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Nationalspieler Frings Der verwundete Egoist

Seine Attacken auf den Bundestrainer haben die Nationalmannschaft in eine Krise gestürzt - Torsten Frings will offenbar seinen Rauswurf aus der DFB-Elf provozieren. Aber warum? Frank Hellmann ist in der Vergangenheit des 31-Jährigen fündig geworden.

Bremen - Der Frieden im deutschen Fußball ist dahin. Michael Ballack, 32, und Torsten Frings, bald 32, führen als Brüder im Geiste gerade einen Kleinkrieg gegen die größte Instanz des Landes: Die Hüter der Fußball-Nationalmannschaft. Beide fürchten um ihre Stammplätze in der DFB-Elf, um ihre Rollen als Führungsspieler, um ihre Verdienste. Vor allem Frings scheint sogar gewillt, in letzter Konsequenz seinen Rücktritt zu erklären.

In schöner Regelmäßigkeit wechseln sich die beiden bei ihren Attacken auf Bundestrainer Joachim Löw ab. "Er merkt auch, wenn etwas nicht korrekt abläuft", hat Frings gesagt und ist Ballack so nah zur Seite gesprungen wie es nur geht. Denn: "Ein gutes Gespann wird auseinandergerissen."

Dass weder Ballack, der Kapitän, noch Frings, sein Kumpel ("Ich kenne den 'Micha' seit der U21, wir haben ständig Kontakt"), in diesem Machtkampf klein beigeben, ist überdeutlich, seit der Profi von Werder Bremen nach dem Auswärtsspiel in der Champions League bei Panathinaikos Athen (2:2) die Ballack-Attacken voll und ganz absegnete. Und gleich noch nachlegte. "Man sollte mal hinterfragen, warum sich gestandene Spieler so aufregen. Die Art und Weise, wie mit mir umgesprungen worden ist, geht nicht."

Warum eigentlich nicht?

Dem Problem ist nur über das Selbstverständnis dieses Fußballers beizukommen. Frings ("Es gibt auf meiner Position keinen besseren") umgibt die Aura des Vorkämpfers, der lieber Tacklings und Grätschen mag als Hackentricks und Tore. In 317 Bundesligaspielen hat er zwar 35 Treffer erzielt, doch seine Lieblingsrolle, die ihm in Bremen seit Jahren Frank Baumann vorenthält, ist das defensive Mittelfeld. Das sagt er selbst. Die Kampfzone auf dem Spielfeld. Das eigentliche Schlachtfeld, wenn im modernen Fußball vom Abnutzungskampf gesprochen wird. Nur geeignet für Männer, die das offene Visier bevorzugen. Frings ist so einer, da kann er außergewöhnlich wertvoll für all seine anderen zehn Kollegen auf dem Rasen sein.

Aber es gibt auch die andere Seite, die weniger mit den sportlichen, sondern mit den menschlichen Eigenschaften dieses eigenwilligen Mannes mit dem Sternzeichen Skorpion zu tun hat. Frings hat allzu oft eine negative Ausstrahlung auf die Mitspieler, meist auf die Jüngeren. Bei Werder kann Aaron Hunt ein Lied davon singen, bei der Nationalelf Marcell Jansen. Als es nämlich im Juni dieses Jahres im zweiten EM-Spiel in Klagenfurt gegen Kroatien nicht so richtig lief, waren es zuvorderst Ballack und Frings, die mäkelten und motzten. Die Tiraden der Anführer gingen so weit, dass es zu einer Krisensitzung im Mannschaftshotel am Lago Maggiore kam und Philipp Lahm und Arne Friedrich die ständige Meckerei kritisierten.

Wie Ballack ist auch Frings einer, der wenig Widerspruch duldet. Und diese in den Jahren erkämpfte Macht wird vom 78-fachen Nationalspieler nun mit allen Mitteln verteidigt. Bei seiner Klage nach dem Doppelspieltag gegen Russland und Wales, wo Frings nur sieben Minuten mitmachen durfte, hatte sich der Kicker mal wieder mit einem Reporter der "Bild"-Zeitung verbündet – und dafür sogar jahrelange Berichterstatter in Bremen angelogen. Denen entgegnete er nämlich aus dem schwarzen Dienstwagen eines Wolfsburger Autobauers am vergangenen Donnerstag im völligen Ernst: "Ich sach heut’ nix!"

Frings wohnt mit seiner Ehefrau Petra und seinen zwei Töchtern Lisa Katharina und Lena Alina in Lilienthal. Das ist eine kinderfreundliche Gemeinde am nördlichen Rand von Bremen und in entrückten Zeiten des Sommermärchens 2006 haben die Bewohner aus dem Ortsschild einfach aus dem Lilienthal ein Fringsthal gemacht. Um dem prominentesten Bürger zu huldigen.

