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Silvesternacht im Zeichen der Gewaltprävention Kölns Konzept scheint aufzugehen

Zwei Jahre ist es her, dass massive Gewalt gegen Frauen in deutschen Städten in der Silvesternacht weltweit für Entsetzen sorgte. Im Fokus: Köln. Vor einem Jahr folgte dort eine Überreaktion der Polizei. Wie lief es diesmal?
Von Christian Parth
Innenminister Herbert Reul spricht am 31.12.2017 vor dem Hauptbahhof in Köln mit Polizistinnen

Innenminister Herbert Reul spricht am 31.12.2017 vor dem Hauptbahhof in Köln mit Polizistinnen

Foto: Henning Kaiser/ dpa

Es ist eine Demonstration der Stärke. Gegen 21.30 Uhr betritt Nordrhein-Westfalens Innenminister Herbert Reul das Koordinierungszentrum für die Silvesternacht im ersten Stock des Kölner Rathauses, um sich selbst ein Bild der Lage zu verschaffen. Eilig erheben sich die Verantwortlichen von ihren Stühlen und erstatten Bericht.

Es wird geplaudert und gelacht. Auf einem Flachbildschirm läuft stumm eine WDR-Comedyshow. Auf drei Leinwänden werden Karten und Tabellen mit laufenden Einsätzen projiziert. Der bis dahin ereignisreichste Eintrag ist von 21. 12 Uhr: "Personenhäufung (unbestätigt, wird geprüft)."

Dann wendet sich Reul der Presse zu. Neben ihm stehen die Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker und Polizeipräsident Uwe Jacob, beide auffällig gut gelaunt. "Die Lage ist sehr ruhig", sagt Reul, der sich entschieden hat, die Silvesternacht auf der Domplatte zu verbringen.

Silvester 2017 am Dom in Köln

Silvester 2017 am Dom in Köln

Foto: Henning Kaiser/ dpa

Er spricht seinen Dank aus an die etwa 3000 Einsatzkräfte, die in dieser Nacht dafür sorgen sollen, dass die Menschen sicher feiern können. Seine Worte geraten zu einem Grundsatzvortrag über innere Sicherheit. "Vor fünf Jahren noch waren die Dinge anders, doch die Sicherheitslage hat sich geändert." Überall in der Welt seien die Gefahren größer geworden, gerade seit der Zerschlagung des Islamischen Staats. "Wir stehen im Fokus", sagt der Minister und fügt entschlossen an: "Sicherheit wird in Zukunft eine neue Bedeutung bekommen."

Draußen hat es angefangen zu regnen. Etwa hundert Meter entfernt, an der Domplatte, herrscht der Ausnahmezustand. Allerdings nicht wegen marodierender Männergruppen aus Nordafrika, die vor zwei Jahren den Platz für einige Stunden in einen rechtsfreien Raum verwandelt hatten und die Kölner Silvesternacht über die Grenzen Deutschlands hinaus zu einem Synonym für eine angeblich gescheiterte Flüchtlingspolitik werden ließen. Dieses Mal ist es der Sicherheitsapparat, der die Besucherströme beeindruckt: 1400 Polizisten auf den Straßen, zahlreiche Bundespolizisten im Hauptbahnhof, 170 Ordnungskräfte der Stadt, 570 Feuerwehrleute, 400 Mitarbeiter privater Sicherheitsunternehmen, dazu noch Sanitäter und 20 Streetworker.

Polizisten am Eingang des Kölner Hauptbahnhofs

Polizisten am Eingang des Kölner Hauptbahnhofs

Foto: Henning Kaiser/ dpa

Das Gebiet rund um den Dom wurde mit Zäunen abgeriegelt, der Zutritt zur böllerfreien Zone läuft ausschließlich über Checkpoints mit rigiden Einlasskontrollen. "Es ist schon irre, was für ein Aufwand betrieben wird", sagt Christian Dohmann. "Aber es muss wohl sein. Es ist eben eine neue Zeit." Der Kölner war bereits im vergangenen Jahr auf die Domplatte gekommen, um Flagge zu zeigen. "Es darf nicht passieren, dass Frauen belästigt werden. So geht das nicht. Die Domplatte war immer ein Platz zum Feiern. Diese Freiheit muss gewahrt bleiben."

Vor zwei Jahren war die Lage in der Silvesternacht vollkommen aus dem Ruder gelaufen. Auf dem Bahnhofsvorplatz unterhalb des Doms wurden Raketen gezielt in die Menge geschossen. Im dichten Gedränge in der Bahnhofshalle wurden Besucher beklaut und Frauen begrapscht.

