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Schweinegrippe Impfung gegen die Angst

Die Debatte über die Risiken einer Schweinegrippe-Impfung verunsichert viele Deutsche. Sind manche Medikamente besser verträglich als andere, sollen sich Schwangere und Kinder impfen lassen? SPIEGEL ONLINE analysiert, wo übertrieben wird und wo wirklich Risiken lauern.
Spritze gegen das H1N1-Virus: Wenn die bundesweite Impfaktion startet, soll die Bevölkerung mit dem Impfstoff Pandemrix immunisiert werden

Spritze gegen das H1N1-Virus: Wenn die bundesweite Impfaktion startet, soll die Bevölkerung mit dem Impfstoff Pandemrix immunisiert werden

Foto: ddp

Die Massenimpfung gegen die Schweinegrippe droht in Chaos auszuarten: Die Nachricht, dass Soldaten und Mitglieder der Bundesregierung einen angeblich besser verträglichen Impfstoff bekommen sollen als die restliche Bevölkerung, hat für erheblichen Wirbel gesorgt.

Manche Mediziner betonen, alle in Deutschland zugelassenen Impfstoffe seien unbedenklich - andere behaupten das Gegenteil, insbesondere im Hinblick auf Schwangere und Kinder. Ranghohe Politiker distanzieren sich öffentlich von der Immunisierung, Ärztevertreter sprechen in diesem Zusammenhang von Dilettantismus und Informationschaos. Angesichts des Verwirrspiels verwundert es kaum, dass bei einer Umfrage der AOK Hessen 60 Prozent der Bürger ausgeschlossen haben, sich impfen zu lassen.

Wie riskant sind die Behandlungsmethoden wirklich? SPIEGEL ONLINE erklärt die sechs größten Mythen rund um die Schweinegrippe und die Impfung:

Mythos 1 - Die Schweinegrippe-Pandemie könnte in einer zweiten oder dritten Welle ähnlich viele Todesopfer fordern wie die Spanische Grippe.

Was ist dran?
Vor einer zweiten, verheerenden Welle wie bei der Spanischen Grippe, die zwischen 1918 und 1920 bis zu 50 Millionen Menschen tötete, warnt zum Beispiel das Paul-Ehrlich-Institut (PEI). Viele Experten sind jedoch der Ansicht, dass beim Verständnis der Spanischen Grippe noch viele Fragen offen sind. So könnten zum Beispiel Bakterien wesentlich zu der hohen Sterblichkeit beigetragen haben . Auch ist ein Vergleich zwischen Schweinegrippe und Spanischer Grippe kaum möglich, da die mit Influenza assoziierte Sterblichkeit seit dem Zweiten Weltkrieg aus noch unbekannten Gründen dramatisch gesunken ist - auf rund ein Viertel des früheren Wertes.

Seither gingen die bekannten Pandemien im Vergleich zu anderen schlechten - aber nicht pandemischen - Jahren mit einer nur noch geringen oder gar nicht erhöhten Sterblichkeit  einher. Tatsächlich weiß derzeit niemand zu sagen, ob es tatsächlich zu einer zweiten, tödlichen Welle der Schweinegrippe kommen wird. Natürlich muss man wachsam bleiben. Bisher jedoch verläuft die Schweinegrippe deutlich harmloser als erwartet. Selbst verschiedene Experten aus der Pharmaindustrie stufen die Gefahren für die breite Bevölkerung als eher gering ein. Einige von ihnen schreiben im Fachmagazin "Science" vom Potential der Schweinegrippe, eine "soziale und ökonomische Notfallsituation" zu erzeugen - von einer medizinischen Notfallsituation ist hingegen nicht die Rede.

Mythos 2 - Die Pandemie-Gefahr kann nur mit einem Impfstoff mit Wirkverstärker eingedämmt werden

Was ist dran?
Die Idee, einem Pandemie-Impfstoff einen Wirkverstärker (Adjuvans) beizugeben, entstand bei dem Versuch, einen Vogelgrippe-Impfstoff zu entwickeln. Ohne Wirkverstärker wurde für diesen Impfstoff extrem viel Antigen benötigt, das heißt viele Viruspartikel. Statt 15 Mikrogramm wie beim saisonalen Grippeimpfstoff waren es bis zu 90 Mikrogramm. Einen Vogelgrippe-Impfstoff ohne Adjuvans im Pandemiefall in großen Mengen schnell herzustellen, wäre vermutlich sehr schwierig.

Bei der Schweinegrippe ist dies jedoch grundlegend anders. Hier reichen wie beim saisonalen Grippeimpfstoff auch ohne Wirkverstärker 15 Mikrogramm Antigen aus. Wie aktuelle Studien gezeigt haben, reicht bei erwachsenen Menschen wahrscheinlich sogar eine einzige Impfung aus, um eine nach den Regeln der Weltgesundheitsorganisation (WHO) ausreichende Immunität zu erzielen. Die USA impfen deswegen mit adjuvansfreiem Impfstoff, haben jedoch für den Fall der Fälle Wirkverstärker eingelagert.

