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Blinder Woelki, fliegender Robert Zehn Motivwagen – und was sie bedeuten

Wer verpasst den Grünen einen Tritt in den Allerwertesten? Wer ist Sahras neuer Wagenknecht? Und wo bezieht man sich auf eine Erzählung aus dem Struwwelpeter? Zehn originelle Karnevalswagen kurz erklärt.
Motivwagen bei Umzügen

Motivwagen bei Umzügen

Foto: [M] DER SPIEGEL; Fotos: Oliver Berg / dpa; Federico Gambarini / dpa; Guido Schiefer / epd / IMAGO; Bettina Strenske / IMAGO

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Bisweilen ist ihre Bedeutung offensichtlich, oft sind sie hintersinnig: Motivwagen dominieren vielerorts die Karnevals- und Faschingsumzüge. Manche Wagen werden schon vorher in Hallen präsentiert, manche bis zuletzt geheim gehalten. Und manche werden aus besonderem Anlass, so geschehen in diesem Jahr, schon vor dem eigentlichen Umzug auf einer Demo präsentiert. Nicht immer erschließt sich ihr Sinn sofort, nicht immer sind die Wagen hochpolitisch. Doch in Nord, Ost, Süd und West fließt viel Liebe zum Detail in die Entwürfe. Wir zeigen zehn ausgewählte Exemplare und erklären ihre Bedeutung.

Der blinde Kardinal Woelki in Köln

Foto: Political-Moments / IMAGO

Er ist ein Dauergast beim Kölner Karneval, allerdings nicht als Person, sondern als Persiflage: Kardinal Rainer Maria Woelki. Zum vierten Mal ziert sein Antlitz einen Motivwagen. Hintergrund ist, mal wieder, der Missbrauchsskandal in der katholischen Kirche und wie der Bischof damit umging. Im vergangenen Jahr durchforsteten Ermittler den Wohnsitz des Kirchenmannes, das erzbischöfliche Haus in Kölns Innenstadt. Im Kern geht es um die Frage, wann Woelki von Missbrauchsvorwürfen gegen Geistliche wusste. Dazu soll er, so der Vorwurf, vor Gericht falsche Angaben gemacht haben, was er zurückweist. Die Jecken finden: Das Offensichtliche kann der Kardinal nicht sehen, weil die Bänder seiner Mitra seine Augen bedecken.

Statement für Toleranz in Braunschweig

Foto: Moritz Frankenberg / dpa

Schon am Sonntag zogen die Närrinnen und Narren beim »Schoduvel« in Braunschweig durch die Straßen. Das Motto lautete: »Er, sie, es, divers und frei – Brunswieks Narren sind dabei«. In Zeiten identitätspolitisch aufgeladener Diskussionen sollte das ein Statement für Toleranz sein. Zum ersten Mal mit einem eigenen Motivwagen dabei waren die Macher des örtlichen internationalen Tennisturniers. Für die »Brawo Open« bot sich ein doppelter Anlass für das Wortspiel »30 Love« auf ihrem Gefährt. Zum einen findet das Turnier in diesem Jahr zum 30. Mal statt. Und zum anderen wird der Spielstand »null« im Tennis englisch mit dem Wort »love« gezählt – was den meisten Menschen außerhalb der Sportart wohl in einer anderen Übersetzung geläufig ist. Auf dem Tennisplatz heißt es also 30:0, im Karneval gilt dagegen: viele Punkte für die Liebe.

Baerbock als Elefantin in Köln

Foto:

Oliver Berg / dpa

An einem Dienstag im Januar 2023 hatte die deutsche Außenministerin Russland aus Versehen den Krieg erklärt. So zumindest konnte man ihre Aussage vor dem Europaparlament in Straßburg missverstehen: »Wir kämpfen einen Krieg gegen Russland und nicht gegeneinander«, hatte sie auf Englisch gesagt. Ihr Außenamt versuchte umgehend, die Worte zu erklären. Vielleicht ist damit das Porzellan gemeint, das Baerbock auf dem Motivwagen der Kölner Karnevalisten zertrampelt. Sie lassen die Ministerin als Elefantin auftreten, die ihre »wertebasierte Außenpolitik« vor sich herträgt. Sie selbst spricht bisweilen von »wertebasierter feministischer Außenpolitik«. International ist Baerbock heute jedenfalls eine geschätzte Politikerin, und wenn Porzellan kaputtgegangen ist, dann vielleicht eher im Verhältnis zu ihrer Partei. Manche Grüne hadern mit ihr, seit sie etwa Eurofighter-Lieferungen an Saudi-Arabien befürwortete. Vielleicht, so war zu Jahresbeginn aus der Fraktion zu hören, könne man die Flieger rosa anmalen, »dann sind sie wenigstens feministisch«.

Ministerpräsident Rhein in Frankfurt am Main

Foto: Florian Gaul / greatif / IMAGO

Rhein sagt Nein – zu den Grünen: Der Motivwagen aus Frankfurt am Main zeigt den hessischen Ministerpräsidenten Boris Rhein. Nach der Landtagswahl im vergangenen Jahr beendete der CDU-Mann die grün-schwarze Koalition. Zehn Jahre hatten die Parteien das Land gemeinsam geführt, zum ersten Mal gab es eine solche Koalition in einem Flächenland. Rhein hätte mit ihnen weitermachen können, doch er entschied sich im November für die Sozialdemokraten . Was sich für die hessischen Grünen möglicherweise ähnlich unsanft anfühlte wie hier durch den Tritt in den Allerwertesten symbolisiert.

