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Werbeoffensive Wie Süßigkeitenkonzerne die WM-Fans vernaschen

Schokolade im Sonderformat, Werbespots mit Nationalkickern: Die Süßwaren-Industrie setzt voll auf die Weltmeisterschaft, fünf Wochen Fußball sollen den Umsatz kräftig steigern. Dabei sind die Produkte alles andere als sportlich - sondern wahre Kalorienbomben.
Süße Verführung: Während der WM erhofft sich die Süßigkeiten-Industrie einen Boom

Süße Verführung: Während der WM erhofft sich die Süßigkeiten-Industrie einen Boom

Foto: Corbis

Hamburg - Philipp Lahm kickt für Pringles: Der Kapitän der deutschen Nationalmannschaft trickst im Werbespot an der Seite von Weltstars wie Thierry Henry und Fernando Torres. Für die WM in Südafrika hat Hersteller Procter & Gamble seinen Kartoffelchips extra einen neuen Namen verliehen - "Pringoooals" heißen die bunten Packungen im Fußballslang.

Ansprechen soll der Werbespot vor allem Kinder und Jugendliche. Fußballer Lahm verpasst Pringles ein cooles und sportliches Image. Es fällt schon auf: Vor der WM hat die Lebensmittelindustrie ihre Werbeanstrengungen verschärft. Es gibt Sonderverpackungen, Fanprämien, Würstchen in Ballform und Deutschland-Fahnen als Gratis-Gimmick.

Vor allem für Süßigkeiten und Fastfood trommeln die Hersteller. Der Deutsche Fußball Bund (DFB) wirbt für Coca Cola, Bastian Schweinsteiger für Bifi und die Jungstars Manuel Neuer und Mesut Özil für Nutella. Alles Produkte, die mit ausgewogener Ernährung oder gar Sportlernahrung eher wenig zu tun haben. Doch die WM ist natürlich in erster Linie ein Fernseh-Ereignis, da werden reichlich Knabbereien und Schokolade konsumiert, in der Branche als "fernsehrelevante Artikel" bekannt.

Fotostrecke

Süßwaren und Fast Food: Was in den WM-Produkten drin ist

Foto: Foodwatch

Der Bundesverband der Deutschen Süßwarenindustrie (BDSI) hofft auf ein Umsatzplus von drei Prozent - und schlechtes Wetter. "Für uns wäre es besser, wenn das Wetter eher durchwachsen ist und möglichst viele Leute zu Hause Fußball gucken", sagt BDSI-Geschäftsführer Torben Erbrath.

Dass Schokoriegel, Chips und Mini-Würstchen nichts mit gesunder Ernährung zu tun haben, dürfte klar sein. In der Werbung werden sie schönfärberisch als Zwischenmahlzeiten tituliert. Doch wie ungesund sind die Produkte wirklich? Die Verbraucherorganisation Foodwatch hat elf für die WM besonders beworbene Naschereien untersucht und mit der Nährwertampel gekennzeichnet. Das heißt: Die Lebensmittel-Wächter haben den Anteil von Fett, gesättigten Fettsäuren (erhöhen den Cholesterinspiegel), Zucker und Salz bestimmt und mit den Ampelfarben versehen.

Macht insgesamt 44 Beurteilungen. 26 Mal lautet die Bewertung "rot", was auf einen hohen Anteil hinweist. Keines der elf Produkte kommt ohne rote Kennzeichnung aus, sieben schneiden sogar in drei Bereichen schlecht ab (siehe Fotostrecke oben).

