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Verfassungsdebatte Köhlers Direktwahl-Vorschlag - populär, aber unplausibel

Viel Applaus gab es für Horst Köhler nach seiner Wiederwahl - und dann heftige Kritik für seinen Vorschlag, die Bürger sollten das Staatsoberhaupt künftig direkt wählen. Hat das bisherige Verfahren nicht den "Richtigen" bestimmt? Den Nachweis bleibt der amtierende Präsident schuldig.
Von Gerd Langguth

Ausgerechnet in dem Jahr, in dem 60 Jahre Grundgesetz gefeiert werden, macht Horst Köhler einen Vorschlag, um es zu ändern: Er will den Bundespräsidenten künftig direkt durch das Volk wählen lassen.

Bundespräsident Köhler: Sollen seine Nachfolger vom Volk gewählt werden?

Bundespräsident Köhler: Sollen seine Nachfolger vom Volk gewählt werden?

Foto: AP

Köhler machte seinen erneuten Direktwahl-Vorschlag unmittelbar nach seinem Sieg über Gesine Schwan, die in dieser Frage anderer Meinung war als ihr Konkurrent. Schon das hat eine pikante Note: Wenn vor fünf Jahren die Bevölkerung entschieden hätte, dann wäre damals sicherlich Köhlers Gegenkandidatin als Siegerin aus der Wahl hervorgegangen.

Forderungen nach mehr direkter Mitbestimmung, nach Plebisziten und nach der Direktwahl des Bundespräsidenten sind zweifellos populär. Dass sie auf eine positive Grundstimmung stoßen, hängt sicher auch damit zusammen, dass für viele das parlamentarisch-repräsentative Prinzip nicht mehr so wichtig ist wie in der Vergangenheit. Gerade diesen Grundsatz aber wollten die Verfassungsväter und -mütter stärken; das war eine der Lehren aus der Zeit der Weimarer Republik.

Vier Argumente gegen eine Verfassungsänderung

Dennoch sollte über die Plausibilität der erneuten Köhler-Forderung nachgedacht werden. Vier Argumente sprechen gegen eine Verfassungsänderung:

  • Wer die Direktwahl des Bundespräsidenten fordert, sollte zunächst den Nachweis erbringen, warum das bisherige Wahlverfahren nicht den "Richtigen" hervorgebracht hat. Alle neun bisherigen Präsidenten waren auf jeweils ihre Weise nicht nur demokratisch legitimiert, sondern auch Ausdruck ihrer Zeit - und in der Bevölkerung beliebt. Bisher können wir Deutschen alles in allem mit unseren Präsidenten zufrieden sein - trotz ihrer großen Unterschiede hinsichtlich Bildung und Berufshintergrund. Köhler müsste nachweisen, warum das bisherige Wahlverfahren versagt hat.

  • Der Bundespräsident kann seine Integrations- und Repräsentationsaufgabe für alle Deutschen nur dann erfüllen, wenn er weitgehend aus dem üblichen Parteienstreit herausgehalten wird. Das bisherige Wahlverfahren über die Bundesversammlung sollte nach dem Willen der Verfassungsväter und -mütter sicherstellen, dass um das Amt des Präsidenten kein Wahlkampf im engeren Sinne gemacht wird - weil sonst Konflikte entstehen könnten, die die Aufgaben eines über den Parteien stehenden Präsidenten erschweren könnten. Als Integrationsfigur hat er die Rolle eines, allerdings demokratisch legitimierten, Ersatz-Monarchen.

  • Auch die föderale Komponente muss bedacht werden: Die Bundesversammlung besteht zur Hälfte aus den Bundestagsabgeordneten und einer gleichen Anzahl von Mitgliedern, die aus den Landtagen entsandt werden. Auf diese Weise wurde sichergestellt, dass auch die Bundesländer bei der Wahl des Bundespräsidenten eine Mitwirkung haben.

  • Würde der Bundespräsident direkt gewählt, hätte dies Auswirkungen auf die Gewichtung der anderen Verfassungsorgane, insbesondere des Bundeskanzlers. Ein vom Volk unmittelbar gewählter Präsident hätte eine "höhere" Legitimation als der Bundeskanzler, der vom Bundestag bestimmt wird. Das müsste Auswirkungen auf die Kompetenzen des Präsidenten haben. Der Parlamentarische Rat hat aber bewusst dem Präsidenten nur in einigen wichtigen Fragen (etwa bei der Benennung des Bundeskanzlers oder der Entscheidung über vorgezogene Wahlen) eine Art Reservefunktion zugewiesen. Er kann beispielsweise Gesetze prüfen und zurückweisen. Der Reichspräsident der Weimarer Republik, der zugleich Oberbefehlshaber der Wehrmacht war und mit Notverordnungen regieren konnte, war als Institution ein abschreckendes Beispiel.

Ein Bundespräsident sollte vor allem durch die Macht des Wortes wirken. Manche Vorgänger Köhlers haben diese Kunst bewiesen, etwa Theodor Heuss oder Richard von Weizsäcker.

Die Reaktionen aus den großen Parteien und den Bundesländern zeigen, dass derzeit keine Zweidrittelmehrheit in Bundestat und Bundesrat besteht, um das Grundgesetz in Richtung Direktwahl zu ändern. Das sollte Köhler eigentlich wissen. Es wäre daher sinnvoller, wenn er sich auf solche Themen konzentrierte, bei denen er wirklich etwas bewirken könnte.

Köhler hatte in seinem Amt sicher einige Frusterlebnisse. Dazu gehörte, dass er zu Zeiten von Kanzler Schröder erst aus den Medien von dessen Plänen zur vorzeitigen Auflösung des Bundestags erfahren hatte. Köhler spürte, dass er auch von der Kanzlerin Angela Merkel nicht wirklich ernst genommen wurde, ganz zu schweigen von dem Spott in der SPD-Fraktion, er sei ein "Besserwisser" und repräsentiere so etwas wie einen "Sparkassendirektor". Ob sein persönlicher Frust ausreicht, diesen Verfassungsvorschlag zu unterbreiten?

Zwischen Köhler und der politischen Klasse gibt es so etwas wie eine unsichtbare Wand. Seine knappe Wiederwahl hat er den aktuellen politischen Konstellationen zu verdanken. Wenn er schon zu der Auffassung gelangt ist, dass der Bundespräsident eine einflussreichere Stellung bekommen sollte, dann ist es auch eine Frage des Stils, wie er seine Vorschläge unterbreitet. Nicht besonders glücklich war es, dies zunächst in einer Talkshow (der letzten Sendung von Sabine Christiansen) und unmittelbar nach seiner Wiederwahl in Interviews zu tun - ohne die anderen Verfassungsorgane vorzuwarnen.

"Unbequem" wolle er sein, verkündete Köhler schon vor fünf Jahren. Gelegentlich war er es, als er etwa zwei Gesetze der Großen Koalition ablehnte. Populär will er aber auch sein - in der Bevölkerung. Von ihr will er wirklich geliebt werden. Es bleibt abzuwarten, ob er den Bürgern einmal etwas Unbequemes sagt.