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Skandal um Camerons Spin Doctor Rüpel vom Revolverblatt

Andy Coulson verhalf David Cameron zu einem makellosen Image, doch nun wird der Spin Doctor des britischen Premiers zur Belastung. Skandale aus seiner Vergangenheit als Chefredakteur eines Boulevardblatts holen ihn wieder ein - die Opposition fordert seinen Rücktritt.
Andy Coulson, Kommunikationschef der britischen Regierung: Profi vom Boulevard

Andy Coulson, Kommunikationschef der britischen Regierung: Profi vom Boulevard

Foto: ? Suzanne Plunkett / Reuters/ REUTERS

Andy Coulson hat eine Bilderbuchkarriere hingelegt. In den neunziger Jahren machte er erstmals als junger Celebrity-Reporter bei der "Sun" von sich reden, im zarten Alter von 31 wurde er dann zum stellvertretenden Chefredakteur der einflussreichen Boulevardzeitung befördert. Mit 34 wechselte er als Chefredakteur zum Schwesterblatt der "Sun", der sonntags erscheinenden "News of the World".

Das war 2003. Eine glänzende Zukunft bei News International, dem britischen Medienkonzern von Rupert Murdoch, schien ihm gewiss. Dann wurde jedoch im Januar 2007 einer seiner Redakteure und ein für ihn arbeitender Privatdetektiv zu mehreren Monaten Haft verurteilt. Sie hatten die Handy-Mailboxen von Prominenten, darunter die der Prinzen William und Harry, heimlich abgehört.

Coulson trat zurück, seine Karriere schien abrupt zu Ende.

David Cameron

Es dauerte keine fünf Monate, da ernannte der Oppositionsführer den skandalumwitterten Boulevardprofi zum Sprecher der britischen Konservativen. Er glaube daran, Leuten eine zweite Chance zu geben, erklärte Cameron damals.

Tories

Zunächst lief alles glatt, im Mai diesen Jahres erreichte Coulson den Olymp: Nach dem Sieg der bei der Unterhauswahl wurde er zum Kommunikationsdirektor von Downing Street Nummer Zehn ernannt - und ist damit einer der mächtigsten Männer des Landes.

Coulson sorgt für die richtigen Schlagzeilen

So wie Alastair Campbell einst Tony Blairs Gedanken prägte, ist Coulson der Einflüsterer von Cameron. Er berät ihn bei Auftritten und Reden, nordet die Presse ein und sorgt so für die richtigen Schlagzeilen.

Bisher hat er seinen Job passabel gemacht. Cameron hat die Wahl gewonnen, wenn auch mit Schwierigkeiten. Die ersten Monate der liberal-konservativen Regierung waren ungewöhnlich erfolgreich. Cameron hat sich zur unumstrittenen Nummer eins des Landes gemausert. Das ist nicht zuletzt das Verdienst Coulsons, der die PR-Abteilung der Tories zu einer gut geölten Maschine umgebaut hat.

Doch wie einst Campbell, der während des Irak-Kriegs zum nationalen Buhmann wurde, erlebt Coulson nun den Alptraum aller Spin-Doktoren: Er ist selbst zur "Story" geworden. Die Medien attackieren ihn, Gerichtsklagen drohen, erste Politiker fordern seinen Rücktritt.

Ed Miliband, einer der Favoriten auf den Labour-Parteivorsitz, nennt den Fall Coulson einen "Test für David Camerons Urteilsvermögen". Wenn die Vorwürfe stimmten, könne Coulson nicht mehr für die Regierung arbeiten.

Die Vorgeschichte des Skandals reicht weit zurück - bis in Coulsons Zeit als Chefredakteur bei der "News of the World". Damals sollen seine Reporter systematisch Handy-Mailboxen von Hunderten, wenn nicht Tausenden Fußball-Stars, Palastmitarbeitern, Abgeordneten und anderen prominenten Briten abgehört haben. Der ehrgeizige Coulson soll seine Reporter noch angestachelt haben.

Die Vorwürfe sind spätestens seit 2006 bekannt, als der "News of the World"-Reporter Clive Goodman und der Privatdetektiv Glenn Mulcaire ins Visier der Justiz gerieten und ins Gefängnis wanderten. Im Juli 2009 enthüllte der "Guardian" zudem, dass nicht nur die beiden Verurteilten in Promi-Mailboxen herumgeschnüffelt hatten, sondern die illegale Praxis in der Redaktion von "News of the World" gang und gäbe war. Daraufhin befasste sich ein Untersuchungsausschuss des Parlaments mit dem Thema.

