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Work-Life-Balance Kann man sich als Firmengründerin Achtsamkeit leisten?

Mona Ghazi ist 21, hat schon zwei Firmen gegründet. Sie will leisten, erfolgreich sein. Und trotzdem behutsam mit sich selbst umgehen. Wie macht sie das?
Aus Siegen berichtet Markus Sutera
Jungunternehmerin Mona Ghazi: Zwischen Lego und LinkedIn

Jungunternehmerin Mona Ghazi: Zwischen Lego und LinkedIn

Foto: Sandra Stein / DER SPIEGEL

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Mona Ghazi hockt im Vorraum ihres Büros und baut Lego. Sie steckt die bunten Quader ineinander, kreuz und quer, ganz offensichtlich nicht nach Vorgabe, sondern nach Fantasie.

Lego ist der altbekannte Kunststoff, aus dem die Architekturträume vieler Kinder sind. Aber hier spielt kein Kind. Hier spielt eine gefragte Jungunternehmerin, eine 21-jährige Frau mit kinnlangen Haaren und braunen Augen, die sagt: »Ich komme dadurch wieder zu Kraft.«

Durchstreift man ihren Lebenslauf, könnte man sich glatt vor Ghazi fürchten. Sie übersprang eine Klasse und quasi noch eine weitere, als sie vom Schulsystem G9 auf G8 wechselte. Während sich ihre Mitschüler:innen auf die nächste Matheklausur konzentrierten, gründete Ghazi ihr erstes Unternehmen. 16 war sie da. Jetzt, mit 21, führt sie ihr zweites: »Optimo« will es Industrieunternehmen ermöglichen, Angestellte per App weiterzubilden.

21 Jahre alt und zweifache Start-up-Gründerin, natürlich macht das Ghazi zu einem Sonderfall. Doch sie steht für diejenigen in ihrer Generation, die für den »Hustle« leben, wie es auf Englisch heißt – die hart arbeiten, erfolgreich sein wollen. Gleichzeitig verfolgt sie ein anderes, für viele in ihrer Generation ebenso typisches Ziel: Sie will bei all dem achtsam mit sich selbst sein, die eigene Gesundheit im Fokus behalten.

Begleitet man Ghazi in ihrem durchgetakteten Alltag, kommt man nicht umhin, sich zu wundern: Wie passt das zusammen – der »Hustle« und die Achtsamkeit?

Ein Hauch Silicon Valley in Siegen

Zum Gespräch empfängt Ghazi in einem Co-Working-Space. Sie tritt höflich auf, stellt Fragen und beantwortet die, die man ihr stellt, so ausführlich und präzise, wie man es von einer Unternehmerin erwartet, die Investor:innen in wenigen Sätzen von ihrer Idee überzeugen muss. Ein Hauch von Silicon Valley. Doch das hier ist nicht Kalifornien, das ist Siegen, Ghazis Heimatstadt.

Der Co-Working-Space liegt unweit der Universität. Ein Tischkicker, Sofas, Flipcharts stehen herum, was fehlt, sind Menschen, die sie benutzen. Durch lange Flure navigiert Ghazi in ein spartanisch eingerichtetes Büro. Auf ihrem Schreibtisch deponiere sie grundsätzlich keine persönlichen Sachen, sagt sie, das lohne sich nicht, so viel, wie sie unterwegs sei.

»Eine eigene Firma aufbauen, dafür braucht es kein Talent, nur ›Passion‹.«

Mona Ghazi

In Siegen gründete Mona Ghazi auch ihr erstes Unternehmen, damals noch von ihrem Kinderzimmer aus. »Dino Solutions« war eine Zeitmanagement-App, die helfen sollte, Termine und Aufgaben effizient zu planen. Inzwischen ist der Service eingestellt. Doch mit dem, was sie daraus gelernt hatte, ging Ghazi die nächste Gründung an. Die Idee für Optimo habe sie 2021 zusammen mit ihrem Geschäftspartner Rinusan Navakumaran gehabt, erzählt sie: eine Weiterbildungsplattform für Arbeitende in der Industrie. Erfahrene und junge Arbeitnehmende sollen sich per App über ihr Wissen und ihre Fähigkeiten austauschen können.