Mythos 3 - Wirkverstärker immunisieren gegen verschiedene Varianten des Schweinegrippe-Virus - deshalb sind solche Impfstoffe adjuvansfreien Mitteln überlegen

Was ist dran?
Dass Impfstoffe mit Wirkverstärker auch eine sogenannte Kreuzimmunität gegen Viren-Varianten herstellen, konnte bisher nur durch Antikörper-Studien gezeigt werden, nicht jedoch in der Wirklichkeit. Selbst der Pharmakonzern GlaxoSmithKline schreibt deshalb in einer Pressemitteilung lediglich, die Kreuzimmunität werde "erwartet". Wörtlich heißt es dort: "Darüber hinaus wird erwartet, dass durch das Adjuvanssystem auch verwandte Virusstämme durch eine mögliche Kreuzprotektion bekämpft werden können."

Mythos 4 - Der Impfstoff Pandemrix mit dem neuartigen Wirkverstärker AS03 ist schlechter als andere

Was ist dran?
Dieser Eindruck ist in der gegenwärtigen Diskussion um Regierung und Bundeswehr entstanden, die für sich einen anderen Impfstoff ohne Wirkverstärker geordert haben. Es geht aber gar nicht um die Frage, ob der Impfstoff "gut" oder "schlecht" ist - sondern ob die Nutzen-Risiko-Abwägung in der gegebenen Situation am Ende die bestmögliche ist. Würde derzeit eine Vogelgrippe-Pandemie wüten, bei der zehn Prozent der Erkrankten stürben, wäre Pandemrix wahrscheinlich ein sehr guter Impfstoff. Denn bei einem Vogelgrippe-Impfstoff wird sehr viel Antigen benötigt, um eine ausreichende Immunreaktion zu stimulieren - dabei ließe sich wahrscheinlich tatsächlich nur mit Hilfe eines Wirkverstärkers in relativ kurzer Zeit ausreichend Impfstoff für sehr viele Menschen herstellen. Das wäre bei einer Pandemie mit hoher Sterblichkeitsrate extrem wichtig.

Bei der Schweinegrippe sieht die Situation jedoch ganz anders aus. Obwohl auch an dieser Krankheit insbesondere junge Menschen sterben (auch ohne Vorerkrankungen), verläuft die Schweinegrippe insgesamt bisher deutlich harmloser als anfangs befürchtet. Deshalb sollten Sicherheitsfragen bei der Wahl des Impfstoffs eine größere Rolle spielen als bei der Vogelgrippe, insbesondere bei Schwangeren und Kleinkindern.

Für die Einschätzung der Sicherheit ist allerdings wichtig, wie viele Studiendaten zu einem Impfstoff vorliegen. Da das Mittel Pandemrix der Firma GlaxoSmithKline noch in keinem saisonalen Grippeimpfstoff millionenfach eingesetzt wurde, müssen die Mediziner hier auf Studien an wenigen zehntausend Probanden zurückgreifen. Diese Anzahl von Studienteilnehmern ist allerdings nicht ausreichend, um sehr seltene Nebenwirkungen zu erkennen. Für Schwangere und Kleinkinder fehlen Studiendaten bislang sogar ganz.

Mythos 5 - Der Impfstoff Pandemrix ist nachweislich harmlos für Schwangere und Kinder unter drei Jahren

Was ist dran?
Der Impfstoff Pandemrix ist in Europa für Schwangere und Kinder unter drei Jahren zugelassen. Dennoch gibt es bisher keine abgeschlossene Studie, in der Pandemrix an Schwangeren oder Kleinkindern in größerem Maße erprobt worden wäre. Die Ständige Impfkommission (Stiko) hat deshalb empfohlen , dass Schwangere mit einer anderen Substanz geimpft werden sollen: mit einem sogenannten Spaltimpfstoff ohne Wirkverstärker, bei dem nur Virenbruchstücke verwendet werden.

Kinderärzte fordern diesen Impfstoff auch für Kinder unter drei Jahren, da deren Immunsystem noch zu Überreaktionen neigt. Da es die Bundesländer jedoch versäumt haben, einen solchen Impfstoff für Schwangere und Kleinkinder einzukaufen, wollen sie jetzt versuchen, ihn nachzubestellen.

Mythos 6 - Der Impfstoff Celvapan ohne Wirkverstärker, den Bundesregierung und Bundeswehr für sich bestellt haben, ist besser als Pandemrix

Was ist dran?
Celvapan von der Firma Baxter enthält zwar keinen Wirkverstärker (Adjuvans). Das Medikament ist jedoch - anders als Pandemrix, bei dem nur Bruchstücke der Grippeviren als Antigen verwendet werden - ein Ganzvirusimpfstoff, den die Ständige Impfkommission ebenso wenig wie Pandemrix für Schwangere empfiehlt. Schon vor Jahrzehnten wurden Ganzvirusimpfstoffe wegen einer zu hohen Rate an Nebenwirkungen durch Spaltimpfstoffe ersetzt. Außerdem wurde Celvapan insgesamt noch weniger als Pandemrix erprobt.

mit Material von AP