Es war die Zeit, in der ganz Deutschland stolz auf diesen Bremer Braveheart war, der eigentlich aus Würselen bei Aachen stammt. Bei der unterklassigen Alemannia hat er so lange gespielt, bis Otto Rehhagel auf das Talent aufmerksam wurde. Frings kam 1996 an die Weser – just als Rehhagel weg, und er noch ein Stürmer war. Andreas Herzog hat ihn gleich "Lutscher" getauft. Frings war ja Lehrling. Er spielte mal rechts vorne, rechts hinten – oder er saß auf der Bank. Denn in dieser Zeit kamen und gingen in Bremen die Trainer – Dixie Dörner, Wolfgang Sidka, Felix Magath. Letzteren mochte Frings nie, weil er bei ihm gar bis auf die Tribüne abgeschoben wurde.

Deshalb sagt er jetzt in Athen auch noch: "Mit wurde in elf Profijahren nichts geschenkt. Aber ich habe immer kämpfen müssen. Deshalb stimmt es nicht, dass ich den Konkurrenzkampf nicht aufnehme." Zu der aktuellsten Aussage kann man stehen, wie man will – der erste Teil ist falsch. Frings spielt bereits seit 13 Spielzeiten in der Bundesliga – für drei Vereine. Jeweils unmittelbar in der Vorbereitung auf die WM 2002 und EM 2004 erpresste er mit Hilfe der öffentlichkeitswirksamen Nationalmannschaft seine Wechsel zu Borussia Dortmund beziehungsweise Bayern München.

2006 ist Frings auf dem Höhepunkt, danach geht es bergab

Beide Male besaß Frings langfristige Verträge in Bremen und Dortmund, doch andernorts lockte mehr Ruhm und Geld. Bei der WM 2006 strahlte Frings, der das inszenierte Showgeschäft an der Säbener Straße nur eine Saison ertrug, als Fixstern vom Fußball-Firmament. Das Viertelfinale gegen Argentinien – Zetteltrick von Jens Lehmann hin oder her – hätte Deutschland nie gewonnen, hätte der auf dem Höhepunkt seiner Willens- und Schaffenskraft befindliche Frings nicht den südamerikanischen Spaßverderber gemimt. Und viele sagen ja noch heute, das Halbfinale hätten die Deutschen gegen Italien gewonnen, wäre Frings nicht von der Fifa aus dem Verkehr gezogen worden.

Doch was kam danach? In der Saison 2006/2007 war das Wichtigste, was Frings schaffte, den aus seiner Sicht nun ein bisschen zu notdürftigen Vertrag in Bremen aufzubessern. Dafür kokettierte er offen mit einem Angebot von Juventus Turin. Er schaute sich mit Ehefrau vor Ort in Italien um – um sich dann für die Unterzeichnung eines neuen Vier-Jahres-Vertrages bei Werder Bremen feiern zu lassen. Vier Millionen jährlich kann er mit Prämien verdienen.

Der Verein musste ihm danach jedoch viele Wochen keine Prämien mehr bezahlen. In der Saison 2007/2008 kam das Meiste, was von Frings zu hören war, aus dem Krankenhaus. Er erlitt im Sommer eine Innenbandverletzung, die zuerst ein Kreuzbandriss sein sollte. Kaum zurück, wurde das Knie eingegipst. Komplett für mehrere Wochen. Oliver Bierhoff kritisierte die medizinische Betreuung in der Hansestadt, zumal im Januar 2008 der dritte Rückschlag folgte. Frings bestritt nur elf Ligaspiele – half aber mit, die direkte Champions-League-Qualifikation zu retten.

Bei der EM setzte sich die Pechsträhne fort. Rippenbruch. Zwangspause. Und siehe da: Mit Simon Rolfes und Thomas Hitzlsperger in der Doppelrolle anstelle von Frings lief das deutsche EM-Spiel plötzlich flüssiger, schneller und direkter. 3:2 im Viertelfinale gegen Portugal.

Seitdem ist nichts mehr wie es war. Wie ein verwundeter Wolf beißt Frings um sich. Manchmal verhindert gerade noch die Medienabteilung im Verein oder im DFB, dass der Spieler die Konkurrenten direkt attackiert, die passsicherer und torgefährlicher (Hitzlsperger), dynamischer und agiler (Rolfes) agieren. Beide haben ihre beste Zeit noch vor sich – Frings hat sie hinter sich. Das ahnt oder weiß er. Aber er gibt es nicht zu oder er will es nicht einsehen.

Hitzlsperger und Rolfes sind Systemspieler mit kurzen Haaren, Frings ist Führungsspieler mit langen Haaren und markigen Tätowierungen. Er bildet im Spaßgebilde seines Förderers und Freundes Thomas Schaaf den natürlichen Gegenpol zum verspielten Diego. Im System Schaaf hält Frings mühelos mit. Das Abschlusstraining – Kreisspiel, Warmlaufen, Spielen – schaut noch heute manchmal so aus wie bei Otto Rehhagel. Nur als der Cheftrainer in diesem Sommer während des Trainingslagers in Schruns, auch Frings eine mit Sensoren vollgeklebte Mütze aufsetzen ließ, um die Spieler über und durch Stangen sprinten zu lassen und für einen neuen Fitnesstest wichtige Daten zu sammeln, da grummelte der Mann vernehmbar. "Ich werde nicht mehr schneller", sagt er danach im Hotel, "ich weiß nicht, was das soll."

Das fragen sich auch jetzt gerade viele.