Zwiebelfisch Von Knäppchen, Knäuschen und Knörzchen
Brot ist eines der ältesten Kulturgüter überhaupt. Schon die alten Ägypter buken Brot und entdeckten das Geheimnis des Sauerteigs. Seitdem ist Brot zum Symbol für Speise überhaupt geworden. In der Bibel wird Brot als Gottesgeschenk beschrieben (himmlisches Manna), und seit dem letzten Abendmahl, das Jesus mit seinen Jüngern einnahm, steht Brot für den Leib Christi.
So ist es nicht verwunderlich, dass das Brot auch in unserer Sprache einen besonderen Platz einnimmt. Es kommt zum Beispiel in Dutzenden von Redewendungen vor, man denke nur an "Salz und Brot macht Wangen rot", "Wes Brot ich ess, des Lied ich sing" und "Wer nie sein Brot im Bette aß, weiß nicht, wie Krümel piken". Doch so richtig interessant wird das Brot für den Sprachforscher erst nach dem Verzehr, wenn von ihm nichts weiter übrig ist als ein - zumeist zähes oder hartes - Randstück (vom Brot natürlich, nicht vom Forscher). Dieses Randstück hat nämlich einen besonderen Namen. Einen Namen? Was red ich da! Dutzende Namen hat es!
Bereits im letzten Jahr begab ich mich auf die Suche nach regionalen Bezeichnungen für den Apfelrest. Es kamen mehr als fünfzig verschiedene Bezeichnungen zusammen, die unser Grafiker zu einem hübschen Schaubild in Form eines abgenagten Apfels zusammenstellte. Viele "Zwiebelfisch"-Leser schickten unaufgefordert auch gleich das Wort für den Brotrest mit. Da ahnte ich, dass die Vielfalt der Brotrest-Wörter mindestens genauso groß wie die der Apfelrest-Wörter sein müsse.
Wenige Recherchen genügten, um festzustellen, dass der Brotkanten für Wortsammler ein gefundenes Fressen ist. In diversen Internet-Foren wird aufs Amüsanteste darüber diskutiert. Schulklassen haben sich im Rahmen von Projekten auf die Suche nach Brotrest-Wörtern begeben. Dialektforschende Institute haben Landkarten erstellt, auf denen die regionaltypischen Ausdrücke in sämtlichen Schreibweisen verzeichnet sind. Und immer wieder tauchen neue Varianten auf.
In Norddeutschland überwiegen Kanten und "Knust", von denen letzteres auf das mittelniederdeutsche Wort knûst zurückgeht, welches "knotiger Auswuchs", "Knorren" bedeutet. In Bayern herrschen Ranftl (verwandt mit Rahmen und Rand) und Scherzl vor, und in Sachsen sagt man Rändl und Ränftl. In den rheinischen Regionen wird es besonders drollig, da hört man, wenn man nach dem Brotrest fragt, ein Knuspern und Knäuspern wie im Märchen: Knörzchen wird er zum Beispiel in Hessen genannt, Knieschen in Rheinland-Pfalz, Knützchen am Niederrhein und Knäbberchen im Siegerland. Auffällig ist, dass viele dieser Wörter mit Kn beginnen. Der Kn-Anlaut ist in der deutschen Sprache bezeichnend für rundliche Gegenstände und Verdickungen. Knust, Knäppchen und Knörzchen gehören zur selben Wortfamilie wie Knauf, Knödel, Knobel, Knolle, Knopf, Knorpel, Knorren, Knospe, Knoten und Knubbel.
Von der Wurst ist bekannt, dass sie zwei Enden hat. Das gilt aber nicht für die Wurst allein, sondern auch für das Brot. Während das erste Stück eines frischen Brotes meistens gern gegessen wird, bleibt das zähe Endstück oft liegen. In einigen Gegenden wird daher zwischen einem "lachenden" und einem "weinenden" Ende unterschieden. So kennt man zum Beispiel im Münsterland die Ausdrücke "Lacheknäppchen" und "Weineknäppchen" für den vorderen und den hinteren Brotkanten, und im Oldenburger Raum den Lacheknust und den Brummeknust.
