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Aigners Prestige-Projekt Lebensmittel-Portal startet mit Ladehemmung

Peinlicher Fehlstart: Das neue Verbraucherportal von CSU-Ministerin Aigner war gleich nach Freischaltung überlastet. Auf Lebensmittelklarheit.de beschweren sich Kunden über die Tricks von Herstellern. Schade, dass die Panne Besucher abschreckte - sie hätten erste Erfolge sehen können.
Verbraucherministerin Aigner: "Das Portal ist rechtlich nicht zu beanstanden"

Verbraucherministerin Aigner: "Das Portal ist rechtlich nicht zu beanstanden"

Foto: dapd

Berlin - Ilse Aigner hat ihr eigenes Prestigeprojekt unterschätzt, und darum startete es gleich mit einer Panne: Kaum war die neue Internetplattform Lebensmittelklarheit.de  am Mittwoch freigeschaltet, konnte sie schon nicht mehr aufgerufen werden. Lediglich die Meldung "Service Temporarily Unavailable" erscheint - "Die Seite ist derzeit nicht erreichbar".

Die Nutzer waren verärgert, im Netz kursierten sofort spöttische Kommentare. Die Betreiber erklären den Fauxpas damit, dass sie nicht mit so vielen Zugriffen gerechnet hätten: "Unsere Server sind durch den Ansturm überlastet", sagte ein Sprecher. "Wir wurden wirklich überrannt."

Für CSU-Ministerin Aigner ist der Fehlstart ziemlich peinlich. Denn die Seite sollte doch ihr großer Coup werden: ein Portal, auf dem die Tricks und Schummeleien der Lebensmittelhersteller öffentlich diskutiert werden. Aigner, der von Kritikern oft eine allzu große Nähe zur Industrie unterstellt wird, will sich mit der Web-Seite als Schutzpatronin der Verbraucher präsentieren - auch wenn sie das Projekt nur finanziert und die eigentlich Verantwortlichen in den Verbraucherzentralen sitzen.

Und tatsächlich: Bei der Vorstellung des Portals in Berlin erntet Aigner viel Anerkennung, selbst ihre härtesten Kritiker von Foodwatch loben das Konzept der Seite. Damit könne die Lebensmittelindustrie zu mehr Ehrlichkeit gezwungen werden. Bei allzu dreisten Täuschungen droht den Herstellern die öffentliche Entlarvung.

Aber wie funktioniert Lebensmittelklarheit.de eigentlich? Hält das Portal, was Aigner vollmundig verspricht - oder handelt es sich nur um eine PR-Aktion der Ministerin?

Der Praxistest steht aufgrund der technischen Probleme unter erschwerten Bedingungen. Aber mit viel Geduld lassen sich einzelne Seiten dann doch aufrufen. Was sie zeigen, ist durchaus vielversprechend. Im Produktbereich werden einzelne Lebensmittel aufgeführt - mit der Kritik des Verbrauchers, der Stellungnahme der Verbraucherschützer und der Reaktion des Herstellers. Vor dem offiziellen Start haben die Betreiber bereits fleißig Beschwerden von Verbrauchern gesammelt und präsentierten die kritisierten Produkte im Portal.

Iglo will Produkt vom Markt nehmen

So hat es auch den Tiefkühlhersteller Iglo getroffen. Kunden beschwerten sich über "Country Chicken in Honig-Senf-Marinade" (siehe Fotostrecke): Auf der Verpackung steht, das Produkt enthalte "100 Prozent marinierte Hähnchenbrust". Tatsächlich enthält die Tiefkühlkost aber nur 76 Prozent Hähnchen, das zudem aus verschiedenen Stücken zusammengesetzt ist. "Da ist der Kunde mit Recht enttäuscht", kritisiert Projektleiter Hartmut König von der Verbraucherzentrale Hessen.

Fotostrecke

Aigner-Portal: Lebensmittel im Online-Test

Iglo verteidigt sich, das "Country Chicken" sei in der Vergangenheit nie von den Behörden beanstandet worden. Jedoch habe man sich entschieden, das Produkt "in Kürze aus dem Programm zu nehmen". König verspricht, sein Team werde beobachten, ob dies auch wirklich geschieht.

Das Iglo-Hähnchen ist im Bereich "Getäuscht?" einsortiert. Außerdem gibt es noch die Rubriken "Geändert" und "Erlaubt". In letztere stellt die Redaktion Produkte, die im Graubereich liegen - also legal sind, aber von vielen Verbrauchern dennoch als Täuschung empfunden werden. Ein konkretes Beispiel sind Kalbswürstchen. Diese können trotz des Namens schon mal aus lediglich 15 Prozent Kalbsfleisch bestehen - und zu 65 Prozent aus Schweinefleisch. Das ist rechtmäßig. Doch ist das den Verbrauchern gegenüber auch fair?

Im "Geändert"-Bereich werden Produkte aufgeführt, bei denen der Hersteller bereits auf die Kritik der Kunden reagiert hat. Zum Beispiel "Onko"-Kaffee: Der Hersteller hatte den Kaffee zeitweise mit dem Zuckerstoff Maltodextrin und mit Karamell versetzt - billigeren Zutaten also als Röstkaffee. Mittlerweile hat Onko dies rückgängig gemacht.

"Ich lade jeden ein, uns zu verklagen"

Die Hersteller kritisieren das Portal heftig, aus ihrer Sicht ist es ein Pranger: Zwar sei die Diskussion über Lebensmittel und Verpackungen durchaus sinnvoll, sagte der Chef der Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie (BVE), Matthias Horst der "Neuen Osnabrücker Zeitung". Nicht tragbar seien jedoch produktbezogene Angaben, "bei denen Marke sowie Hersteller- und Händlernamen genannt werden". Dies könne massive Folgen für die Vermarktung haben, bis hin zum Existenzrisiko.

Vor dem Start drohten die Lobbyisten immer wieder mit Klagen. Doch bisher soll erst ein Hersteller wirklich eine Beschwerde vor Gericht eingereicht haben - sie aber noch am gleichen Tag zurückgezogen haben, erzählen die Verbraucherschützer hinter vorgehaltener Hand.

Aigner und der Chef des Bundesverbandes VZBV, Gerd Billen, sehen die Drohungen gelassen: "Das Portal ist rechtlich nicht zu beanstanden", sagt Aigner. Billen gibt sich kampfeslustig: "Ich lade jeden ein, gegen uns zu klagen." Der Gerichtsweg könne sogar "ein sinnvoller Beitrag sein, die rechtlichen Fragen zu klären", sagt der Verbraucherschützer.

Trotz der Startpanne - wenn die Seite irgendwann einmal problemlos funktioniert, ist sie durchaus sinnvoll. Doch klar ist auch: Damit Aigner als echte Interessensvertreterin der Verbraucher wahrgenommen wird, muss sie noch einiges mehr leisten. Denn das Portal dient vor allem der Information und der Beseitigung der schlimmsten Auswüchse. Um den verbreiteten legalen Etikettenschwindel der Lebensmittelindustrie wirksam zu bekämpfen, müsste Aigner für härtere Gesetze kämpfen.

Denn ein Verbraucherportal kann einiges bewirken - aber mit Sicherheit kann es kein Ersatz für politisches Handeln sein.