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Archäologie Himmelsscheibe von Nebra soll kretisches Schiff zeigen

Neues von der Himmelsscheibe: Archäologen aus Sachsen-Anhalt glauben nach einem Fund auf einer Mittelmeerinsel, dass auf der Scheibe ein Schiff von Europas ältester Hochkultur zu sehen ist. Doch wie kam die Kunde vom Kreterkahn nach Mitteldeutschland?
Himmelsscheibe von Nebra (2008): Mediterrane Einflüsse in Mitteleuropa?

Himmelsscheibe von Nebra (2008): Mediterrane Einflüsse in Mitteleuropa?

Foto: Peter Endig / dpa

Nur wenig lässt einen an den sonnenverwöhnten Stränden des Mittelmeers an die zugigen Ebenen Mitteldeutschlands denken. Und doch soll ein Fundstück, das Archäologen ausgerechnet bei Grabungen auf einer kleinen Insel vor der Küste der Türkei aufgespürt haben, dabei helfen, das Geheimnis der Himmelsscheibe von Nebra in Sachsen Anhalt weiter zu entschlüsseln. Forscher um Francois Bertemes von der Universität Halle hatten auf dem winzigen Eiland Tavcan Adasi eine Handelsniederlassung aus der Zeit der minoischen Kultur ausgegraben - und waren dabei auf ein rund 3600 Jahre altes Siegel gestoßen, das ein Schiff mit voll geblähten Segeln zeigt.

Die auf Kreta lebenden bronzezeitlichen Handelsleute waren ein mächtiges Volk: Als wohl erste Hochkultur Europas lebten sie in einer arbeitsteiligen Gesellschaft, sie bauten ihren Herrschern prunkvolle und bunt geschmückte Paläste, stellten ein weitverzweigtes Handelsnetz auf die Beine - und besaßen sogar eine eigene Schrift. Mit dem sogenannten Diskos von Phaistos schufen sie ein Objekt, das der Menschheit bis heute Rätsel aufgibt. Warum sie im zweiten Jahrtausend vor Christus irgendwann verschwanden, ist bis heute nicht ganz geklärt. Möglicherweise waren die direkten oder indirekten Folgen eines Vulkanausbruchs auf der heutigen Insel Santorin Schuld am Schicksal des mythischen Grüppchens.

Das nun gefundene Siegel aus Bergkristall, so glaubt Archäologe Bertemes, steht in Beziehung zur Himmelsscheibe. Keine zwei Zentimeter ist das Rollstempelchen mit dem bananenförmigen Motiv lang, doch der Forscher gibt sich sicher: "Der Rumpf des Schiffes sieht exakt so aus wie auf der Himmelsscheibe." Auf dem rund 3600 Jahre alten Objekt gibt es neben der Darstellung von Sonne, Mond und Sternen tatsächlich einen Bogen, der bereits als Schiff interpretiert worden war - nicht zuletzt deswegen wurde zum Beispiel ein Besucherzentrum am Fundort bei Nebra in Form einer Arche gebaut.

Doch die genaue Herkunft des bananenförmig dargestellten Schiffes, so es sich denn tatsächlich um eines handelt, war bisher unklar. Unter Umständen stammte es aus Ägypten, so hieß es. Doch die ägyptischen Ruderboote sahen eigentlich anders aus als der Bogen auf der Scheibe. Bertemes glaubt nun, dass dort in Wirklichkeit ein Kreterkahn zu sehen ist. Die wackeren Handelsleute waren mit Hilfe von Segelbooten über das Mittelmeer geschippert, die mit Paddeln gesteuert wurden.

Und genau solch ein Schiff sei auf der Himmelsscheibe zu sehen - inklusive symbolischer Paddel, die man als Schraffur um die Bootsdarstellung herum erkennen könne. "Die entscheidende Frage ist: Wie sind die mediterranen Einflüsse nach Mitteleuropa gekommen?", sagt Bertemes im Gespräch mit SPIEGEL ONLINE.

Ob sich die sonnenverwöhnten Kreter in den fernen Norden aufgemacht haben, oder sich stattdessen einzelne Bewohner von dort bei einem Mittelmeertrip fortbildeten, da will sich Bertemes nicht festlegen. "Ich sage nicht, dass die Minoer in Mitteldeutschland präsent gewesen sind." Es sei jedoch durchaus möglich, dass einzelne Individuen, zum Beispiel Erzsucher, die beschwerliche Reise auf sich genommen hätten.

Die Kreter hatten zum Beispiel rapiden Bedarf an Zinn für ihre Bronzeproduktion. Eigene Lagerstätten existierten quasi nicht. Zumindest "sporadische Handelskontakte" mit Mitteldeutschland könnten die Minoer durchaus unterhalten haben, sagt Bertemes. Theorien des Ethnologen Hans Peter Duerr, wonach die Kreter regelmäßige Gäste in Nord- und Ostsee waren , unterstützt der Forscher hingegen nicht.

Schiffe, so viel scheint klar, waren in der Bronzezeit das wichtigste Transportmittel. Mit ihnen reisten nicht nur Waren und Güter, sondern auch Technologien, Ideen, ja sogar religiöse Vorstellungen in weit entfernte Gebiete. Deswegen könnten die derart wichtigen Transportmittel durchaus auf der Scheibe, die nach Ansicht der Archäologen zunächst ein Sonnen- und Mondkalender, später ein Kultobjekt war, dargestellt worden sein. Doch selbst diese Theorie ist nicht unumstritten. So veröffentlichte der österreichische Archäologe Paul Gleirscher im Jahr 2007 einen Artikel, in dem er den bananenförmigen Bogen auf der Himmelsscheibe als Sichelblatt identifiziert.

Doch Bertemes gibt sich sicher: "Boot und Sonne sind wichtige Bestandteile des bronzezeitlichen Glaubens." Auf der Scheibe sei ohne Zweifel ein Schiff zu sehen - und zwar eines aus Kreta.

Mit Material von dpa