Die Form des Brotrestes erinnert in gewisser Weise an ein anderes, ebenfalls sehr beliebtes Endstück: das menschliche Gesäß. Daher kursieren in einigen Regionen zärtlich-scherzhafte Ausdrücke für den Brotrest, die daneben auch für den Popo gebraucht werden, zum Beispiel Föttchen im Rheinland, Boppes im Westerwald und Ärschl in Sachsen.
In diesem Zusammenhang darf eine Anekdote aus Österreich nicht fehlen. In Wien sagt man zum Brotrest Buckel (gesprochen Buckl). Und zur Käsekrainer, der beliebten Bockwurst, sagt man auch Eitrige. Das klingt nicht besonders appetitlich, aber schmecken solls trotzdem. Zu Wurst und Brot gehört natürlich auch ein Bier, vorzugsweise aus der Dose. Ein sehr bekanntes Bier in Wien, das "Ottakringer", benannt nach dem 16. Wiener Gemeindebezirk, wird so zum "sechzehner Blech". Und so lautet die in bestem Wienerisch vorgetragene Bestellung am Wiener Würstelstand: "Heast, Oida, gib mir a Eitrige mit an Buckl und an sechzehner Blech!" Für einen Nicht-Wiener eine mehr als rätselhafte Bestellung.
Eine häufig gestellte Frage lautet: Gibt es eine offizielle Bezeichnung für den Brotrest, die in allen Gegenden des deutschen Sprachraums gilt? Die Bäcker kennen das Wort "Anschnitt", und daneben gibt es auch "Abschnitt", beides sind Wörter der Hochsprache, doch sie sind nicht annähernd so klangvoll wie die mundartlichen Formen. Daher wird es ihnen kaum gelingen, die regionalen Varianten zu verdrängen, denn die sind bildhaft, liebevoll, ja geradezu zärtlich, so wie Knäppchen, Knärzi und Zipfeli. Das könnten auch Kosenamen für den geliebten Partner sein. Der wird ja gelegentlich auch "Lebensabschnittsgefährte" genannt. Das klingt genauso unpersönlich wie Brotabschnitt. Wenn wir an unserem Lebensabschnittsgefährten knuspern, dann sagen wir doch lieber "mein Schatz", "mein Herzi", "mein süßes Mäuschen" - so wie zum Brotrest "mein Scherzl", "mein Knärzie", "mein süßes Knäuschen".
Der Brotrest
Region | Bezeichnung | |||
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Schleswig-Holstein/Hamburg | Knust/Knuust/Knuß |
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Niedersachsen/Bremen | Knust/Knuust/Knuuß/Knuz Kanten Knuf Kniestchen/Knützchen Tippchen | |||
Mecklenburg-Vorpommern | Knust Kanten | |||
Brandenburg/Berlin | Knust Kanten Knippche Gombel/Gompel | |||
Nordrhein-Westfalen | Knust Knapp/Knäppchen | |||
Ostwestfalen | Tip/Tipp |
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Münsterland | Kanten Kläppchen Knabbel Knietzchen Macke/Mäckchen/Mäcksken | |||
Ruhrgebiet | Knabbel/Knäbbelken/Knäppken Knorke Knorpe Knüppchen/Knüppken Knut Utzelkäpp | |||
Niederrhein | Knetchen Knust/Knut/Knute/Knützchen/Knützje Kösken/Köschken | |||
Rheinland | Kante/Kanten/Käntchen Knippchen Koosch/Köösche/Kööschje Krüppchen Kruste/Krüstchen Kürchen/Kürsjen/Kürstchen Föttchen (derb) | |||
Siegerland | Knäbberchen/Knäppche |
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Sauerland | Knäppken Knüpp | |||
Hessen | Knärzje/Knärtzsche Krüstchen | |||
Nordhessen | Knorze/Knörzchen/Knerzchen/Knärnsche Knistchen/Knüstchen | |||
