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Kinostart Die kleine Hexe - und ich

Die kleine Hexe
125 Jahre alt ist die kleine Hexe, die Karoline Herfurth spielt, aber das ist für eine Hexe ja noch gar kein Alter.
© Walter Wehner/Studiocanal GmbH / Claussen+Putz Film / DPA
Der Kinderbuch-Klassiker kommt mit Karoline Herfurth in der Titelrolle ins Kino. stern-Redakteurin Judith Liere hat als Komparsin auf dem Blocksberg mitgetanzt

"Das Hexen ist keine einfache Sache. Wer es im Hexen zu etwas bringen will, darf nicht faul sein."

Im Jahr 1957 hat Otfried Preußler diese Sätze geschrieben, sie stehen auf Seite 4 seines Kinderbuchs "Die kleine Hexe". 60 Jahre später stehe ich in einer kalten Halle in einem Industriegebiet in Seesen im Harz und merke, wie recht er hat. In der letzten halben Stunde habe ich mir fünfmal unbeabsichtigterweise den Stiel meines Reisigbesens gegen den Kopf gehauen, bin dreimal ungeschickt über den Saum meines langen Rocks gestolpert und habe einmal beim Cappuccino-Trinken ganz doof meine riesige Hakennase in den Milchschaum getunkt. Nein, eine gute Hexe zu sein ist wahrlich keine einfache Sache.

Um mich herum stehen etwa 60 weitere Hexen-Schülerinnen. Drei Tage haben wir Zeit, um richtige Hexen zu werden, gut genug, um zur Walpurgisnacht mit wild herumwirbelnden Besen auf dem Blocksberg tanzen zu dürfen.

Uns Komparsinnen geht es damit ähnlich wie der kleinen Hexe aus Preußlers Kinderbuch-Klassiker, in dessen Verfilmung wir hier mitspielen (und der ab 1. Februar im Kino läuft). Denn die Walpurgisnacht ist nur etwas für große Hexen, nichts für junge Dinger von gerade einmal 127 Jahren, die noch viel lernen müssen. Die kleine Hexe reitet trotzdem auf ihrem Besen auf den Blocksberg. Denn: "Verboten ist vieles. Aber wenn man sich nicht erwischen lässt …"

"Die kleine Hexe" wird immer noch gelesen

Regeln hinterfragen, sich selbst behaupten, der Frust, wenn man gesagt bekommt, man sei noch zu klein, um dazuzugehören – das sind die Themen des Buches. Preußler erzählt sie so universell und originell, dass "Die kleine Hexe" auch nach 60 Jahren immer noch Kinder erreicht.

"Das ist ein sehr emotional aufgeladenes Projekt für mich", sagt Karoline Herfurth, die die Titelrolle spielt. "So viele Menschen haben Erinnerungen an dieses Buch, denen wollen wir gerecht werden." Kostüme, Maske und Szenenbild orientieren sich an den Zeichnungen von Winnie Gebhardt-Gayler im Buch. Nur Karoline Herfurths angeklebte Silikonnase ist nicht ganz so spitz wie dort. Aber fast so lang. Und Suzanne von Borsody ist mit ihren angeklebten Warzen eine ziemlich fiese Muhme Rumpumpel.

An 36 Drehtagen entstand die Märchenwelt, die Produktionsfirma Claussen und Putz hatte zuvor auch Preußlers "Krabat" und "Das kleine Gespenst" verfilmt. Gedreht wurde in Wäldern im Harz, in Bayern und der Schweiz, im Studio in Erfurt - und eben in einer Halle im Gewerbegebiet Seesen.

Hier wird Walpurgisnacht gefeiert. Dafür müssen 60 Hexen-Komparsinnen und ich eine Tanzchoreografie einstudieren und lernen, wie man einen Besen im Takt schleudert, ohne dabei der Nachbarhexe die falsche Nase vom Gesicht zu reißen. Neben uns leuchtet ein acht Meter hoher Berg in Rot und Orange: das große Walpurgisfeuer. Die lodernden Flammen werden später digital ergänzt.

Es gibt Mindestlohn und mittags Nudeln

Meine Mithexen sind eine ziemlich wild zusammengesetzte Truppe. Über Radiosender, Lokalzeitungen und Aushänge wurden Komparsinnen zwischen 40 und 80 Jahren gesucht, gern auch mit besonderen Fähigkeiten wie Feuerakrobatik, Jonglieren oder Tanzen. Und so stehen nun in der Halle Frauen, die aussehen, als hätten sie in den Achtzigern viel Zeit als Aussteigerinnen an thailändischen Stränden verbracht; Frauen, die aussehen, als hätten sie sehr lange Ballett gemacht; Frauen, die aussehen, als würden sie alle ihre Klamotten bei Räucherstäbchengeruch selbst stricken; und sehr viele Frauen, die man nicht so einfach in Klischeeschubladen verfrachten kann.

