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Meinungsforscher Hilmer "Steinbrück muss jetzt zuspitzen"

Kanzlerin Merkel ist populär, doch reicht das für den Sieg? Schwarz-Gelb und Rot-Grün liegen gleichauf, sagt Infratest-Dimap-Chef Richard Hilmer im Interview. Wähler entschieden sich oft erst kurz vor der Wahl - eine Chance für SPD-Kandidat Steinbrück.
SPD-Kanzlerkandidat Steinbrück: "Meinungsstark und diskussionsfreudig"

SPD-Kanzlerkandidat Steinbrück: "Meinungsstark und diskussionsfreudig"

Foto: Michael Kappeler/ dpa

Berlin - Keine hundert Tage mehr bis zur Wahl: Kanzlerin Angela Merkel (CDU) kann sich über hohe Beliebtheitswerte freuen. Laut Infratest Dimap liegt sie bei 57 Prozent Zustimmung, ihr Herausforderer Peer Steinbrück von der SPD kommt lediglich auf 30 Prozent. Doch die Sozialdemokraten können noch aufholen, meint Infratest-Dimap-Chef Richard Hilmer im Interview mit SPIEGEL ONLINE - wenn sie auf die Themen setzen, die die Menschen berühren.

Steinbrück müsse sie gut vermitteln - und sich dabei mehr von der Kanzlerin abgrenzen. "Er ist der richtige Kandidat, um Themen zuzuspitzen", sagt der Meinungsforscher. Die Konflikte an der SPD-Spitze hält er dagegen für wenig hilfreich: "Geschlossenheit gilt bei vielen Wählern als wichtige Eigenschaft."

Nach aktuellen Erhebungen von Hilmers Institut liegen Rot-Grün und Schwarz-Gelb fast gleichauf. Viele Wähler entschieden sich erst wenige Tage vor der Abstimmung, sagt der Meinungsforscher. Und dieses Mal wird es für die vielen Kurzentschlossenen besonders auf die Landtagswahl in Bayern ankommen, "denn dort wird als erstes über Schwarz-Gelb abgestimmt". Entscheidend sei das Abschneiden der FDP.

Lesen Sie hier das ganze Interview:

SPIEGEL ONLINE: SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück ist weit weniger populär als Kanzlerin Angela Merkel. Hat er bei dieser Wahl noch eine Chance?

Hilmer: An die hohen Zustimmungswerte der Bundeskanzlerin dürfte Steinbrück kaum mehr heranreichen - muss er aber auch nicht. Für die SPD würde ja genügen, wenn er die Partei wieder näher an die Union heranführt. Dafür braucht es die richtigen Themen und eine Zuspitzung im Wahlkampf, damit die Bürger klarer wissen, worum es bei dieser Wahl geht, worin die Alternativen bestehen. Dafür muss er die entscheidenden knapp hundert Tage vor der Wahl nutzen. Wir wissen, dass sich ein großer Teil der Wähler erst spät entscheidet. Insofern kommt es für Steinbrück auf den Endspurt an.

SPIEGEL ONLINE: Die SPD-Führung ist aber alles andere als geschlossen. Wie wird der Konflikt zwischen Steinbrück und Parteichef Gabriel bei den Wählern ankommen?

Hilmer: Bei Wahlkämpfen müssen in kurzer Zeit und unter enormem Druck unzählige Entscheidungen getroffen werden. Dass es dabei immer wieder zu Meinungsverschiedenheiten kommt, ist normal. Das war zu Kohls Zeiten so und auch bei dem erfolgreichen SPD-Wahlkampf 1998, bei dem keineswegs alles so traut ablief, wie manche Äußerungen vermuten ließen. Allerdings sollte man solche Konflikte nicht in aller Öffentlichkeit austragen, denn Geschlossenheit gilt bei vielen Wählern als wichtige Eigenschaft. Bislang galt die SPD den Wählern als geschlossener als andere Parteien, was nicht zuletzt ihren etwas holprigen Wahlstart einigermaßen wettgemacht hat.

SPIEGEL ONLINE: Wie groß ist das Potential noch für die SPD?

Hilmer: Bei der letzten Wahl gingen zwei Millionen enttäuschte Anhänger der SPD nicht wählen, weil sie für die SPD keine Machtoption, aber in den anderen Parteien auch keine Alternative sahen. Wenn es der SPD gelänge, dieses Wählerpotential zurückzugewinnen, wäre für sie schon viel gewonnen.