Acht Teammitglieder hat Optimo derzeit, aber es sollen mehr werden. Ghazi führt das Start-up inzwischen als CEO, plant Projekte, sucht neue Kund:innen. »Eine eigene Firma aufbauen, dafür braucht es kein Talent, nur ›Passion‹«, sagt Ghazi, Leidenschaft.

Wie sich Optimo langfristig entwickelt, wird sich zeigen, das Start-up ist noch jung. Einige mittelständische Unternehmen konnte Ghazi bereits als Kund:innen gewinnen, sie scheint mit der Entwicklung zufrieden. Und eines ist ihr auf jeden Fall schon gelungen: sich einen Namen zu machen.

Die Unternehmerin Mona Ghazi

Am 11. Mai wurde Ghazi beim German Start-up Award  in Berlin als »Newcomerin des Jahres« ausgezeichnet, das Magazin »Gründerszene « zählte sie vergangenes Jahr zu den »20 spannendsten Nachwuchsgründer:innen unter 20«. Mehr als 8000 Menschen folgen ihrem LinkedIn-Profil . Sie ist dort sehr aktiv, schreibt lange Posts über ihren ersten Pitch oder darüber, wie die Generation Z die Arbeitswelt verändert. Und fügt sich damit gut ein in das Karrierenetzwerk, das an vielen Tagen einem Coaching-Ratgeber gleicht, in dem es am Ende aber um anderes geht: das beste Business, den größten Erfolg, den Spirit. Den »Hustle« eben.

Der »Gründerszene« sagte Ghazi, ihre Eltern hätten ihr früh geholfen, »das richtige Mindset zu entwickeln, indem sie mir Bücher zum Unternehmertum geschenkt, mich zu Sales-Seminaren geschickt und mir viele Techspielzeuge als Kind geschenkt haben«. Im Gespräch mit dem SPIEGEL erzählt sie, auch jetzt noch lese sie in ihrer Freizeit keine Romane, sondern Businessbücher. Und sie höre gern Rap – auf Deutsch, Englisch, Spanisch, Französisch, Italienisch, Marokkanisch, Persisch. Alles Sprachen, die sie verstehe.

»Ich identifiziere mich so krass mit meinem Unternehmen, dass ich denke, wenn ich nicht dauernd verfügbar bin, geht es kaputt.«

Mona Ghazi

Zum modernen Unternehmertum gehört auch, an keinen Ort gebunden zu sein. Ghazi sagt, sie arbeite quasi von überall, neulich sei sie in Florenz gewesen, mit Freund:innen, die auch Firmen führen, bald werde sie ein paar Tage in Warschau verbringen. In Berlin ist der Hauptsitz ihrer Firma, ihre Kolleg:innen, die überwiegend in der Hauptstadt leben, entscheiden individuell, ob und wie oft sie ins Büro kommen.

Ghazi selbst mietet in Berlin eine eigene Wohnung. Aber gerade lebt sie häufig bei ihren Eltern in Siegen. Diese Freiheit gebe ihr Lebensqualität, sagt sie.

Matt, müde, überarbeitet

Doch dass Flexibilität im Job nicht nur Freiheit bedeutet, diese Erfahrung hat Ghazi auch schon gemacht. Drei Wochen vor dem Treffen im Co-Working-Space sitzt sie in ihrem Kinderzimmer und spricht in die Laptopkamera. Sie hat eigentlich gerade Urlaub. Warum ist sie trotzdem erreichbar? »Die Wahrheit ist: Ich identifiziere mich so krass mit meinem Unternehmen, dass ich denke, wenn ich nicht dauernd verfügbar bin und nicht alles unter Kontrolle habe, geht es kaputt.« Sie nennt es das »Horrorszenario«, von dem sie eigentlich wisse, dass es Quatsch sei.

