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Fußballtrainer ohne Beine "Ich hätte auch dahinvegetieren können"

Zeit für Selbstmitleid nimmt sich Rüdiger Böhm nicht - obwohl dem 34-Jährigen nach einem Autounfall beide Beine amputiert wurden. Im Interview spricht er über seinen Job als Jugendcoach des Karlsruher SC, Akzeptanzprobleme und Herausforderungen.

Frage:

Herr Böhm, als behinderter Trainer feiern Sie mit der U15-Mannschaft des Karlsruher SC Erfolge wie die Süddeutsche Meisterschaft. Ist das eine Genugtuung?

Böhm: Natürlich. Zumal es anfänglich nicht einfach war, allen klar zu machen, dass ich es kann. Der Einstieg 2003 wäre mit Beinen sicher einfacher gewesen.

Frage: Einfacher wäre jetzt vor allem das Vormachen von Übungen.

Böhm: Sicher, beim Jonglieren gibt es leichte Probleme. Aber ich habe gute Co-Trainer, die das für mich erledigen. Ab elf, zwölf Jahren geht viel über Kommunikation und Fachwissen.

Frage: Talentierte Jugendspieler haben oft sehr ehrgeizige Eltern. Werden Sie von diesen Eltern und den Spielern akzeptiert?

Böhm: Absolut, wenn auch nach anfänglicher Skepsis. Jetzt sehen sie, dass sich die Jungs gut entwickeln. Anscheinend habe ich das Maß zwischen Lockerheit und Disziplin gefunden.

Frage: Erinnern Sie sich an den furchtbaren Unfall vom 21. April 1997? Sie traf keine Schuld, der Lkw-Fahrer hatte einen Moment nicht aufgepasst.

Böhm: Als der Lkw mich überrollt hatte, saß ich auf dem Bordstein und sah, dass das linke Bein gebrochen und abgewinkelt war, aus dem rechten Oberschenkel spritzte das Blut - ich erlebte das live, bis ich wegen des Blutverlustes wegdämmerte. Ich dachte sofort: Das sieht nicht gut aus. Am Ende mussten dann leider beide Beine amputiert werden.

Frage: Am Ende einer 13-stündigen Operation.

Böhm: Beide Schlagadern in den Beinen waren zerfetzt. Hundert Blutkonserven wurden in mich reingeschüttet. Man musste einen Fahrdienst nach Frankfurt einrichten, denn in Darmstadt gab es kein Blut mehr. Aber was sie oben reingeschüttet haben, lief unten wieder raus.

Frage: Wie kann man mit 26 Jahren so einen Schock verkraften? Sie nahmen nicht einmal psychologische Behandlung in Anspruch.

Böhm: Freunde haben mir sehr geholfen. Alleine schafft man das nicht. Man muss immer und bei allem etwas Positives sehen. Bis darauf, dass mir der Lkw die Beine abfuhr, lief doch alles prima. Ich hätte auch sterben können. Viele Behinderte wären nur halb so behindert, wenn sie nicht in Selbstmitleid verfielen. Das ist zwar ketzerisch von mir - aber ich hätte auch dahinvegetieren können. Doch ich versuche aus der Realität das Beste zu machen und Sport zu treiben, auf dem Handybike oder ich gehe schwimmen (Böhm hat Prothesen aus Plastik und Titan; die Red.).

Frage: Fragen Sie sich manchmal, warum es gerade Sie erwischt hat?

Böhm: Natürlich würde ich lieber jeden Tag 24 Stunden arbeiten, wenn ich meine Beine wieder hätte - aber das geht nicht. Solche Überlegungen sind also unsinnig, und ich hasse sinnlose Fragen. Daher frage ich mich auch nie: Warum ich? Das bringt nichts.

Die Fragen stellte Peter Putzing