SPIEGEL ONLINE: Ist Steinbrück der richtige Kandidat, um diese Menschen zu mobilisieren?

Hilmer: Steinbrück hatte anfangs Schwierigkeiten mit dem Rollentausch vom Politiker, der aus der zweiten Reihe zuweilen bissig kommentierte, zum Spitzenkandidaten der SPD. Doch Steinbrück ist meinungsstark und diskussionsfreudig. Er ist der richtige Kandidat, um Themen zuzuspitzen. Auch wenn diese vielleicht noch besser aufbereitet werden müssten, gerade für die SPD-Klientel.

SPIEGEL ONLINE: Kanzlerin Merkel vereinnahmt klassische SPD-Themen für die Union - auch die Mietpreisbremse und sogar den Mindestlohn.

Hilmer: Sie greift damit die SPD in ihrem Kernkompetenzbereich sozialer Gerechtigkeit an. Entscheidend wird sein, wem die Menschen am Ende hier die größte Glaubwürdigkeit zuschreiben. Bei der Mietpreisbremse ist es der CDU nicht gelungen, der SPD das Thema zu entwinden. Da wird den Sozialdemokraten nach unseren jüngsten Erhebungen nach wie vor die weitaus größere Kompetenz zugeschrieben.

SPIEGEL ONLINE: Verteidigungsminister de Maizière ist eine wichtige Stütze für Merkel. Er kämpft seit Wochen in der Drohnenaffäre um seinen Ruf. Kann das für die Kanzlerin riskant werden?

Hilmer: Die Glaubwürdigkeit von de Maizière hat in der Tat massiv gelitten, wie der jüngste ARD-Deutschlandtrend  gezeigt hat. Aber Merkels Regierungsriege hat schon viele Rückschläge hinnehmen müssen. Ihr als Person hat das bisher überhaupt nicht geschadet. Die Affäre ist für Merkel also nicht schön, aber bislang kein Drama.

SPIEGEL ONLINE: Allein wird Merkel trotz ihrer Beliebtheit nicht regieren können. Ihr Koalitionspartner FDP liegt in Ihren Umfragen momentan bei vier Prozent - werden die Liberalen den Sprung ins Parlament schaffen?

Hilmer: Es könnte am Ende darauf ankommen, ob unionsgeneigte Wähler meinen, dass die FDP für eine gemeinsame Mehrheit gebraucht wird. Wenn ja, haben die Liberalen beste Chancen, über Leihstimmen wieder in den Bundestag zu kommen. Die FDP ist mittlerweile zu einer Funktionspartei degeneriert - sie ist Mehrheitsbeschaffer, mehr nicht. Hier liegt ihr Dilemma: Den Liberalen wird kaum mehr Kompetenz zugeschrieben auf Feldern wie der Steuer- oder Wirtschaftspolitik, wo sie vormals stark waren. Wenn sich das bis zur Wahl nicht ändert, wird sie auf fremde Hilfe angewiesen bleiben.

SPIEGEL ONLINE: Wie wichtig wird die Landtagswahl in Bayern, die nur eine Woche vor der Bundestagswahl stattfindet?

Hilmer: Was dort passiert, ist auch entscheidend für den Bund. Denn dort wird als erstes über Schwarz-Gelb abgestimmt. Das Ergebnis der Bayern-Wahl kann sich in vielerlei Hinsicht auf das Wahlverhalten bei der Bundestagswahl auswirken.

SPIEGEL ONLINE: Die Woche vor der Wahl könnte also noch eine Wende in der Stimmung im Land bringen?

Hilmer: Wenn etwa die Liberalen nicht in den bayerischen Landtag kommen, könnte die Debatte über die Zukunft der FDP wieder die Schlagzeilen bestimmen. Die Partei kann entweder in eine tiefe Depression verfallen oder einen unverhofften Aufschwung erleben, weil Leute, die grundliberal sind, sich sagen: Nein, ohne die FDP geht es nicht. Diese Entscheidung könnte bei den vielen Kurzentschlossenen auch erst in der Wahlkabine fallen.

Das Interview führten Christina Hebel und Katharina Peters