Zum Inhalt springen

Prostitutionsverbot in Schweden "Glückliche Huren gibt es nicht"

Das Prostitutionsverbot in Schweden zeigt Wirkung: Die Zahl der Huren und der Menschenhandel haben deutlich abgenommen. Den Frauen wird beim Ausstieg aus der Szene geholfen, die Ächtung des Kaufs sexueller Dienstleistungen bereits im Grundschulunterricht vermittelt.
Von André Anwar

Stockholm - Es ist 21 Uhr auf Stockholms Straßenstrich. Hier an der Malmskillnadsgatan standen früher viele Frauen. An diesem Abend sind es nur drei. Es passiert lange nichts. Dann kommt ein älterer Mann mit Schnapsfahne die Rolltreppe aus der U-Bahnstation Högtorget hoch. Er bleibt bei einer der Frauen stehen. Nur kurz. Dann geht die Hure los und lotst den Freier in gehörigem Abstand an einen abgelegenen Ort.

Die Vorsicht ist angebracht. Bis zu sechs Monate Haft drohen dem Freier, falls die beiden von der Polizei erwischt werden.

Denn in Schweden gilt ein weltweit einmaliges Gesetz: Kauf und Vermittlung von sexuellen Diensten sind verboten, während der Verkauf von Sex legal bleibt. Zuhälter müssen mit bis zu sechs und Frauenhändler mit bis zu zehn Jahren Gefängnis rechnen. "Es geht darum, die Nachfrageseite, die Freier, zu kriminalisieren und nicht darum, seelisch und körperlich ausgenutzte Frauen hinter Gitter zu bringen", sagt der Stockholmer Kriminalinspektor Jonas Trolle.

Umstritten ist dieses Gesetz in Schweden heute kaum noch. 80 Prozent der Bevölkerung teilen die Ansicht des Polizeibeamten Trolle. Als das Sex-Kaufverbot 1999 durch eine Mehrheit aus Sozialdemokraten, Grünen und Linken im schwedischen Reichstag verabschiedet wurde, widersprachen vor allem konservative Parlamentarier. Sie gaben zu bedenken, dass ein solches Verbot die Prostitution in den Untergrund verdrängen und den Frauen das Leben erschweren würde.

Weniger Prostituierte

Doch die Bilanz kann sich sehen lassen. "Wir haben heute deutlich weniger Prostitution als unsere Nachbarländer, auch wenn wir berücksichtigen, dass ein Teil im Verborgenen geschieht", sagt Trolle. "In Stockholm sind nur noch zwischen 105 und 130 Frauen aktiv - Internet und Straßenstrich zusammengenommen. In Oslo sind es 5000."

Kaum ein EU-Land hat heute weniger Probleme mit Menschenhandel. Laut Polizei werden heute 400 bis 600 Ausländerinnen im Jahr zur Prostitution nach Schweden gebracht. Im nur halb so großen Finnland sollen es zwischen 10.000 und 15.000 Frauen sein. Erleichtert wird hier der Menschenhandel durch die Nähe zu Russland und den baltischen Ländern. Jetzt wird dort über ein Gesetz nach schwedischem Muster nachgedacht. Ebenso in Norwegen: Die regierende Arbeiterpartei will auf diese Weise den Handel vor allem mit Frauen aus Nigeria bekämpfen.

Trotz des Prostitutionsgesetzes werden in Schweden überraschend wenig Strafen ausgesprochen. Zwar gibt es jedes Jahr für ein paar Zuhälter mehrjährige Gefängnisstrafen. Freier kamen aber bislang mit Geldbußen und einem Eintrag im Führungsregister davon. "Es ist schwer, den Sexkauf zu beweisen. Freier müssen auf frischer Tat ertappt werden", sagt Trolle. Zudem habe es auch im Polizeikorps eine Weile gedauert, bis das Gesetz akzeptiert war. "Aber inzwischen haben die meisten Beamten eingesehen, dass Prostitution kein normales Geschäft ist." Die Zahl der verurteilten Freier stieg von elf im Jahr 1999 auf 108 im Jahr 2006.

