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Umweltschutz: Kampf gegen das Öl

Foto: SEAN GARDNER/ REUTERS

Kampf gegen Öl-Desaster Absaugen, abfackeln, zersetzen

Wie sammelt man 780 Millionen Liter Öl aus dem Meer? Diese unfassbare Menge strömte nach der Explosion der Bohrplattform "Deepwater Horizon" in den Golf von Mexiko. In einem Speziallabor suchen Forscher nach effektiven Mitteln, den giftigen Schleim unschädlich zu machen.

Die Bibliothek ist Per Dalings ganzer Stolz. Wenn nur der Gestank nicht wäre! In grauen Blechregalen stehen in dem dunklen Raum feinsäuberlich beschriftete Flaschen mit Ölsorten aus der ganzen Welt - und miefen vor sich hin. Proben aus dem Ozean vor Norwegen hat Daling hier, aus der Erde tief unter Brasilien und auch aus der unseligen Quelle MC252 im Golf von Mexiko. Der Untergang der Plattform "Deepwater Horizon" und das darauffolgende Desaster haben das Bohrloch weltweit bekanntgemacht.

Daling arbeitet im Meereslaboratorium des norwegischen Industrieforschungszentrums Sintef, direkt am Hafen von Trondheim. Seine Kollegen und er sind Teil einer kleinen internationalen Gemeinschaft, die sich dem Kampf gegen Öl-Unfälle verschrieben hat. Selbst ein Jahr nach den Vorfällen auf der "Deepwater Horizon" diskutieren die Mitglieder darüber, welche Lehren sich aus der Umweltkatastrophe im Golf von Mexiko ziehen lassen.

Fest steht: Die ökologischen Aufräumarbeiten werden noch immer mit teils ineffektiven und antiquierten Mitteln geführt. In neue Technologie investiert man erst nach spektakulären Unglücksfällen. So wird es wohl auch diesmal geschehen. Bestenfalls. Gleichzeitig warnen Experten eindringlich davor, dass die Notfallpläne vieler Staaten viel zu optimistisch seien. Das habe auch die "Deepwater Horizon"-Katastrophe gezeigt.

Der Kampf gegen das schwarze Gift im Golf von Mexiko ist ein Feldversuch nie gekannter Größe. Mit der Auswertung der gewonnenen Messdaten werden Wissenschaftler auf Jahre beschäftigt sein. Noch immer haben Umweltforscher Mühe nachzuvollziehen, welche Folgen der Untergang der Ölplattform eigentlich im Detail hatte. Klar scheint zwar, dass die sichtbaren Schäden in dem betroffenen Gebiet vergleichsweise gering ausgefallen sind. Doch einige Fragen sind bisher unbeantwortet geblieben: Wie viel Öl schwimmt heute noch in den Ökosystemen herum? Welche Menge ist durch natürliche Prozesse verschwunden? Und wie viel durch menschliches Eingreifen?

"Unfälle werden passieren"

Der erste und entscheidende Schritt bei der Schlacht gegen den braunen Film, so Daling, sei das Wissen um die Eigenschaften der ausgetretenen Flüssigkeit: "Viele glauben, dass Öl gleich Öl ist. Aber es gibt himmelweite Unterschiede." In der Bibliothek von Sintef kann man sie genau erkennen. Mit den dort lagernden Proben experimentieren die Forscher in ihren Labors, um der giftigen Pampe gezielter an den Kragen gehen zu können.

50 Liter aus der Unglücksquelle MC252 habe man für Experimente zur Verfügung gehabt, sagt Daling. Mehr sei auf dem Weg, für weitere Versuche. Sie finden im Erdgeschoss des Meereslabors statt, wo ein Stahltank mit Glasfenstern steht. Er ist mit 4000 Liter Wasser aus dem Fjord vor der Tür gefüllt. Zehn Liter Öl schwimmen darauf. Eine Wellenmaschine hält die Mischung unter beständigem Platschen in Bewegung. Entfernt erinnert die braune Masse an Nougat-Brotaufstrich. An einer Seite des Beckens simuliert eine UV-Lampe das Sonnenlicht.

