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Diskussion zu Ego-Shootern Einmal tief durchatmen. Alle.

Der Amokläufer von München hat also "Counter-Strike" gespielt - und sofort kochen die Gemüter hoch. Das Thema zeigt, wie schwer sich Spieler, Medien und Politik im Umgang miteinander tun.
"Counter-Strike"-Turnier

"Counter-Strike"-Turnier

Foto: DPA

Wir sollten uns alle mal wieder beruhigen - und dann reden. Während ich diesen Text schreibe, fahre ich sieben Stunden Bahn, neue Tweets zum Trend-Hashtag "Killerspiele" empfange ich nur an Bahnhöfen.

Ich war auf einem Junggesellenabschied, traf dort Freunde, mit denen ich mich schon oft in Videospielen duelliert habe. Wir haben uns jahrelang gedisst und mitunter virtuell fertiggemacht, sind bis heute aber weder durch Gewalttaten aufgefallen noch Amok gelaufen.

Der Münchner David S. dagegen hat Freitag neun Menschen erschossen. Der 18-Jährige sei gemobbt worden, liest man, und soll den Amokläufer von Winnenden, Tim K., verehrt haben. Und er hat wohl "Counter-Strike: Global Offensive" und "Counter-Strike: Source" gespielt, Spiele mit Millionen Fans weltweit.

Erstes Bauchgefühl: Aha

Meine erste Reaktion auf die "Counter-Strike"-Meldung war wohl dieselbe wie bei vielen Leuten: Aha. Vermutlich ist das nicht der Grund für eine Menschenjagd mit einem Jahr Planung.

Trotzdem bahnt sich ein neuer Streit um Shooter an oder zumindest der übliche Austausch bekannter Positionen. Tage nach einem Amoklauf oder einem Terroranschlag sind nicht bekannt dafür, dass an ihnen rational diskutiert wird.

Dass Shooter wieder Schlagzeilen machen, deutete sich schon Samstag an, als Innenminister Thomas de Maizière nach eigener Aussage auch selbst "besonders aufgewühlt" war. Er sagte trotzdem, es sei "nicht zu bezweifeln, dass das unerträgliche Ausmaß von gewaltverherrlichenden Spielen im Internet auch eine schädliche Wirkung auf die Entwicklung gerade junger Menschen hat".

Dann kam noch ein Nachsatz: "Das kann kein vernünftiger Mensch bestreiten." Und sofort war klar: Natürlich geht das, es ist sogar wichtig, dass über das Thema gestritten wird. Schließlich ist die Studienlage zur Wirkung von Shootern alles andere als klar .

Der Hashtag "Killerspiele" ist zurück

"Killerspiele" war als Hashtag zurück, bemerkenswerterweise ohne dass de Maizière den Begriff benutzt hatte. Dafür, dass viele Spielefans das Wort nach den Nullerjahren nie wieder hören wollten, erwähnen sie es selbst auffallend oft, und sei es ironisch.

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Ärger um "Counter-Strike" und Co.: Zehn denkwürdige Momente der Killerspiel-Debatte

Foto: Andreas Gebert/ dpa

Als Sonntag die "Counter-Strike"-Informationen die Runde machten - SPIEGEL-TV-Erkenntnisse erschienen auf SPIEGEL ONLINE - nahm das Thema weiter Fahrt auf. Einige Leser störten sich an einer ungelenken Formulierung zum Chatprogramm TeamSpeak. Wieder andere interpretierten den Bericht schon wegen des Begriffs "Gewaltspiele" so, dass hier Stimmung gegen Ego-Shooter gemacht werden sollte. Und einer schimpfte sogar, dass "Counter-Strike" in Anführungszeichen steht, als wäre es ein "Fremdkörper". Dabei schreiben wir bei SPIEGEL ONLINE jeden Spielenamen so, egal ob Shooter oder "Fifa 16".

Das tatsächlich Interessante an der Recherche - der Münchner S. nutzte online Namen wie "Amoklauf" und "Hass" - schien manchen Lesern egal zu sein.

Am besten gar nicht berichten?

Auch im Netzwelt-Ressort habe ich manchmal den Eindruck, einigen Spielefans wäre es lieber, die großen Medien würden nie oder wenn überhaupt nur positiv über Spiele berichten statt in vielen Facetten. Im umstrittenen Artikel ging es im Kern nicht einmal um "Counter-Strike" selbst, sondern um das, was sich durch das Spiel und einen seiner Mitspieler über S. erfahren ließ.

Das Verhältnis zwischen Gamern auf der einen und Medien und Politikern auf der anderen Seite ist ein Problem, es scheint vergiftet. Es wird viel pauschalisiert und übereinander geredet statt miteinander. Es wird sich wenig zugehört und zugetraut.

Vielleicht sollte ich hier daher noch einmal erwähnen, dass ich weiß, dass "die Gamer" eine heterogene Gruppe sind. Genauso sind es aber "die Politiker" und "die Medien". Und diese Gruppen verändern sich ständig, zumal oft auch Gamer Journalisten sind oder Bundestagsabgeordnete Spielefans. Alle Seiten können besser und fairer werden im Umgang miteinander.

Es gibt Gründe, zu debattieren

Obwohl es nach München erst einmal wieder krachte, bin ich optimistisch. Leider nur selten ist de Maizères letzter Pressekonferenzsatz zu Spielen mit zitiert worden, dabei ist dieser wohl der vernünftigste: "Das ist etwas, das in dieser Gesellschaft mehr diskutiert werden sollte als bisher", sagte der Innenminister.

Wenn manche Politiker und Medien mit Spielern nur noch in Form von Anfeindungen und Shitstorms in Kontakt kommen würden, wäre das ein trauriger Zustand.

Bei Shootern scheinen viele zu glauben, eine Debatte, wo auch immer, könne nur hinauslaufen auf die Frage "Verbieten oder nicht?". Deshalb ist es ihnen am liebsten, wenn über das Thema möglichst wenig geschrieben wird. Das ist schade, scheint die Gesellschaft im Umgang mit Spielen doch weiter als in den Nullerjahren.

Jetzt kommen die VR-Shooter

Ständig machen wir beim Spielen neue Erfahrungen, etwa in Form der ersten Virtual-Reality-Shooter, mit denen verglichen "Counter-Strike" unspektakulär daherkommt. Wenn sich unser Blutdruck gesenkt hat, könnten wir auch diskutieren, wie in Schulen über Shooter und ihr Reiz auf junge Menschen gesprochen werden sollte oder wie gut es Nintendo gelang, mit "Splatoon" einen familientauglichen Shooter zu entwickeln.

Und wir könnten darüber nachdenken, wie man als Gruppe oder Community mit Spielern umgehen kann, die sich "Hass" nennen oder solchen verbreiten - mit Spielern wie David S. aus München.

Bei SPIEGEL ONLINE, dem Medium mit dem angeblich ach so fürchterlichen "Counter-Strike"-Text gestern, haben übrigens viele Redakteure gute Erfahrungen mit Shootern gemacht - eine Kollegin sogar lebensverändernde. Sie hat ihren Mann übers Spielen kennengelernt - über "Half-Life", jenes Spiel, aus dem per Fan-Erweiterung später "Counter-Strike" entstand.