An Coulson jedoch blieb nie etwas haften, niemand konnte ihm nachweisen, dass er involviert war. Er redete sich stets damit heraus, von den illegalen Machenschaften seiner Mitarbeiter nichts gewusst zu haben. Seine früheren Bosse bei News International gaben ihm uneingeschränkte Rückendeckung. Auch Cameron sprach seinem Sprecher mehrfach das Vertrauen aus. Der Untersuchungsausschuss gab schließlich auf und beklagte in seinem Abschlussbericht im Februar die "kollektive Amnesie" der Murdoch-Manager und die "bewusste Verschleierung" von Tatsachen.

US-Reporter graben Beweise gegen Coulson aus

Murdoch und Cameron hofften, dass die unerfreuliche Geschichte damit vergessen sei. Doch nun kocht der Skandal wieder hoch - dank der Bemühungen einer US-Zeitung: Das "New York Times Magazine" veröffentlicht an diesem Wochenende eine ausführliche Geschichte, die auf monatelangen Recherchen beruht. Der Artikel ist bereits online verfügbar.  Der investigative Eifer der "NYT" kommt nicht von ungefähr: Die Zeitung liegt im Clinch mit Murdoch, seit dieser ihr mit der New Yorker Lokalausgabe des "Wall Street Journals" den Krieg erklärt hat.

Die Arbeit hat sich gelohnt: Die US-Reporter haben die bisher schwersten Beweise gegen Coulson ausgegraben. Ein früherer Redakteur der "News of the World", Sean Hoare, wird mit den Worten zitiert, Coulson habe ihn "aktiv ermuntert", Handy-Mailboxen abzuhören.

Hoare hat offensichtlich noch eine Rechnung zu begleichen, er war wegen Drogen- und Alkoholproblemen gefeuert worden. Doch wird seine Aussage laut "New York Times" von einem Dutzend weiterer Mitarbeiter des britischen Revolverblatts bestätigt. Ein anderer früherer Redakteur, der sich nur anonym zitieren lassen wollte, sagte der Zeitung: "Ich saß in Dutzenden, wenn nicht Hunderten Meetings mit Andy", in denen das Abhören von Handy-Mailboxen zur Sprache gekommen sei.

Coulson lässt sich von den neuerlichen Angriffen nicht beeindrucken. Er bleibt bei seiner Linie, nichts gewusst zu haben. Auch deutet nichts darauf hin, dass Premier Cameron, der nach der Geburt seines vierten Kindes gerade im Vaterschaftsurlaub ist, von seinem Vertrauten abrückt. Sie scheinen darauf zu vertrauen, dass der Sturm auch diesmal vorüberziehen wird.

Abhöropfer drohen mit Klagen

Doch wächst der Druck auf die Downing Street. Vertreter von Labour und den Liberaldemokraten fordern Aufklärung. "Wenn die Vorwürfe in der 'New York Times' sich erhärten, sollte die Polizei eine Untersuchung einleiten. Sie können vielleicht mehr von Herrn Coulson erfahren als wir im Untersuchungsausschuss", sagte der liberaldemokratische Abgeordnete Adrian Sanders, der im Untersuchungsausschuss saß. Sollten sich die Vorwürfe bewahrheiten, sei Coulson nicht zu halten.

Es sei "außergewöhnlich", dass Coulson immer noch Kommunikationsdirektor der Downing Street Nummer Zehn sei, schrieb der Labour-Abgeordnete Chris Bryant, ein ehemaliger Staatssekretär, im "Guardian". Damit billige Cameron die "schmutzigste Politik in Britannien".

Auch drohen weitere Klagen von Opfern der Abhöroffensive. Mindestens zwei Klagen hat News International bereits außergerichtlich abgewendet - und Schweigegeld in Millionenhöhe gezahlt. Das hat weitere Betroffene auf die Idee gebracht, sich Rechtsbeistand zu suchen und gegen das Unternehmen vor Gericht zu ziehen. Unter anderem soll der frühere englische Nationalspieler Paul Gascoigne eine Klage erwägen.

Die Klagewelle wird den Skandal in den Schlagzeilen halten. Und nicht allen Opfern geht es um Schadensersatz. Der frühere Abgeordnete George Galloway etwa will sich laut "Independent" auf keinen Fall von Murdoch kaufen lassen. Er hat im Juli Klage gegen News International eingereicht, weil sein Handy 2005 abgehört wurde. Jetzt brennt er auf einen Prozess, um die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen. Bleibt Galloway hart, könnte Coulson als Zeuge vor Gericht erscheinen müssen - keine schöne Aussicht für David Cameron.