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Ausgereiste Dschihadisten Neuer BKA-Chef fordert Kampagne gegen islamistischen Terror

Die Zahl der Salafisten wächst in Deutschland rasant. Der neue BKA-Präsident Holger Münch will deshalb das Vorgehen der Sicherheitsbehörden gegen Islamisten überdenken. Notwendig sei ein "echter Masterplan" der Prävention.
BKA-Chef Münch: "Wir brauchen ein abgestimmtes System der Deradikalisierung"

BKA-Chef Münch: "Wir brauchen ein abgestimmtes System der Deradikalisierung"

Foto: Werner Schuering/ DER SPIEGEL

Die islamistische Szene in Deutschland wächst seit Jahren, zugleich steigt das Risiko terroristischer Anschläge. Der neue Präsident des Bundeskriminalamts (BKA), Holger Münch, fordert daher, endlich ein nationales Präventionskonzept zu erarbeiten. "Wir brauchen ein abgestimmtes System der Deradikalisierung. Da haben wir in Deutschland noch keinen echten Masterplan", sagte Münch im Interview mit SPIEGEL ONLINE.

"Wenn der Trend sich so fortsetzt, könnten wir es in einem Jahr mit 1000 ausgereisten Dschihadisten zu tun haben", so Münch. "Wir müssen uns zwangsläufig fragen, was wollen und können wir noch an Ressourcen einsetzen, um Anschläge zu verhindern." Die schiere Masse der Islamisten mache ein Umdenken notwendig. "Wir müssen darüber nachdenken, wie wir unsere Konzepte erweitern und miteinander verknüpfen."

Gefordert seien dabei neben Polizei und Nachrichtendiensten auch die Justiz sowie Sozial-, Bildungs- und Jugendbehörden. "Bund, Länder, Kommunen müssen gemeinsam zu einem tragfähigen Masterplan für Deutschland kommen", so Münch. "Das betrifft ausdrücklich nicht nur die Sicherheitsbehörden."

Der neue BKA-Chef, der im Dezember den langjährigen Behördenleiter Jörg Ziercke abgelöst hatte, geht von einer sich verschärfenden Sicherheitslage aus. Das liege zum einen daran, dass sich die Zahl der Islamisten erhöhe. Zum anderen aber könnte ein Strategiewechsel des "Islamischen Staats" (IS) Auswirkungen auf die Situation in Europa haben. "Je weniger militärische Erfolge der IS in Syrien und dem Irak hat, desto mehr wird er sich Anschlagsziele im Ausland suchen, auch in Deutschland", sagte Münch im SPIEGEL-Gespräch. Lesen Sie hier das vollständige Interview im neuen SPIEGEL.

Die grüne Bundestagsabgeordnete Irene Mihalic verlangt schon seit Längerem, "eine national koordinierte Präventionsstrategie" zu schaffen, die das Abgleiten junger Menschen in den Extremismus verhindere. Diese dürfe jedoch "kein von oben verordnetes Konstrukt sein, das an der Lebensrealität vorbeigeht. Die zivilgesellschaftlichen Träger von Präventionsprojekten müssen von vorneherein einbezogen werden." Prävention sei "eine der tragenden Säulen bei der Bekämpfung des Terrorismus", so Mihalic.

Auch einer der führenden europäischen Terrorexperten, Peter R. Neumann vom Londoner King's College, sieht das ähnlich: "Wir müssen Aussteigerprogramme auflegen und überhaupt in der Prävention noch viel mehr tun." Die muslimischen Gemeinden brauchten Hilfe bei ihrer Aufklärungsarbeit. Es gehe darum, junge Menschen von einer Radikalisierung abzuhalten. "Das ist das Einzige, was wir substanziell und nachhaltig der terroristischen Propaganda entgegensetzen können", so Neumann vor einiger Zeit im SPIEGEL-ONLINE-Interview.

Bislang hat die Politik jedoch vor allem repressiv auf das wachsende Phänomen des gewaltbereiten Islamismus reagiert. So wurden neue Gesetze und Befugnisse geschaffen, der IS in Deutschland verboten und den Sicherheitsbehörden von Bund und Ländern neues Personal bewilligt. Auch das BKA plant entsprechend: "Wir müssen im Bereich islamistischer Terrorismus unsere Fähigkeiten noch stärker erweitern", sagte Münch. "Dafür werden wir zusätzliche Ressourcen bekommen. Der Bundesinnenminister hat 200 zusätzliche Stellen und mehrere Millionen Euro für das BKA angekündigt."

Die islamistische Szene in Deutschland nimmt seit Jahren rasant zu. Zählten die Sicherheitsbehörden 2011 noch 3800 Salafisten, sind es inzwischen 7300. Mindestens 680 Dschihadisten sind inzwischen aus der Bundesrepublik in den Heiligen Krieg nach Syrien und in den Irak gezogen. Rund ein Drittel von ihnen kehrte mittlerweile zurück. Polizei und Nachrichtendienste gehen davon aus, dass diese Männer ein besonderes Risiko für die Sicherheitslage in Deutschland darstellen. Viele von ihnen werden daher mit beträchtlichem Aufwand überwacht.


Zusammengefasst: Dem neuen BKA-Chef Münch bereitet die wachsende Zahl von Salafisten in Deutschland Sorge. Er fordert deshalb eine Anti-Terror-Kampagne. Bislang hätten die Behörden zu defensiv auf die Terrorgefahr reagiert.