Die Polizei, die kaum präsent war, hatte die Kontrolle verloren und doch am Tag darauf in ihrem Einsatzbericht geschrieben, dass die Nacht ohne besondere Vorkommnisse verlaufen sei. Am Ende wurden mehr als 1200 Strafanzeigen erstattet, die meisten wegen sexueller Nötigung, Raub oder Diebstahl. Der Landtag setze einen Untersuchungsausschuss ein, der im März 2017 einen 1352-Seiten starken Abschlussbericht veröffentlichte.

Doch nicht nur die Sicherheitsbehörden hatten auf ganzer Linie versagt. Auch Oberbürgermeisterin Reker machte in der Krise keine gute Figur und formulierte nur wenige Tage nach den Geschehnissen, die weltweit Nachrichtenseiten füllten, einen Satz, der sie bis heute verfolgt. Sie empfahl Frauen, in solch brenzligen Situationen "eine Armlänge Abstand" zu halten.

In der Silvesternacht auf 2017 reagierte die Polizei mit einem massiven Einsatz. Doch wieder lief etwas schief. Erneut reisten Dutzende Kleingruppen von Flüchtlingen an, die zunächst im Bahnhof festgehalten, dann als eine große Gruppe nach draußen geschickt und schließlich kontrolliert wurden. Der Vorwurf wurde laut, die Polizisten hätten dabei "racial profiling" betrieben, hätten sich also potentielle Verdächtige nach ihrem Aussehen rausgepickt. Hinzu kam ein Tweet der Polizei, in dem der Begriff Nafri, eine Kurzform für Nordafrikaner, benutzt wurde. Ein Jahr nach der Aufregung über den zu laschen Umgang der Polizei mit Flüchtlingen mussten sich die Beamten nun einer Rassismus-Debatte stellen. "Das war schon abstrus", erinnert sich Wolfgang Baldes, Pressesprecher der Kölner Polizei.

Dieses Jahr dagegen scheint das Konzept aufzugehen.

Lichtinstallation am Dom

Lichtinstallation am Dom

Foto: Henning Kaiser/ dpa

Von zahlreichen Kameras begleitet läuft Baldes, blaue Uniform, das kurze Haar unter einer Polizeimütze versteckt, an der Seite von Minister Reul über die Domplatte. Die Stimmung ist friedlich. Einige Tausend Besucher wippen zu Elektrosounds und bewundern die imposante Lichtinstallation des Künstlers Ingo Dietzel, die auf das derzeit geschlossene Dom-Hotel geworfen wird. Auch das englische Wort "Respect" ist überall in bunten Farben zu lesen. Die Stadt hat es zum Motto erhoben und 15.000 Armbänder damit bedrucken und verteilen lassen.

Auch dieses Jahr sind wieder viele Flüchtlinge gekommen. Einige von ihnen laufen den Kameras hinterher und versuchen, Selfies mit Reul zu machen. Danach fragen sie: "Wer ist das?"

Mitten im Trubel stehen Amin und sein Kumpel Ramel und trinken Kölsch aus der Flasche. Seit einem Jahr leben die beiden Tunesier in Deutschland. Für die Silvesterparty am Dom sind sie aus Bonn angereist. Sie haben erst kürzlich gehört, was damals passiert ist. "Das ist schlimm", sagt Ramel, der als Operationsassistent in einem Krankenhaus arbeitet. "Wir sind hier, um das Bild, das andere kaputt gemacht haben, wieder zu verbessern." Was geschehen ist, dürfe sich nicht wiederholen.

Um Mitternacht singt der "Cologne Gospel Chor" auf der Bühne den Party-Hit "Celebration" von Kool & The Gang. Der Platz ist fast voll, rund 10.000 Besucher, schätzt die Polizei. Fremde Menschen fallen einander in die Arme, über ihnen das Feuerwerk. Es ist die Stimmung, die sich die Stadt nach all den Pannen und Blamagen so sehr gewünscht hat.

Kurz darauf allerdings beenden heftiger Wind und eisiger Regen die Party. Bilanz bis dahin: 54 Personenkontrollen und neun Platzverweise. Neun Frauen erstatteten Anzeige, weil sie unsittlich berührt worden seien. Die endgültige Auswertung folgt am Montagnachmittag.

SPIEGEL TV: Rekonstruktion der Silvesternacht (10.01.2016)

SPIEGEL TV


Anmerkung: In einer früheren Version war die Zahl der Einsatzkräfte nicht korrekt. Wir haben den Fehler korrigiert.