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Selbstverletzungen Warum Ritzen für Borderliner eine Erleichterung ist

Sie ritzen sich mit Rasierklingen und drücken Zigaretten auf ihren Unterarmen aus. Patienten mit Borderline-Störung verletzten sich selbst - paradoxerweise, um sich Erleichterung zu verschaffen. Jetzt haben Forscher herausgefunden, dass Schmerzreize das Gefühlszentrum im Gehirn beruhigen.
Selbstverletzte Arme einer Borderline-Patientin: Ritzen bringt Erleichterung.

Selbstverletzte Arme einer Borderline-Patientin: Ritzen bringt Erleichterung.

Foto: Uwe Groenewold

Patienten mit einer Borderline-Störung nutzen häufig ungewöhnliche Methoden, um ihre starken negativen Gefühle in den Griff zu bekommen: Sie ritzen sich die Arme auf, trinken schädliche Substanzen oder verletzen sich mit einer brennenden Zigarette. "Sobald ich geritzt habe und gesehen habe, wie das Blut fließt, ging es mir sofort besser." So oder so ähnlich äußern sich viele Borderline-Patienten über ihr bizarres Verhalten. Die Selbstverletzung verschafft ihnen Erleichterung und lindert ihren negativen Gefühlszustand.

Jetzt hat ein Forscherteam aus Mannheim und Heidelberg erstmals Hinweise im Gehirn von Borderline-Patienten darauf gefunden, warum Selbstverletzungen heftige Emotionen mildern. Wie die Wissenschaftler um Inga Niedtfeld vom Zentralinstitut für seelische Gesundheit zeigen konnten, dämpfen Schmerzreize, aber auch Wärmereize offenbar überschießende Reaktionen des Gefühlszentrums im Gehirn der Patienten.

Die Wissenschaftler untersuchten mit Hilfe der Magnetresonanztomographie (MRT), welche Regionen im Gehirn der Betroffenen beim Betrachten negativer und neutraler Bilder aktiviert werden. Nach jeweils einigen Sekunden des Bilderbetrachtens folgte ein Wärmereiz, der entweder nicht schmerzhaft war oder eine für die Probandin schmerzhafte Temperatur erreichte. Die Hirnaktivität wurde dabei weiterhin aufgezeichnet. An der Untersuchung nahmen 23 Borderline-Patientinnen und 26 gesunde Frauen als Kontrollgruppe teil.

Intensive Gefühle in den Griff bekommen

Die Analyse der Gehirnbilder ergab zunächst, dass bei den Patientinnen mit Borderline-Störung im Vergleich zur Kontrollgruppe Hirnregionen stärker aktiviert waren, die an emotionalen Reaktionen beteiligt sind - und zwar sowohl bei den negativen als auch bei den neutralen Bildern. Zu diesen Regionen zählten die Amygdala, die Insula und das vordere Cingulum, berichten die Forscher im Fachjournal "Biological Psychiatry" . Der Amygdala wird allgemein eine wichtige Rolle bei der Verarbeitung negativer Gefühle zugeschrieben. Dieser Zusammenhang fand sich auch hier: Je aktiver die Amygdala der Probandinnen im Versuch war, desto größere Schwierigkeiten hatten sie, negative Gefühle zu regulieren.

Überraschenderweise wirkten sowohl die schmerzhaften als auch die nicht schmerzhaften Wärmereize diesem Effekt entgegen: Sie unterdrückten die Aktivierung der Amygdala. Dieser Effekt ließ sich in beiden Untersuchungsgruppen beobachten, er war jedoch bei den Borderline-Patientinnen stärker.

"Die Ergebnisse lassen sich mit der Annahme vereinbaren, dass schmerzhafte Reize Borderline-Patienten Erleichterung verschaffen können, weil sie die für Emotionen zuständigen Hirnregionen hemmen", schreibt John Krystal, Herausgeber der Zeitschrift "Biological Psychiatry", in einem Kommentar. Das Verständnis dieser Mechanismen könnte dazu beitragen, Strategien zu entwickeln, mit denen die Betroffenen ihre intensiven Gefühle in den Griff bekommen können, ohne sich dabei selbst zu schaden.

cib/ddp