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SPIEGEL ONLINE

"Shefex II" Deutsche Forscher starten Hyperschall-Flieger

Mit elffacher Schallgeschwindigkeit soll der in Deutschland entwickelte Flugkörper "Shefex II" bei einem Experiment durch die Atmosphäre donnern. Experten hoffen auf einen neuen Hitzeschutz für Raumfahrzeuge. Doch die Technik könnte auch militärisch genutzt werden.

Regelmäßig lassen sie es so richtig krachen, da ganz oben im Norden. Dann erzittert der Raketenstartplatz Andøya auf den Vesterålen, weit jenseits des Polarkreises, unter infernalischem Lärm. Mehr als 1200 Höhenforschungsraketen sind über die Jahrzehnte von der abgelegenen norwegischen Insel in dem Himmel gedonnert. Ein Start im Januar 1995 irritierte die Militärs im benachbarten Russland derart, dass sie den Beginn eines Atomkriegs fürchteten - und Präsident Boris Jelzin den Schaltkoffer für den Vergeltungsschlag in die Hand drückten.

Am 20. Juni startet nun das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) mit seiner mobilen Raketenbasis eine fast 13 Meter hohe Rakete auf Andøya. Brasilianische Triebwerke sollen einen rund fünf Meter langen und 500 Kilogramm schweren Wiedereintrittskörper in die Luft bringen. Die Konstruktion namens "Shefex II" - kurz für Sharp Edge Flight Experiment, also "scharfkantiger Flugversuch" - soll 200 Kilometer weit in die Atmosphäre aufsteigen. Beim anschließenden Sturz zur Erde wird "Shefex" bis zu 12.000 Kilometer in der Stunde schnell.

Rund 45 Sekunden dauert der Höllenritt zurück. Er soll dabei helfen, einen besseren Hitzeschutz für Raumfahrzeuge zu entwickeln. Die eckige Spitze muss Temperaturen bis 2000 Grad aushalten. Während der Flugkörper durch die immer dichter werdende Atmosphäre gelenkt wird, soll er Bilder zur Erde übertragen. Sensoren überwachen Druck, Temperatur und Wärmefluss - bis der Wiedereintrittskörper am Fallschirm ins Eismeer bei Spitzbergen fällt.

Die ungewöhnliche Form der Mini-Kapsel irritiert

Bisher setzten Raumfahrzeug-Designer auf abgerundete Formen zum Schutz vor Hitze - und nicht auf scharfe Kanten. Warum soll das nun anders sein? "Durch die Scharfkantigkeit reduziert sich die Anzahl der unterschiedlichen Bauteile, die wir brauchen", erklärt DLR-Chef Johann-Dietrich Wörner im Gespräch mit SPIEGEL ONLINE. So seien beim Space Shuttle der Amerikaner für den Hitzeschild 20.000 verschiedene Elemente verwendet worden. Ein immenser Aufwand.

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"Shefex II": Höllenritt mit elffacher Schallgeschwindigkeit

Foto: DLR

Die Reparatur einer defekten Shuttle-Kachel im All wäre mit ziemlicher Sicherheit immer ein Notbehelf geblieben. Der Schutz von "Shefex" ist dagegen deutlich simpler geformt: "Wir wollen das mit einfachen glatten Flächen machen, um die Anzahl der Elemente zu reduzieren", sagt Wörner.

Raumfahrzeuge, die zur Erde zurückkehren können, sind in Deutschland bisher nicht gebaut worden. Warum soll ihre Erforschung nun ausgerechnet hier vorangetrieben werden? Wörner verweist auf die faserkeramischen Verbundmaterialien, die von DLR-Instituten in Stuttgart und Köln erdacht wurden: "Wenn man diese Technologie entwickelt hat, ist es logisch, dass man sie auch anwendet."

Neben dem DLR sind an "Shefex II" auch die Firmen EADS Astrium, MT-Aerospace und Boeing sowie die Universität Stuttgart beteiligt. "Wir betreten mit der Mission technologisches Neuland", sagt Projektleiter Hendrik Weihs vom DLR-Institut für Bauweisen- und Konstruktionsforschung in Stuttgart.


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Die Raumfahrttechniker träumen von einem sogenannten Free-Flyer. Das ist eine Mini-Raumstation für wissenschaftliche Experimente, ganz ohne Astronauten. Die Raumfahrer können hochsensible Messgeräte nämlich gehörig durcheinanderbringen, zum Beispiel weil sie Vibrationen verursachen. Selbst die Gravitationswirkung der Menschen kann Messwerte verfälschen.

Irgendwann nach 2020, so hofft man beim DLR, könnte der "REX-Free Flyer" (Returnable Experiments in Space) ungestört kleine Experimente im All beherbergen und später die Ergebnisse wieder sicher zur Erde zurückbringen. Wenn sich denn jemand findet, der solch ein Fluggerät bezahlen mag. "Wir werden noch sehen, ob wir das europäisch, national oder vielleicht auch in globaler Kooperation machen", sagt Wörner.

Flugkörper wird aktiv gesteuert

Neben den etwas unklaren Zukunftsaussichten birgt "Shefex II" noch ein weiteres Problem: Im Gegensatz zu einem ersten, im Oktober 2005 gestarteten Exemplar ist die aktuelle Version des Hyperschall-Fliegers aktiv steuerbar. In den USA wird vergleichbare Technik mit wechselndem Erfolg für den militärischen Einsatz getestet. "Eine aktive Steuerung eines Wiedereintrittskörpers ist auch Gegenstand des Pentagon-Projekts Conventional Prompt Global Strike", erklärt Götz Neuneck vom Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg.

Es ist ein Milliardenprojekt: Flugkörper wie die "Advanced Hypersonic Weapon" (AHW) sollen den USA rasche Militärschläge rund um den Globus ermöglichen. Derartige Waffen sollen jeden beliebigen Punkt der Welt in rund zwei Stunden mit einem konventionellen Sprengkopf treffen können - viel schneller als bisherige Flugkörper.

Es ist eine zweifelhafte Verwandtschaft, die "Shefex" da hat. "Ich gehe davon aus, dass das DLR keine militärische Verwendung im Sinn hat", sagt Neuneck. "Die Ergebnisse des Projekts dürften aber Raumfahrt betreibende Staaten wie die USA, Russland oder China interessieren." Diesen Staaten wird nachgesagt, dass sie Weltraumwaffen entwickeln.

"Uns geht es hier überhaupt nicht um irgendeine Waffenentwicklung", sagt DLR-Chef Wörner. Er bemüht einen Vergleich aus dem Haushalt: Mit einem Messer könne man ein Stück Brot schneiden oder jemanden verletzen. "Genau so können Sie natürlich immer mit Hochtechnologie Gutes und Böses tun."

"Dual Use" nennen Fachleute Technologien, die sowohl zivil als auch militärisch eingesetzt werden können. "Das DLR legt ausdrücklich Wert auf zivile Nutzung für die 'Shefex'-Technologie", stellt Wörner klar. Doch Friedensforscher Neuneck wünscht sich, dass das auch festgeschrieben wird: "Die Bundesregierung und die EU müssen sich dafür einsetzen, dass Verhandlungen für ein Verbot von Weltraumwaffen beginnen."