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Angst vor der Schweinegrippe Die Mär vom Risiko der Impfverstärker

Eine Ketten-E-Mail sorgt für Verunsicherung bei vielen Deutschen: Squalen, ein Bestandteil des Wirkverstärkers im Schweinegrippe-Impfstoff Pandemrix, soll Ursache für das Golfkriegssyndrom sein. Doch Experten bestreiten einen Zusammenhang mit den rätselhaften Krankheitssymptomen bei Soldaten.
Von Cinthia Briseño
Impfung: Inhaltsstoffe des Wirkverstärkers sorgen für Verunsicherung

Impfung: Inhaltsstoffe des Wirkverstärkers sorgen für Verunsicherung

Foto: JEAN-PAUL PELISSIER/ REUTERS

"Geben Sie diese E-Mail an möglichst viele Ihrer Bekannten weiter." Ein harmloser Satz, heutzutage enden viele elektronische Nachrichten so oder ähnlich. In möglichst kurzer Zeit sollen sie in möglichst vielen Postfächern landen. Mal versprechen sie ihrem Empfänger das Glück auf Erden, mal berichten sie von schweren Schicksalsschlägen, und oft werden sie nur in die Welt entsandt, um Werbung für potenzsteigernde Pillen und andere Mittelchen zu machen.

Der Kettenbrief von Juliane Sacher hatte eine andere Absicht: Die Frankfurter Fachärztin für Allgemeinmedizin wollte ihre Mitmenschen über die schweren Nebenwirkungen aufklären, die die Schweinegrippe-Impfung mit sich bringen kann. Ihre Behauptung: Squalen, ein Bestandteil des Wirkverstärkers AS03, der auch in Pandemrix enthalten ist, stehe im Verdacht, das Golfkriegssyndrom auszulösen . Das Syndrom trat bei amerikanischen und britischen Soldaten auf, die zur Zeit des ersten Golfkriegs im Irak prophylaktisch gegen Anthrax geimpft worden waren und später an einem diffusen Krankheitsbild litten, mit Symptomen wie Muskel- und Kopfschmerzen, Depressionen bis hin zu chronischer Müdigkeit.

Sachers Vorstoß ist nicht neu. Seit vielen Jahren verschickt die Medizinerin nach eigenen Angaben impfkritische Warnungen. In ihrer Praxis bietet sie unter anderem "Krebsbehandlung durch Ernährung" an. Sie legt Wert, wie sie selbst schreibt, auf biologische, nicht-toxische Verfahren und Präparate. Die Frankfurter Ärztin ist auch schon mit anderen gewagten Aussagen aufgefallen - wie etwa der, dass das HI-Virus nicht zwangsläufig als Ursache für die Krankheit Aids anzusehen sei.

Von Sachers impfkritischen E-Mails nahm in den vergangenen Jahren bisher kaum jemand Notiz. In diesem Jahr ging ihre Rechnung plötzlich auf: Getrieben durch die Unsicherheit vieler Bürger über die möglichen Risiken und Nebenwirkungen der Schweinegrippe-Impfung, kursiert ihre E-Mail seit einigen Wochen im Internet. In unzähligen Blogs und Foren wird über Sachers Warnung und die Gefahren von Squalen - einer organischen Verbindung, die auch im Fettstoffwechsel eine Rolle spielt - diskutiert. Auch die Redaktion von SPIEGEL ONLINE hat bereits zahlreiche E-Mails von Lesern erhalten, die fragen, was an der Squalen-Geschichte dran sei.

Chronische Müdigkeit als Folge von Squalen-Antikörpern

Auf den ersten Blick mag Sachers Nachricht für den Laien seriös klingen. Die Medizinerin führt an, bei 95 Prozent der geimpften Soldaten mit Golfkriegssyndrom seien Squalen-Antikörper gefunden worden, die der Körper als Reaktion auf eine squalenhaltige Impfung gebildet habe. Dagegen habe man bei den geimpften Nicht-Erkrankten keinerlei Squalen-Antikörper gefunden. Weiter schreibt sie: "Wenn die Bundesregierung ihren Willen durchsetzt und 35 Millionen Menschen geimpft werden, ist damit zu rechnen, dass acht bis neun Millionen Bundesbürger für die nächsten Jahrzehnte unter chronischer Müdigkeit und dergleichen leiden werden."

Impfkritiker wie Sacher berufen sich auf eine Studie amerikanischer Forscher der Tulane Medical School in New Orleans, die im Jahr 2000 veröffentlicht wurde . Vor einem Jahr, im November 2008, kam eine vom US-Kongress beauftragte Untersuchungskommission  allerdings zu einem anderen Ergebnis. Dafür hatte eine Reihe von unabhängigen Wissenschaftlern die gesamte Forschungsliteratur zum Thema ausgewertet.

