gespräche seien schwierig, aber möglich, doch es müssten der anderen Seite auch Grenzen gesetzt werden - ebenso wie Zeichen der Zusammenarbeit.

Womit man zwangsläufig wieder einmal bei der Frage war, ob und in welcher Form und Schärfe Sanktionen nützlich sein könnten, um Putin zum Einlenken zu bringen und der Ukraine ihr Selbstbestimmungsrecht zu sichern, nachdem die Annexion der Krim nach Lage der Dinge wohl als Faktum zu gelten hat. Ruge mochte solche Maßnahmen nicht ausschließen, wobei weitgehend Konsens war, dass sie Russland weit härter treffen würden als Europa.

Die Verteidigungsministerin nutzte die Gelegenheit, ohne völligen Verzicht auf ihr verbindliches Dauerlächeln, noch einmal die ganze Entschlossenheit des Westens zu unterstreichen und so etwas wie eine nicht näher definierte Drohkulisse aufzubauen - um dann aber sogleich "wir wollen das nicht" anzufügen und Verhandlungsbereitschaft zu signalisieren. Die große Frage scheint zu sein, wer sich zuerst bewegt. Russland-Sprecher Tultschinski behauptete, zunächst sei jetzt der Westen am Zug. Und damit dürfte zumindest klar sein, dass dies nicht die letzte Talkshow zum Thema gewesen ist.