Braunes für die Braunen in Köln

Foto: Guido Schiefer / epd / IMAGO

Dieser Motivwagen für den Kölner Rosenmontagsumzug wurde entgegen der Tradition schon deutlich früher öffentlich gezeigt, bei einer Demonstration gegen Rechtsextremismus. Der Präsident des Festkomitees, Christoph Kuckelkorn, sagte, der Karneval habe aus der Vergangenheit gelernt: 1934 seien antisemitische Wagen im Zug mitgefahren. »Das darf nie wieder passieren.« Die Figur, die da blank gezogen hat, heißt Kallendresser, frei übersetzt »Regenrinnenscheißer«. Das Relief hängt an einem Gebäude gegenüber dem Kölner Rathaus und sollte, so eine Interpretation, den Hohn der selbstbewussten Kölner Bürger auf die im Rathaus tagenden Politiker symbolisieren. Heute trifft die Ausscheidung andere, Braunes für die Braunen, könnte man sagen.

»From Russia with Love« in Düsseldorf

Foto: Bettina Strenske / IMAGO

Russlands Präsident Wladimir Putin, in militärischer Kluft, kann sein Glück kaum fassen: Vor ihm kniet ein Kirchenmann in eindeutiger Pose, so zeigt es dieser Düsseldorfer Motivwagen des Bildhauers Jacques Tilly. Zu sehen ist Kirill I., Patriarch der russisch-orthodoxen Kirche. Der hohe Geistliche vertritt 150 Millionen Gläubige – und ist ein fanatischer Anhänger des russischen Überfalls. Der Krieg gegen die Ukraine habe »einen metaphysischen Sinn«, verkündete er . Und behauptete: »Die Menschen im Donbass wollen keine Schwulenparaden«, wie sie vom Westen propagiert würden. Weil sie sich dem widersetzten, werde ihr »Widerstand gewaltsam unterdrückt«. Putins Herrschaft nannte er ein »Wunder Gottes«. Kein Wunder: Das Regime war immer gut zu ihm, Kirill I. kam laut Berichten unabhängiger russischen Medien auf verschlungenen Pfaden zu einem Milliardenvermögen. Die Liebe zu dem russischen Machthaber scheint unendlich, »from Russia with Love« steht unter dem Wagen.

»Ziethe-Express« in Köthen

Foto: Heiko Rebsch / dpa

Monika Todte und Till Mormann von der Köthener Karnevalsgesellschaft in Sachsen-Anhalt machen den »Ziethe-Express« frisch. Der Zug ist einer Dampflok der 90er-Baureihe nachempfunden, Köthen liegt am Fluss Ziethe. Der Karneval in der Stadt steht unter dem Motto: »Oh wie wunderbar: KUKAKÖ wird 70 Jahr!« Die Abkürzung steht für Kuh-Kaff-Köthen, eine Erinnerung daran, dass der Ort einst ein zentraler Viehhandelsplatz war.

Sahras neuer Wagenknecht in Düsseldorf

Foto: Thilo Schmuelgen / REUTERS

Er trägt ihr den Umhang: Sahra und ihr »neuer Wagenknecht«, so bezeichnen die Düsseldorfer Jecken den Mann, der hinter der Politikerin schreitet. Es ist Thomas Geisel, ein Weggefährte Gerhard Schröders, Verteidiger der Agenda 2010 – und ehemaliger SPD-Oberbürgermeister von Düsseldorf. Geisel tritt bei der Europawahl in diesem Jahr für die neu gegründete Partei Bündnis Sahra Wagenknecht an. Die Düsseldorfer Jecken zeigen ihn mit auffällig rotem Gesicht. Ist das Freude oder gar ein wenig Scham?

Die aufgepumpte Alice Weidel in Köln

Foto: Horst Galuschka / IMAGO

Wer machte die AfD groß? In Köln hat man darauf eine eindeutige Antwort gefunden. Es waren aus Sicht der Jecken die Ampelparteien SPD, Grüne und FDP, die durch ihr Handeln in der Regierungskoalition die Blauen aufpumpten. Hier symbolisiert durch die Co-Parteichefin Alice Weidel, die stark an Umfang gewonnen hat. Vielleicht nur heiße Luft?

Der fliegende Robert in Mainz

Foto: Arne Dedert / dpa

Er darf nicht fehlen in dieser Reihe: Robert Habeck, Wirtschaftsminister, seit vergangenem Jahr vielleicht auch Wärmepumpenminister. Mit einem Gesetz wollte der Grünenpolitiker den Ausbau von Öl- und Gasheizungen forcieren, es gab Streit in der Koalition, die Reaktionen in der Bevölkerung waren heftig. Der Mainzer Carnevals-Verein (MCV) baute einen Motivwagen um diese Episode. »Habeck hat beim Heizungsgesetz die Bodenhaftung verloren«, kommentierte der MCV. Der Minister wird vor einer Wärmepumpe durch die Luft geschleudert. Der Aufzug Habecks mit Hut und rotem Schirm ist eine Anspielung an die Geschichte vom fliegenden Robert aus dem »Struwwelpeter«. Der Protagonist war in ein Unwetter geraten, was man über Habeck ebenfalls sagen kann .

jpz

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