Die Temperatur in dem Raum lässt sich je nach Bedarf regeln. Mal ist es hier so warm wie in der Karibik, mal so kalt wie in der hohen Arktis - je nachdem, wo auf der Welt gerade gegen die Folgen eines Ölunglücks gekämpft wird. Mit Hilfe des plätschernden Tanks will man die Alterungsprozesse der Substanz besser verstehen. Nur so lässt sich die angemessene Reaktion beim Kampf gegen die zähe Masse finden.

Fragt man Daling, ob BP beim Kampf gegen die Ölpest im Golf von Mexiko genug über die Eigenschaften des Öls aus der Quelle MC252 gewusst hat, zögert er zuerst kurz. Dann sagt er lachend: "Man kann nie genug wissen."

Bei öffentlichen Vorträgen wirft Dalings Chef Torstein Haarberg gern ein Albumcover des britischen Sängers Elvis Costello und dessen früherer Band Attractions an die Wand. "Armed Forces" heißt es, und eine Horde Elefanten ist darauf zu sehen. Wichtig für die Ölforscher ist vor allem der erste Song: "Accidents will happen". Unfälle werden passieren. Die Frage sei also, sagt Haarberg, ob die Menschheit auf diese Unfälle vorbereitet sei. Haarbergs Urteil dazu: "Ich denke nicht."

Derzeit kommen beim Kampf gegen Öl auf dem Ozean drei Hauptstrategien zum Einsatz. Alle haben charakteristische Vor- und Nachteile - und alle können nur unter bestimmten Bedingungen genutzt werden. Der Forschungsbedarf ist gigantisch.

Abpumpen: Ein Klassiker, nur bedingt effektiv

In den Wochen nach dem Untergang der "Deepwater Horizon" strömten laut den Statistiken von BP insgesamt 780 Millionen Liter Öl ins Meer. Davon seien etwa 127.200.000 Liter von der Wasseroberfläche abgepumpt worden. "Wir haben das so weit draußen im offenen Wasser gemacht wie möglich", sagt BP-Mann Arden Ahnell. Er ist für die wissenschaftliche Aufarbeitung der Katastrophe verantwortlich.

Eine ganze Armada von Schiffen kam zum Abpumpen in die Golf-Region. 6500 Schiffe stammten von Privatunternehmen und der Regierung; zudem kämpften 3200 kleinere Fischerboote gegen das Öl. "Vessels of Opportunity" nannten die Verantwortlichen das Programm. Doch ein großer Teil der US-Technik zum Abpumpen war schon alt: Bereits im Frühjahr 1989 nach dem Tankerunglück der "Exxon Valdez" war sie im Einsatz.

Viele verteidigen diese Technik. Schließlich hat sich am Prinzip des Abpumpens seit Jahrzehnten nichts geändert: Weil das Öl leichter als Wasser ist, schwimmt es oben - und kann abgeschöpft werden. Und doch gerät die Alt-Technik schnell an ihre Grenzen. Sie kann zum Beispiel nur eingesetzt werden, wenn das Wetter gut ist, das heißt die Wellen nicht zu hoch sind.

Bei drei Meter Wellengang ist Schluss

Damit man die braune Brühe aber auch effizient abpumpen kann, muss sie erst mit Ölbarrieren, sogenannten Booms, gesammelt werden. Diese werden teilweise hinter Schiffen hergezogen. Das geht aber nur auf ruhiger See; bei maximal drei Metern Wellenhöhe ist Schluss. Experten glauben, dass technologische Entwicklung an diesem Punkt deutlich bessere Ergebnisse bringen könnten.