Die kleine Hexe
Eine Stunde saß Komparsin Nr. 58 für ihre Filmnase in der Maske. 
© Studiocanal GmbH / Claussen+Putz Film / Walter Wehner

Ähnlich vielfältig sind die Gründe der Frauen, mitzuspielen. Reich und berühmt wird man nicht als Komparse. Es gibt Mindestlohn und mittags Nudeln vom Plastikteller für zehn bis zwölf Stunden lange Drehtage, die nicht selten um sechs Uhr morgens beginnen und aus viel Warterei in schlecht oder gar nicht beheizten Hallen bestehen. Da braucht man schon Leidenschaft für die Sache.

Manche Komparsinnen machen das tatsächlich hauptberuflich. Man kennt sich untereinander. "Du hast doch auch den Flugzeugabsturz gemacht", sagt eine Frau zur anderen. Ja, die beiden kennen sich aus einem Film über den Absturz der Germanwings-Maschine. Die hauptberuflichen Komparsinnen nehmen manchmal noch nebenbei Schauspielunterricht, hoffen auf eine Sprechrolle und können ihre Filme und Ausstrahlungsdaten herunterrattern, als hätten sie eine Programmzeitschrift auswendig gelernt: "Mata Hari", "Tatort", "1000 Mexikaner", "Die Straßencops", "Heiraten ist nichts für Feiglinge", "Nord Nord Mord", "und dann habe ich noch im Teleshopping Kaffeemaschinen und Messerblocks verkauft".

Man siehet die im Lichte, die im Dunkeln sieht man nicht

Dann gibt es die Komparsinnen, die zum ersten Mal dabei sind, meist aus Neugier. "Ich habe mir für die Dreharbeiten Urlaub genommen. Ich arbeite in der Kfz-Zulassungsstelle und sage den ganzen Tag immer wieder die gleichen Sätze - ich brauchte mal Abwechslung", sagt eine Frau. Eine andere erzählt, dass sie nach einer Krebserkrankung ihren Beruf nicht mehr ausüben könne: "Ich hab Zeit. Außerdem ist die kleine Hexe eine Figur, die mich im Kinderzimmer emanzipiert hat." Sie arbeitet auch am Theater als Komparsin. "Ich mache das gern, das ist kulturpolitische Bildung." Dabei sind auch noch andere Professionelle: Die Frauen der Tanzgruppe "Wolfshäger Hexenbrut", die sonst bei Feiern auftreten, müssen nicht mehr groß

lernen, wie man hexisch lacht und keift oder wie man trotz falscher Nase souverän Kaffee trinkt. Und noch eine Expertin ist unter den Blocksberg-Hexen: Susanne Preußler-Bitsch, die Tochter von Otfried Preußler, tanzt ebenfalls mit aufgeklebten Warzen mit. Für sie und ihre Schwestern hatte ihr Vater einst die Geschichte erfunden.

Als ich den fertigen Film ein gutes Jahr nach dem Dreh zum ersten Mal im Kino sehen darf, bin ich nervös. Wie ich, die Komparsin Nr. 58, wohl auf der Leinwand aussehen werde mit dem riesigen Zinken, den schwarz gemalten Zähnen und dem unförmigen Kostüm? Wird man sehen, dass ich beim Hexentanz einmal aus Versehen in die falsche Richtung gehüpft bin?

Als die Walpurgisnacht-Szene kommt, merke ich, dass ich mir ohne Grund Sorgen gemacht habe. Ich bin gar nicht peinlich - man sieht mich nämlich nicht. Nur einmal entdecke ich kurz meinen Hut mit dem aufgeklebten Raben in der Menge. Klassisches Komparsenschicksal: Man siehet die im Lichte, die im Dunkeln sieht man nicht. Aber Karoline Herfurth und Suzanne von Borsody spielen echt super.

Judith Liere besitzt noch ihre alte Ausgabe der "Kleinen Hexe" aus dem Jahr 1982. Toll fand sie als Kind die Sprachen, in die das Buch übersetzt wurde, etwa: Surselvisch. Sie dachte deshalb lange, es gäbe ein Land namens Surselvinien.

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