Zum Inhalt springen
Fotostrecke

Shahin Najafi: Todesdrohungen wegen regimekritischer Songs

Fatwa gegen Musiker Najafi "Es tut ihm gut, Zuspruch zu bekommen"

Shahin Najafi fürchtet um sein Leben. Der in Köln lebende Musiker aus Iran ist ins Visier der Ajatollahs geraten, ein Religionsgelehrter hat ihn zum Ketzer erklärt. Im Internet wurde ein Kopfgeld auf ihn ausgesetzt. Jetzt sucht Najafi die Öffentlichkeit. Erster prominenter Unterstützer ist Günter Wallraff.

Shahin Najafi bangt um sein Leben. Der in Köln lebende Musiker musste abtauchen, weil er ins Visier der iranischen Glaubenshüter geraten ist. Eine Woche ist es her, dass die Nachrichtenagentur Fars Najafi ihn unter Verweis auf einen Spruch des Großajatollah Golpayegani als "vom Glauben abgefallen" bezeichnete. Auf das eher allgemeine Urteil gegen "Menschen, die den Imam beschimpfen und verunglimpfen", folgte an diesem Montag ein weiterer Spruch: Gefragt, was mit "beleidigenden Sängern" geschehen solle, antwortete der als Hardliner bekannte Rechtsgelehrte Naser Makarem Schirasii auf seiner Webseite, solche Sänger seien "Ketzer".

Wen Schirasi genau meinte, ließ er offen. Auch vermied er eine formelle Fatwa (Rechtsmeinung), Najafis Namen erwähnte er nicht explizit. Für Fanatiker könnte die Sache trotzdem klar sein: Für sie ist Najafi zum Vogelfreien erklärt worden, der sein Leben verwirkt hat. Der im Vagen bleibende Spruch der Religionsgelehrten käme damit einem Todesurteil gleich.

Najafi hatte das bereits so gesehen, als der Spruch des greisen Großajatollah Golpayegani erstmals auf ihn bezogen wurde. Im SPIEGEL-Interview gab er sich kämpferisch: "Ich mache weiter, das weiß ich. Ich kann mich nicht verstecken. Ich bin Musiker. Ich muss auftreten." Allerdings war er sich auch der Bedrohung bewusst. Anfangs habe er die Situation noch falsch eingeschätzt. "Ich konnte es nicht glauben. Erst als ich im Internet das Kopfgeld sah, die 100.000 Dollar, die auf mich ausgesetzt worden sind, verstand ich wirklich, das ist jetzt ernst."

Der Sänger zeigte den Ajatollah in Köln an: Seitdem ist der Fall aktenkundig. Polizei und Staatschutz nahmen Ermittlungen auf, Najafi tauchte ab. Wo genau er sich aufhält und ob er dort auch von den Behörden geschützt wird, ist nicht bekannt. Die "Zeit" berichtete am Dienstag vorab, Najadi befinde sich "unter Schutz von Günter Wallraff". Najadis Manager Schahryar Ahadi bestätigte SPIEGEL ONLINE, dass man "im Kontakt mit Günter Wallraff" stehe.

Behörden gehen von Bedrohungspotential aus

Das nordrhein-westfälische Innenministerium verweist bei allen Fragen zum Fall Najafi auf die zuständige Behörde in Köln. Dort gibt man sich äußerst verschlossen: "Sie müssen verstehen, dass wir zum Schutze der Person Najafi keine Auskünfte über Maßnahmen machen, die der Sicherheit der Person dienen."

Die Nervosität sei berechtigt, sagt der Jurist und Islamexperte Mathias Rohe von der Uni Erlangen. Gefährlich sei schon der erste Spruch gewesen, obwohl es sich rein formell nicht um eine Fatwa mit Gutachten-Charakter gehandelt habe. "Gerade bei den Schiiten halten sich viele an Aussagen angesehener Gelehrter hohen Ranges. Es ist sehr schwer einzuschätzen, wie ernst man solche Drohungen nehmen muss. Allerdings ist zu befürchten, dass es Fanatiker gibt, die sich nicht auf Maulheldentum beschränken und vor kriminellen Übergriffen nicht zurückschrecken."