Das Sex-Kaufverbot soll auch ein gesellschaftliches Umdenken bewirken: In jeder Grundschule lernen die Kinder, dass es unrecht ist, Frauen für Sex zu kaufen. "Die kommende Generation in Schweden wird so etwas für noch viel seltsamer halten als wir es heute tun", glaubt Kriminalinspektor Trolle.

Der Alltag ist für die Huren gefährlicher geworden

Die meisten Prostituierten lehnen die Kriminalisierung ihrer Freier ab. Sie fühlen sich in Opferrollen gepresst und sich ihrer Lebensgrundlage beraubt. Zum Beispiel Johanna*: Die 35-Jährige ist drogenabhängig und eine der Frauen, die ihre Dienste auf der Malmskillnadsgatan anbieten. Meist am Ende des Monats. Denn Heroin ist teuer. Für Sex im Auto nimmt sie umgerechnet 55 Euro. Dass die Kunden wegbleiben, mindert ihre Wahlmöglichkeiten: "Wenn wie heute Abend Flaute ist, gehe ich auch mit jemandem mit, der harte Sachen verlangt und kein Kondom benutzen will. Ich brauche das Geld", sagt sie.

Ähnlich geht es Lisa*, einer Frau im südschwedischen Malmö: "Das Geschäft ist gefährlicher und härter geworden. Mehr Konkurrenz und mehr Gewalt", sagt die 38-Jährige, die seit zwölf Jahren auf der Straße arbeitet und manchmal im Malmöer Entzugsheim "Minnesota" wohnt. Sie kennt die Zeit vor und nach dem Sex-Kaufverbot. "Die netten Kunden haben Angst, ertappt zu werden. Übrig geblieben sind die Gestörten, mit denen man richtig weit raus fahren muss, damit die sich sicher vor der Polizei fühlen. Dort ist man ihnen dann ausgeliefert."

Mehr Hilfe für Frauen

Pflegekräfte sehen das Sex-Kaufverbot mit gemischten Gefühlen: "Fälle von Misshandlung und Vergewaltigung haben deutlich zugenommen. Auch Geschlechtskrankheiten treten wieder häufiger auf bei den Strichmädchen, weil sie wegen der wenigen Freier zu Verkehr ohne Kondom gezwungen werden", sagt etwa Helena Cewers. Die Krankenschwester arbeitet seit über fünfzehn Jahren in einer Aufnahmestation für drogenabhängige Frauen in Malmö und kennt nahezu alle Stricherinnen der Stadt.

Noch vor ein paar Jahren war Cewers radikal gegen die Kriminalisierung der Freier. Denn die Maßnahme sei am Anfang einseitig auf die Kunden gerichtet gewesen, ohne den Strich-Frauen dabei zu helfen, mit der massiv veränderten Situation klarzukommen. "Da wurde nur über Verbote und Strafen geredet und nicht über deren Auswirkungen für die Mädchen", sagt die Krankenschwester. "Inzwischen wird aber endlich mehr für die Mädchen getan. Es gibt mehr Sozialdienste, die Prostituierten aktiv helfen, aus ihrem Dilemma herauszukommen." Auch Entzugsprogramme mit Methadon und Ähnlichem seien nun schneller für Prostituierte zu bekommen.

Jetzt ist auch die Krankenschwester im Prinzip für das Sex-Kaufverbot. Für sie gehört Prostitution abgeschafft. "Es stimmt: Glückliche Huren gibt es nicht. Die meisten, die ich im Laufe der Jahre hier kennengelernt habe, wurden schon in ihrer Jugend durch Verwandte sexuell missbraucht und haben große psychische Probleme", sagt sie. "Da ist wenig Freiwilligkeit." Wer länger dabei ist, nehme Drogen oder Beruhigungsmittel. "Das ist kein normaler Beruf. Ich wünsche allen, dass sie da wieder rauskommen."

*Name geändert