Südhessen | Endstück Knorz/Knorzt/Knörzchen/Knörrnche Krestche/Krüstje | |||
Thüringen | Feeze/Fietze Kanten Kniestchen/Kniezchen/Knützchen Kopp/Köpple/Küppchen/Küppel/Küppele Renftchen/Ränftchen | |||
Rheinland-Pfalz | Knärz/Knärzel/Knärzelche/Knarzel/Knarzelche/Knärzi/Knärzje/Knärzche/Knätzje Knorze/Knörzje Knaus/Knäuschen/Knaischen/Knaisje/Knaisjen/Knaisel Knieschen Kneppche/Knippche/Kneppel Kruste/Krüstje Kruscht/Kreschtche/Krischtche/Kreschdel/Krischdel Kurscht/Kürschtsche Korscht/Körschtche Karscht/Kärschtche/Kierschtche Schäbbelsche/Schäbbelchen Boppes (derb) | |||
Sachsen-Anhalt | Kanten Rungsen | |||
Sachsen | Rändl/Rindl Randkandn Ramftl/Rampftl/Rämpfdl/Ränftel/Ränftl/Ränftchen Renft/Renftl/Renftel/Rempftel/Rempftl Rungsen Ärschl/Ärschel (derb) | |||
Saarland | Kniesje/Knieschen/Kneisje/Kneischen/Knüsje/Knüschen Koscht/Korscht Bäätsch | |||
Baden-Württemberg | Knaus/Knäusle/Knäuschen |
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Schwaben | Endle Eck/Ecke Giggl/Giggale Kante/Käntle Gnäusle/Knäusel/Kneisle/Knoisle Kneidel/Kneidele Knörzchen/Knörzerle/Knörzl/Knötzl/Knerzl/Knärtzele Köschken Kruste Käppele/Küppele Ranka Riebel/Riabel/Riebele/Riebale Ränkel/Renkl/Rengele Rempfdle/Rempftchen/Renftl Rände Roiftle Storzl | |||
Baden | Gnuscht Knecks Gnaisle/Kneisl Gniesle/Knissl/Knissli/Kniesli Knörbl Knippche Knerzl/Knärzl/Knärtzje Knork Knorst Knuusä/Knussel/Knäusli Awendel Ärschle (derb) Chnüssli Oschnitt Ranfte/Ränftl/Rämpfli Riebele Reifdle/Roiftle | |||
Bayern | Ranft/Ranfdl Scherzl | |||
Oberfranken | Baggerla Gnaerzla/Gnerzla/Knätzla Koebbla/Köbberla/Kopperla/Kübbele/Kübbl/Küppel Rankerl/Rankerla Rempfterla | |||
Mittelfranken | Gnaerzla/Gnäddsla/Gnötzla/Knätzla Riefdla/Rieftla/Rieftle Rendala Sterzl/Stazzla | |||
Unterfranken | Kantn Knurz/Knorz/Gnurz/Gnorz/Knörzle Knärzje Knübbele/Knübberle Kipf/Kipfchen/Kipfle/Kipfla | |||
Oberpfalz | Rampfla/Rampferl Randl Renkerl Sterzl | |||
Bay. Schwaben | Giggl/Gickl/Giggel/Giggele/Giggerle Kickel/Kiekerle | |||
Schweiz | Aaschnitt |
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Thurgau | Aamündli Gupf | |||
Basel | Grepfli/Gröpfli Muger/Mugerli Fuudi Gupf | |||
Aargau | Chnuschperli/Knusperli |
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Solothurn | Möckli |
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Zürich | Ahau/Ahäuel/Ahäuli Bödel Güpfli Ribel Zipfeli | |||
St. Gallen | Chrüschtli |
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Luzern | Mögerli/Muggerli |
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Bern | Mürgu/Mürgel Aahou Butti Chäppi | |||
Liechtenstein | Bödäli |
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Österreich | Raftl Scherzel/Scherzl/Scherzal/Scherzerl Schächzl Buckel/Buckl/Buggl | |||
Ostpreußen | Pend/Pendt/Pent Schenutt/Schnutt | |||
Schlesien | Christel/Kristel/Kristl Rampfla/Rampftla Ränftel Kantel Krunka | |||
Sudetenland | Klaaberranftle |
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Rumänien | ||||
Siebenbürgen | Dutz |
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Banat | Korscht |
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Luxemburg | Knaus |