Tatsächlich waren schon kurz nach dem Bericht der Nachrichtenagentur Fars, die Najafi erstmals öffentlich als Ketzer darstellte, im Internet Hass-Seiten aufgetaucht. Dort wurden wüste Drohungen gegen den Sänger ausgesprochen. Najafi ist Fundamentalisten seit langem ein Dorn im Auge: Immer wieder thematisiert er in seinen oft satirisch geprägten Liedern Missstände in Iran. Najafi verließ das Land 2006, nachdem er unter Druck gesetzt worden war, politische Inhalte aus seinen Songs zu entfernen.

Dass der Spruch eines Ajatollah nun gegen ihn angeführt wird, macht die Lage noch ernster. Weder sei eine formelle Fatwa nötig, um Fanatiker zu mobilisieren, erklärt Islamexperte Rohe, noch habe eine formelle Fatwa automatisch höheres Gewicht: "Bindungswirkung haben Fatwas nicht; sie leben allein von der Autorität des Gutachters."

Die Sprüche gegen Najafi werden demnach keineswegs als allgemeiner Aufruf zur Hatz verstanden, gefährlich sind sie trotzdem: "In der Rushdie-Affäre sagten manche, dass die Vollstreckung des Todesurteils für Apostasie - das steckt letztlich hinter dem 'Abfall vom Glauben' - allenfalls von staatlichen islamischen Autoritäten ausgeführt werden dürfe. Das hält Fanatiker nicht unbedingt davon ab, die Sache selbst in die Hand zu nehmen."

Prominente zu Sündern erklärte sind besonders gefährdet

Najafi sucht nun die Öffentlichkeit, gab in den letzten Tagen mehrere Interviews. Es ist ein Drahtseilakt. "Es tut ihm gut, Zuspruch zu bekommen", sagt sein Manager Schahryar Ahadi. Den gibt es vermehrt, seit die Medien berichten. Vorher sah sich Najafi vor allem mit einer Welle des Hasses konfrontiert, die ihm entgegenschlug. Doch auch die Tatsache, dass Najafi durch die Berichterstattung an Popularität gewonnen hat und präsenter ist, birgt ein Risiko.

"Das Öffentlichmachen wird mögliche Fanatiker herausfordern, aber auch innermuslimische Kräfte mobilisieren, die Gewalttaten scharf ablehnen", sagt Rohe. Öffentlichkeit ist demnach Schutz und Gefährdung zugleich. Entschärfen könnte die Situation eventuell der Sänger selbst. "Nach den klassischen Regeln hat der des Glaubensabfalls Beschuldigte die Möglichkeit, Reue zu bekunden", sagt Islamexperte Rohe. "Tut er das, bleibt er den Regeln zufolge straffrei."

So wenig eine Fatwa einem definitivem Urteil oder Befehl gleicht, so wenig Verlass ist darauf, dass ihre Aufhebung die Gefährdung beendet. Die auf seinem Roman "Die satanischen Verse" basierende Fatwa gegen den Schriftsteller Salman Rushdie wurde vom iranischen Revolutionsführer Khomeini 1989 offen als zu vollstreckendes Todesurteil verkündet. Obwohl sich die iranische Staatsführung 1998 und 2001 von diesem Urteil distanzierte und die Affäre Rushdie für "beendet" erklärte, gilt der in Indien geborene Brite weiterhin als gefährdet. Zuvor hatte Rushdie sich öffentlich entschuldigt.

In der "Zeit" ruft der prominente Journalist Günter Wallraff zur Solidarität mit Najafi auf: "Shahin ist nicht so berühmt wie Salman Rushdie, der 1989 in einer Fatwa mit dem Tod bedroht wurde. Ich habe damals Rushdie bei mir aufgenommen. Ich wünsche mir jetzt, dass wir eine breite Solidarität mit Shahin organisieren können. Ich rufe die Künstler und Musiker dieses Landes auf, ihm zu helfen."

Mehr lesen über

Verwandte Artikel