Ghazi erzählt, wie das Smartphone früher häufig abends klingelte, auch im Urlaub berufliche E-Mails eintrafen. Und wie schwer es ihr gefallen sei, sich dann zu entspannen. Müde habe sie sich manchmal gefühlt, matt, habe nachts wach gelegen.

»Zuerst schreibe ich in mein Tagebuch, wofür ich dankbar bin. Nach einer Sporteinheit im Fitnessstudio frühstücke ich.«

Mona Ghazi

Inzwischen achte sie mehr auf ihre Gesundheit, sagt Ghazi, schlafe jeden Tag acht bis neun Stunden. Ihr typischer Tag beginne zwischen sechs und sieben Uhr, »ohne Wecker«: »Zuerst schreibe ich in mein Tagebuch, wofür ich dankbar bin. Nach einer Sporteinheit im Fitnessstudio frühstücke ich«, beschreibt sie ihre Routine. Zwischen neun und zehn beginne sie ihre Arbeit, Feierabend sei um 19 Uhr. Danach treffe sie sich oft mit Freunden. Mit denen habe sie vereinbart, nach dem üblichen Update nicht mehr über die Arbeit zu reden.

Im Co-Working-Space in Siegen sitzt Ghazi irgendwann auf dem Teppichboden, mit gekreuzten Beinen, Kopfhörern, die Augen geschlossen. Sie sagt, sie meditiere erst seit ein paar Wochen. Ob sich dadurch ihre Produktivität oder ihr Wohlbefinden gesteigert habe, wisse sie nicht.

Dankbarkeit, Meditation, ungestörte Zeit mit Freund:innen: Wenn Ghazi das erzählt, klingt sie sehr nach der Generation Z, für die mentale Gesundheit ein wichtiges Thema ist. Und hört sich im nächsten Atemzug doch schon wieder an wie der mitteilsame CEO auf LinkedIn. Immer wieder fragt man sich beim Zuhören, ob sich Selfcare wirklich so effektiv planen lässt wie ein Meeting. Oder ob Lego und Meditation am Ende des Tages nur weitere Punkte auf der To-do-Liste einer modernen, optimierten Geschäftsfrau sind.

Beflügelt bei der Gründermesse

Gegen 16 Uhr an diesem Tag steigt Ghazi ins Auto ihrer Eltern und fährt zur Konekt, einer Netzwerkmesse für Unternehmen. Sie mischt sich unter Menschen, von denen viele mindestens doppelt so alt sind wie sie, die meisten von ihnen Männer. Dieses Auf-Du-und-Du gehört zu ihrem Arbeitsalltag. Der Moderator des Events, zwei Handys in der Hand, umarmt Ghazi innig. Wenig später wird er die Bühne betreten und sagen: »Die Konekt ist wie LinkedIn, nur live.«

Ghazi steht bei der Eröffnungsrede in der Menge, strahlt und klatscht. Dabei wirkt sie genauso sehr bei sich wie bei der Meditation. Dinge voranbringen, Leute verbinden – Ghazi liebt das, das zeigt sich in solchen Momenten deutlich. Später wird sie aber auch sagen, dass sie Events wie dieses maximal zweimal pro Woche besuche, »weil ich gemerkt habe, dass es mir sonst zu viel Energie nimmt«.

Gründer:innen träumen oft von der einen Idee, von Einzigartigkeit und natürlich vom großen Geld. Auch Mona Ghazi ist getrieben, oder zumindest angetrieben von diesem »Entrepreneur Spirit«, wie man den Gründergeist auf LinkedIn nennt. Doch die Überfliegerin will das Tempo drosseln, durch Lego und Meditation, Zeit für sich. Ob man beides, den »Hustle« und die Achtsamkeit, mit Selbstoptimierung und Terminblockern im Kalender erzwingen kann? Das findet Ghazi gerade noch heraus.

Dass das Ausbalancieren ein anhaltender Prozess ist, zeigt sich, als ein paar Tage vor dem Erscheinen dieses Artikels letzte Fragen zu klären sind. Auf eine E-Mail reagiert Ghazi nach nur 20 Minuten. Und schreibt: »Hi, ich bin bis Sonntag im Urlaub und antworte nächste Woche.«