Im gesamten Golf schwammen mehr als 4100 Kilometer Booms. Vergleicht man den Aufwand, erscheint die Menge des abgepumpten Öls eher niedrig. Das liegt auch daran, dass Booms zum Einsammeln nur extrem langsam hinter dem Schiff hinterhergezogen werden können. Mit neuen Lösungen soll die Erfolgsstatistik beim Aufsammeln verbessert werden: In Zukunft könnten robustere Boom-Systeme wie der "Ocean Buster" eine Vervierfachung der Schiffsgeschwindigkeit bringen, wie erste Tests zeigen. Assistenzsysteme sollen den Kapitänen zudem genau anzeigen, wie schnell sie mit der Barriere im Schlepptau durchs Wasser pflügen können.

Techniker arbeiten außerdem an Methoden, bei denen die Trennung von Öl und Wasser erst auf dem Schiff vorgenommen wird. Dadurch ließe sich ein bestimmtes Seegebiet zügiger reinigen. "Vielleicht sollten wir die Geschwindigkeit erhöhen. Wir sollten geringere Effizienz akzeptieren, wenn wir schneller werden können", sagt Jörn Harald Andersen von der Norwegian Clean Seas Association. Sein Unternehmen würde im Fall eines Ölunfalls vor Norwegens Küste die Rettungsarbeiten im Auftrag der betroffenen Ölfirma übernehmen.

Nach dem von Andersen beschrieben Prinzip hätte auch ein mit vielen Vorschusslorbeeren bedachter umgebauter Supertanker im Golf von Mexiko arbeiten sollen. Doch die "A Whale" floppte kläglich - nicht zuletzt, weil sie das Öl vor sich her schob, statt es anzusaugen. Der graue Riese zeigt: Längst nicht alle neuen Technologien sind beim Kampf gegen das Öl effektiv.

Trotzdem wird weitergeforscht. Etwa an Barrieren, die Öl zunächst ganz ohne Hilfe eines Schiffes aufsammeln können ("Skimmerboom"). Solange aber nicht klar ist, ob die neuen Auffanglösungen tatsächlich das halten, was sie versprechen, werden in vielen Fällen die althergebrachten Verfahren bevorzugt. Beim Goliat-Feld in der Barentssee beispielsweise will Norwegen im Falle eines Ölunfalls ebenfalls auf die Hilfe von Fischerbooten setzen.

Abbrennen: Nicht schön anzusehen, aber wirksam

Neben dem Abschöpfen des Öls setzten die Rettungskräfte nach dem Untergang der "Deepwater Horizon" auf eine sehr umstrittene Technik: Gezielt legte man dort Feuer, wo das Öl besonders dick auf dem Ozean schwamm. Insgesamt 411 solcher sogenannten In-situ-Burns gab es in den Wochen nach dem Unglück. Verbrannt wurden dabei 42.135.000 Liter Öl - vermutlich mehr, als 1989 insgesamt aus der "Exxon Valdez" geschwappt waren. "Niemand hat in dem Maße auf kontrollierte Verbrennung gesetzt, wie wir es getan haben", sagt BP-Mann Ahnell.

"Das Potential für In-situ-Burns im Golf von Mexiko ist größer als etwa vor Norwegen", glaubt Daling. Doch auch der Sintef-Mann hält die kontrollierte Verbrennung für eine durchaus interessante Option. Das Öl dürfe dafür aber noch nicht zu stark gealtert und mit Wasser vermischt sein. In den sturmumtosten Meeresgebieten vor der norwegischen Küste passiert das weit schneller als im Golf von Mexiko. Im Sintef-Labor in Trondheim versuchen die Forscher deshalb herauszufinden, wie viel Zeit man zum Anzünden hat.

"Man kann das nicht nahe der Küste machen"

Um den Brand aber überhaupt starten zu können, muss das Öl mit Barrieren auf eine Dicke von mindestens einem halben Zentimeter angestaut werden. Ein weiterer Nachteil der Fackelei: Zu nahe an der Küste darf diese Operation nicht ablaufen. Der schwarze Rauch reißt giftige Chemikalien mit sich. "Einen halben oder einen ganzen Kilometer von den Bränden entfernt liegt die Belastung der Luft schon knapp unter gesundheitlich bedenklichen Werten", erklärt Chantal Guénette von der kanadischen Küstenwache. Auch ihre Behörde hat mit dem Abbrennen von Öl experimentiert. Das Fazit: "Man kann das nicht nahe der Küste machen, draußen im Meer aber sehr wohl."