Fan-Trikot beim Kauf von 500 Schokoriegeln

Bei den Kalorien schneidet die als "joghurt-leicht" beworbene Yogurette am schlechtesten ab - mit 567 Kalorien pro 100 Gramm. Dahinter landet mit dem "Kinder Riegel" eine weitere Ferrero-Süßigkeit. Der italienische Süßwarenhersteller hat mit dem DFB die Aktion "Fan Connection" gestartet. Dabei kann der Kunde Sammelpunkte gegen Fanprämien eintauschen. Der Haken: Für ein Fan-Trikot etwa muss man 50 Packungen "Kinder Riegel" kaufen - das sind 500 Riegel mit insgesamt 59.000 Kalorien. Umgerechnet enthält diese Menge an Schokoriegeln 1800 Stück Würfelzucker und 18 Päckchen Butter.

"Um diese Kalorienmenge abzutrainieren, müsste ein 70 Kilogramm schwerer Erwachsener fast 100 Stunden Fußball spielen, also zum Beispiel an allen 65 Spielen der WM teilnehmen", sagt Foodwatch-Sprecher Martin Rücker. Natürlich sei die Rechnung nicht ganz ernst gemeint. Es zeige aber, wie unlauter die Strategie der Industrie sei, Naschen sei schon okay, wenn man nur genügend Sport treibe.

Der Süßwarenverband BDSI zitiert in einer extra zur WM herausgegebenen Pressemitteilung die Ernährungsexpertin Monika Cremer: "Wer sich ausreichend bewegt, der kann auch naschen und knabbern", sagt sie - und betont die Vorbildfunktion der Eltern.

Von Ferrero heißt es zu den Vorwürfen, die "Sammelpunktaktionen sind nicht neu und werden nicht ausschließlich zu einer WM eingesetzt". Sie würden Verbraucher zudem nicht animieren, mehr Süßigkeiten zu essen. Zudem hätten die Teilnehmer fünf Monate Zeit, die Punkte zu sammeln.

Ferrero und Kraft weisen Vorwürfe zurück

Verbraucherschützer kämpfen schon länger für die europaweite Einführung der Nährwertampel, weil die Kunden dann über die Zutaten von Lebensmitteln besser informiert und gesundheitsbewusster einkaufen würden. Ein Ferrero-Sprecher kritisiert die Kennzeichnung als zu simpel: Eine Herausstellung einzelner Produkte ist für Verbraucher nur schwer nachvollziehbar und bringt keinesfalls Transparenz, weil man die Produkte mit ihrer Bedeutung für die Gesamternährung gar nicht beurteilen kann."

Die Industrie will dagegen ihr Modell der Portionsangaben ohne farbliche Kennzeichnung durchsetzen. Das Problem dieses Modells sei jedoch die Verzerrung und Irreführung der Verbraucher, sagt Foodwatch-Sprecher Rücker. Als Beispiel nennt er die WM-Schokolade von Milka, die zweigeteilt ist in "1. Halbzeit" und "2. Halbzeit". Pro Spiel würde der Fußball-Fan dann 80 Gramm Schokolade verzehren, auf der Packung beziehen sich die Angaben dagegen auf eine Portion von 25 Gramm.

"Die Tafel ist eine Sonderedition, die wir anlässlich der Fußball-WM für einen begrenzten Zeitraum auf den Markt gebracht haben", sagt Kraft-Sprecherin Güde Lassen. Sie werde jedoch nicht zusätzlich beworben. Zur Kritik von Foodwatch sagt sie, die Verpackung sei auf Vorder- und Rückseite mit detaillierten Nährwertangaben versehen: "Mit Hilfe dieser Informationen ist der Verbraucher in der Lage zu entscheiden, wie viel er davon auf einmal essen möchte, und inwieweit die gegessene Portion in seinen täglichen Kalorienhaushalt passt."

In der kommenden Woche stimmt das Europäische Parlament über die Ampel ab, im Umweltausschuss gab es zuletzt ein Patt, was die Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie sogleich als Erfolg und "Sieg der Vernunft" feierte. Rücker fordert dagegen die EU-Abgeordneten auf, "sich nicht vom Lobby-Druck aus der Lebensmittelindustrie leiten zu lassen und mit einem Votum für die Ampel Politik für die Verbraucher zu machen."

Mit Material von dpa