In ihrem insgesamt über 500-seitigen Bericht kritisiert die Kommission die Studie aus Tulane als nicht aussagekräftig. Demnach sei der Antikörpertest nicht valide und die Probandenzahl von 38 Personen zu klein gewesen. Zudem habe die gleiche Forschergruppe ihr Ergebnis in einer weiteren Studie mit nur 38 Probanden nicht bestätigen können. Und, so die Untersuchungskommission: Der Anthrax-Impfstoff, der den Soldaten verabreicht wurde, enthält überhaupt kein Squalen als Wirkverstärker-Bestandteil. Stattdessen wurde nach Angaben der US-Arzneimittelzulassungsbehörde FDA Aluminiumhydroxid verwendet.

"Es wäre falsch, derartige Schlussfolgerungen zu ziehen"

Carlos Guzmán, Leiter der Abteilung Vakzinologie am Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung in Braunschweig, sieht die Lage ähnlich. "Es wäre falsch, aus der Tulane-Studie derartige Schlussfolgerungen zu ziehen", sagt er im Gespräch mit SPIEGEL ONLINE. Guzmán ist Experte für Adjuvanzien. Er und seine Kollegen arbeiten an der Entwicklung neuartiger Wirkverstärker, die zum einen weniger Nebenwirkungen hervorrufen, zum anderen die Immunität gegen den Erreger verstärken sollen. Zudem, kritisiert Guzmán, habe man in späteren Studien mit geprüften Antikörpertests Squalen-Antikörper ebenfalls in Personen gefunden, die nicht gegen Anthrax geimpft worden seien.

Auf ihrer Internetseite rudert Sacher inzwischen zurück.  "In meiner Ursprungsmail habe ich mich auf Arbeiten bezogen, die einen Zusammenhang zwischen Squalen und Golfkriegssyndrom gesehen haben. Ich gebe zu, dass das nicht so geschickt war, weil einige Autoren später darlegten, dass das Syndrom nichts mit Squalen zu tun gehabt haben kann, weil in dem Impfstoff kein Squalen vorhanden gewesen sein soll." Auf die Anfragen von SPIEGEL ONLINE hat Sacher bisher nicht geantwortet.

Inzwischen haben auch das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) und die Weltgesundheitsorganisation (WHO) auf die Verbreitung der Ketten-E-Mail reagiert und Gegendarstellungen auf ihren Internetseiten veröffentlicht. Auf der PEI-Seite heißt es : Bezogen auf den Impfstoff Pandemrix, das das squalenhaltige Adjuvans AS03 enthält, wurde es "inzwischen in klinischen Studien bereits bei mehr als 30.000 Probanden eingesetzt, ohne dass es auffällige Nebenwirkungen gegeben hätte."

Schweinegrippe - Impfmöglichkeiten in den Bundesländern

BundeslandImpfmöglichkeitTelefon-Beratung
Baden-WürttembergArztsuche im Netz --
BayernListe der Impfpraxen 089-31560101
BerlinArztsuche im Netz Telefonberatung der Bezirke 
BrandenburgListe der Impfpraxen Liste der Gesundheitsämter 
HamburgListe der Impfstellen 040-428373795
HessenListe der Gesundheitsämter 0180/1030300
Mecklenburg-VorpommernListe der Gesundheitsämter --
NiedersachsenListe der Impfpraxen 0180-1155511
Nordrhein-WestfalenListe der Gesundheitsämter 0180-3100210
Rheinland-PfalzListe der Impfpraxen 06131-165200
SaarlandListe der Impfpraxen 0681-5013694 und 95
SachsenListe der Gesundheitsämter 0351-564-5555
Sachsen-AnhaltListe der Impfpraxen 0391-5377111
Schleswig-HolsteinListe der Impfpraxen 0431-1606666
ThüringenListe der Impfpraxen 0361-37743099

Squalen ist eine organische Verbindung, die vom menschlichen Körper in der Leber produziert wird und vor allem eine wichtige Rolle im Stoffwechsel bei der Biosynthese von Cholesterin spielt - ohne Squalen ist der Mensch nicht lebensfähig. Diese Tatsache allein reicht aber nicht aus, um Squalen als unbedenklich zu klassifizieren. In der Tat zeigt sich die FDA bisher eher vorsichtig im Umgang mit Wirkverstärkern. Zumindest enthalten die in den USA zugelassenen Impfstoffe gegen die Schweinegrippe keine Adjuvanzien. Allerdings liegt das weniger am Squalen als vielmehr daran, dass man die Risiken einer überschießenden Immunreaktionen eingrenzen möchte. Und auch in Deutschland raten viele Ärzte, Kinder und Schwangere nur mit einem nicht-adjuvanzierten Präparat impfen zu lassen.

Impfgegner bringen Squalen aber auch in Verbindung mit weiteren schweren Nebenwirkungen, darunter Autoimmunerkrankungen wie Arthritis. "Die bisherigen Studien wurden nur an Mäusen und Ratten durchgeführt und sind widersprüchlich", sagt Guzmán. Er selbst sei auch bereits gegen die Schweinegrippe geimpft. Aber auch wenn bisher keine Beweise für schädliche Nebenwirkungen auftraten, so Guzmán, müsse man das Thema weiterhin verfolgen - bevor man mögliche Nebenwirkungen von Squalen ganz ausschließen könne.