Abhängig ist das Verfahren auch von der Region und den dort herrschenden Temperaturen: Bei Experimenten vor Spitzbergen haben Sintef-Forscher gezeigt, dass im eisbedeckten Gewässer der Arktis das Anzünden von ausgetretenem Öl die beste - und manchmal auch einzige - Wahl ist. Vor allem das Abpumpen der ausgetretenen Flüssigkeit zwischen den Eisschollen ist derzeit so gut wie aussichtslos. Wissenschaftler arbeiten daran, das Verbrennungs-Procedere zu optimieren: Feuerfeste Ölbarrieren etwa könnten helfen, das Öl vorher einzusammeln.

Chemisches Zersetzen: Effektiv und umstritten

Besonders umstritten war nach dem "Deepwater"-Desaster der Einsatz von Chemikalien, die in bisher noch nie gekanntem Ausmaß das Öl zersetzen sollten: Die sogenannten Dispergatoren brechen es in eine Menge kleinerer Tröpfchen auf, die dann vom Wasser umschlossen werden. Ein Prinzip, das man zu Hause vom Spülmittel beim Abwaschen kennt.

Der Vorteil: Die Oberfläche des Öls vergrößert sich massiv. Natürlich vorkommende, Öl fressende Bakterien haben mehr Platz zum Angriff. Die Chemikalien können aber aktuell nur bei gutem Wetter eingesetzt werden. Außerdem muss es oft sehr schnell gehen. "Für manche Ölsorten liegt das Zeitfenster zur chemischen Zersetzung bei einem Tag, bei anderen können es mehrere Wochen sein", sagt Daling.

Im Sintef-Laboratorium haben seine Kollegen und er gerade einen mit Glasfenstern versehenen Stahlturm in einem Versuchsbecken installiert. In 40.000 Litern Wasser soll darin der unterseeische Einsatz von Öl-Chemikalien getestet werden. Denn das war die große Neuerung im Golf von Mexiko: Nach Angaben von BP wurden vier Millionen Liter Dispergatoren an der Wasseroberfläche eingesetzt. Hinzu kamen noch einmal drei Millionen Liter, die direkt in die leckende Quelle gepumpt wurden.

"Wichtiger Pfeil im Köcher"

Welche Auswirkungen haben diese Mengen aber für die Tiefsee? Laut einer Statistik im Wissenschaftsmagazin "Nature" wurden im Golf von Mexiko zwischen 520.000 und anderthalb Millionen Barrel Öl chemisch zerbröselt. Manche Meeresforscher sahen das kritisch. So beklagte Elizabeth Kujawinski von der Woods Hole Oceanographic Institution, die Chemikalien lösten sich in der Tiefsee auch nach Monaten kaum auf.

Arden Ahnell von BP fordert dagegen eine "fundierte wissenschaftliche Debatte" über die Chemikalien und lobt sie als "wichtigen Pfeil im Köcher". Die Kritik an den Dispergatoren nennt Ahnell "interessant" - schließlich fänden sich die eingesetzten Substanzen im Prinzip in jedem Haushalt. Man habe außerdem keine bedenklichen Werte der Chemikalien im Ozean gemessen. Chantal Guénette von der kanadischen Küstenwache fordert "zusätzliche Forschungen" zu den langfristigen Folgen des Chemikalieneinsatzes. Es gehe darum, gegen "Fehlwahrnehmungen und Wissenslücken" anzugehen.

Mit weiteren wissenschaftlichen Veröffentlichungen wird die Debatte geführt werden. Noch steht ein endgültiges Urteil aus. "Es war eine klassische Entscheidung zwischen schlecht und schlechter", beschreibt der Geomikrobiologe David Valentine von der University of California in Santa Barbara den Chemikalieneinsatz im Golf. "Ich bin mir noch immer nicht sicher, welche Variante wir gewählt haben."