Zum Inhalt springen

Haken-Chaos bei Twitter Tote bekommen blaue Häkchen, Lebende wollen sie nicht mehr

Viele populäre Accounts markierte Twitter am Wochenende unaufgefordert mit seinem blauen Abo-Häkchen – auch die von Verstorbenen. Nicht allen Begünstigten gefällt das.
Die Sache mit dem Haken hat einen Haken

Die Sache mit dem Haken hat einen Haken

Foto: IMAGO / IMAGO/Wolfgang Maria Weber

Ende der vergangenen Woche hatte Twitter allen nicht zahlenden Nutzerinnen und Nutzern die Verifikationshäkchen entzogen, von einigen Ausnahmen abgesehen. Die einst als Kennzeichnung für verifizierte Accounts von Prominenten, Kreativen und Medienschaffenden verstandene Markierung bekommen seither nun nur noch Personen, die für 8,33 Euro bis 9,52 Euro pro Monat ein Twitter-Blue-Abo abschließen. Zumindest schien das der Plan gewesen zu sein. Am Wochenende jedoch tauchten die blauen Haken in vielen Accounts prominenter Nutzerinnen und Nutzer wieder auf – auch in einigen längst verstorbener Stars und Promis.

So prangt das blaue Symbol etwa am Account des im Dezember verstorbenen Fußballhelden  Pelé. Auch die Konten des 2018 in Istanbul ermordeten Journalisten Jamal Kashoggi, des 2020 verstorbenen Schauspielers Chadwick Boseman und der 2020 bei einem Hubschrauberabsturz ums Leben gekommenen Basketballlegende Kobe Bryant erhielten blaue Haken. Offenbar hatte das Unternehmen die Abonnentenmarkierung an alle Accounts vergeben, die mindestens eine Million Follower haben. Viele der fraglichen Accounts sind seit Langem inaktiv, manche, wie der von Pelé, werden nach dem Tod der Accountinhaber von anderen in deren Namen betrieben.

Makaber: Klickt man auf den blauen Haken dieser Accounts, öffnet sich ein Fenster, in dem es heißt, die fragliche Person oder Organisation habe Twitter Blue abonniert und ihre Identität mithilfe ihrer Telefonnummer verifiziert.

»Gruselige Menschen tun gruselige Dinge«

Der für alle Trägerinnen und Träger des blauen Hakens gleiche Infotext zu ihrem Status als Abonnentin oder Abonnent sorgt bei einigen der lebenden Empfänger von Gratishaken allerdings für Unmut. Schauspieler Ron Perlman etwa schrieb : »Nur fürs Protokoll: Ich habe Twitter Blue nicht abonniert und werde es auch nie tun. Lieber Elon: Gruselige Menschen tun gruselige Dinge. Mit freundlichen Grüßen, Ron.«

Die SPIEGEL-Accounts auf Twitter

Der zentrale Twitter-Account des SPIEGEL heißt @derspiegel , existiert seit März 2007 und hat im April 2023 rund 3,1 Millionen Follower. Er trägt derzeit außerdem einen goldenen Haken und ein quadratisches Profilbildchen – die aktuellen Erkennungsmerkmale  für verifizierte Accounts von Unternehmen. Weil der SPIEGEL dafür aber nicht bezahlt, wird Twitter diese Merkmale möglicherweise bald entfernen.

Die einzelnen Ressort-Accounts – zum Beispiel @SPIEGEL_Netz  (Netzwelt), @SPIEGEL_Wissen  (Wissenschaft), @SPIEGEL_EIL  (Eilmeldungen) oder @SPIEGEL_Politik  (Politikressort) – haben schon jetzt weder Haken noch ein quadratisches Profilbild.

Gefälschte SPIEGEL-Accounts sind möglicherweise an verschiedenen Details zu erkennen:

  • abweichende Namen oder Schreibweisen, einschließlich »Typesquatting«, also etwa dem Einsatz eines großen "I" (i) anstelle des kleinen "l" (L) im Wort SPIEGEL oder spiegel

  • unrealistisch niedrige Followerzahlen

  • Tweets, deren Links erkennbar nicht auf Artikel von SPIEGEL.de führen

Im Zweifel kann ein Gegencheck helfen:

Ganz unten auf SPIEGEL.de ist unser Twitterkonto verlinkt – führt ein Klick darauf auf fraglichen Account?

Foto: DER SPIEGEL

Selbst Accounts, die Twitter-Chef Elon Musk ausdrücklich kritisieren, wurden mit kostenlosen Häkchen beschenkt. So etwa die Aktivistengruppe Anonymous, die den blauen Haken bekam, nachdem sie am Freitag getwittert hatte: »Die einzigen Menschen auf Twitter, die noch blaue Häkchen haben werden, sind Nazis.« Ebenso erging es dem Account des Blogs »Volksverpetzer«, der nach Veröffentlichung eines kritischen Textes über Twitter den Verifikationshaken bekam.

Auf Twitter bezeichnete Unterhaltungskünstler Jan Böhmermann die blauen Symbole als »HAKEN DER SCHANDE« , nachdem er selbst ebenfalls mit einem solchen ausgezeichnet worden und ihn nur mit einem Trick wieder losgeworden war, nämlich indem er seinen Account kurz umbenannte . Das scheint aber nur halb zu funktionieren, denn wie Böhmermann, der am Montagvormittag immer noch hakenfrei bei Twitter auftaucht, schreibt, stehen ihm die übrigen Funktionen eines Twitter-Blue-Abos weiterhin zur Verfügung . Ohne zu bezahlen, wie er anmerkt.

Empfohlener externer Inhalt
An dieser Stelle finden Sie einen externen Inhalt von X.com, der den Artikel ergänzt und von der Redaktion empfohlen wird. Sie können Ihre Zustimmung jederzeit wieder zurücknehmen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

Reichweite gegen Geld

Dass selbst das renommierte Massachusetts Institute of Technology (MIT) sich gezwungen fühlte klarzustellen, dass es für seinen blauen Haken nicht bezahlt hat , zeigt, welche Symbolkraft die einst zur Authentifizierung besonderer Accounts genutzten Twitter-Haken mittlerweile haben. Der jetzt nur noch gegen Geld erhältliche Haken diente einst als Symbol für verlässliche oder doch zumindest authentische Quellen.

Nachdem er nur noch ein Symbol für den Abschluss eines Abos ist, wird es schwieriger, echte von Fake-Accounts zu unterscheiden. So erreichten solche Accounts, die vorgaben, der Bürgermeisterin von Chicago und den Verkehrsbetrieben von Illinois zu gehören, eine sechsstellige Zahl von Nutzerinnen und Nutzern mit einem frei erfundenen Hinweis: Demzufolge sollte der DuSable Lake Shore Drive, eine wichtige zehnspurige Straße, ab dem 1. Mai für den Verkehr geschlossen werden .

Zudem erkauft man sich mit den Bezahlhäkchen Reichweite. Laut Twitter erhalten Abo-Accounts »Priorität bei den Rankings in Konversationen und in der Suche«. Für ein paar Euro pro Monat kann man also dafür sorgen, dass die eigenen Botschaften auf Twitter mehr Nutzerinnen und Nutzer erreichen, unabhängig von deren Wahrheitsgehalt oder politischer Ausrichtung.

mak