Anzeige

Neues Album Sänger Thees Uhlmann: "Ich habe mich vor mir selbst geekelt"

Thees Uhlmann
Thees Uhlmann veröffentlicht sein drittes Solo-Album. Zuvor wurde er mit der Band Tomte bekannt.
© Ingo Pertramer
Nach sechs Jahren Pause veröffentlicht Musiker Thees Uhlmann wieder ein neues Album. Im stern-Interview erklärt er, warum es so lange gedauert hat, welche Rolle seine Familie in seiner Musik spielt und warum Kinder dumm sein müssen.

"Fünf Jahre nicht gesungen" – mit der ersten Single, die Thees Uhlmann von seinem neuen Album veröffentlichte, machte der Musiker seine lange Pause selbst zum Thema. Genau genommen waren es am Ende dann sogar sechs Jahre, die zwischen der zweiten Soloplatte "#2" und dem frischen Album "Junkies und Scientologen" des ehemaligen Sängers der Band Tomte lagen. In der Zwischenzeit ist der 45-Jährige auch unter die Autoren gegangen, seinen Debütroman "Sophia, der Tod und ich" veröffentlichte er 2015. Im Oktober erscheint zudem ein Buch von Uhlmann über die Toten Hosen.

Im stern-Interview erklärt Thees Uhlmann, warum es so lange gedauert hat, welche Rolle seine Familie in seiner Musik spielt und warum Kinder dumm sein müssen.

Thees Uhlmann: "Die Wahl von Trump war ein Zivilisationsbruch"

Thees Uhlmann, vor sechs Jahren haben Sie Ihr letztes Album veröffentlicht, jetzt kommt mit "Junkies und Scientologen" wieder neue Musik von Ihnen. Was war in der Zwischenzeit?
Thees Uhlmann: Das Buch ist jetzt vier Jahre her und ich wollte schnell wieder eine Platte machen. Ich habe Songtexte geschrieben, aber keine Verbindung zu diesen Songs gespürt. In den Texten habe ich keine Entsprechung von mir selbst gefunden. Das hat mir nicht gefallen, ich fühlte mich nicht inspiriert – und dann habe ich das abgebrochen, als schon 70 Prozent der Platte fertig waren. Deswegen hat das so lange gedauert.

Dann war die Pause also nicht ganz freiwillig?
Alles andere als freiwillig. Für unsere kleine Plattenfirma war das eine ganz schön harte Sache – und für einen selbst ist es auch schmerzhaft. Aber irgendwann kam es mir den Nacken hoch: Das ist nicht gut, du musst neu anfangen. Das zu machen, war schon brutal. So hoch war der Preis noch nie.

Woran haben Sie gemerkt, dass es nicht gut – oder nicht gut genug – war?
Manche Sachen, die ich geschrieben habe, haben keine Bedeutung mehr für mich. Andere Songs haben Bestand, auf die bin ich stolz. Aber es gibt Songs, für die ich mich schäme. Und auf der neuen Platte gab es Songs, da habe ich mich vor mir selbst geekelt. Ich glaube nicht, dass die meinen internen Test der Zeit bestanden hätten.

Sie haben in der Zwischenzeit auch ein relativ erfolgreiches Buch geschrieben – gab es da auch die Überlegung, das Singen sein zu lassen?
Nein, das stand völlig außer Frage. Ich hätte das als feige empfunden. Ich mag es auch, wenn es mal hart ist und nicht sofort klappt. Nur dann kommt etwas raus, was mich zufriedenstellt. Bei "Sophia, der Tod und ich" ist mir zwischenzeitlich auch zwei Wochen lang nichts eingefallen. Und dann kommen Leute, die dir sagen: "Man soll jeden Tag eine Seite schreiben." Halt die Schnauze. So funktioniere ich einfach nicht.

Als Ihre neue Single "Fünf Jahre nicht gesungen" herauskam, haben sich einige Fans Sorgen gemacht, weil darin Zeilen vorkommen wie "Ich bin so traurig wie die Söhne von Helmut Kohl".
Als Künstler will ich Sachen, die jeder aus dem normalen Leben kennt, in Worte fassen – da gehört Traurigkeit dazu. Und die Geschichte der Familie Kohl ... trauriger wird’s in Deutschland nicht mehr. Von der mächtigsten Familie zur traurigsten. Auch wenn es etwas unerwartet war, dass ein Zwangs-SPDler wie ich die Kohls als Vergleich nimmt.

Auf Twitter hat jemand dazu geschrieben: "Kann jemand Thees mal ganz fest in den Arm nehmen?"
Ich werde gerne in den Arm genommen, auch von Fremden. Aber solche persönlichen Launen haben für mich überhaupt kein Gewicht mehr. Früher war ich getrieben von "Ich habe kein Geld, ich möchte den Traum leben, warum klappt das nicht?" Das ist jetzt weg. Das Nervigste, was in den letzten zwei Monaten passiert ist, ist, dass St. Pauli 3:3 gegen Dresden gespielt hat. Meiner Tochter soll es gut gehen und der Song soll gut sein – der Rest wird sich ergeben.

Ist das auch der Unterschied zwischen Ihrer alten Band Tomte und dem Soloprojekt?
Das könnte sein, aber ich möchte mit 45 ja auch nicht leben wie mit 25. Das war eine ganz andere Station. Ich stelle mich nicht mehr in Frage, weil ich weiß, dass ich in der Großen Freiheit spiele und es ausverkauft sein wird. Der junge Thees hätte sich dafür sofort einen Finger abhacken lassen und nur noch gefragt: Welche Hand?

Wie viel von dem "Ich" in Ihren Texten sind wirklich Sie selbst?
Das kommt darauf an. Ich habe mir eine Person ausgedacht, die Frauen nach dem Dreh von Hip-Hop-Videos nach Hause fährt – so was habe ich natürlich nie gemacht. Aber alle Gedanken, die dieser Mensch hat, sind meine Idee. In anderen Songs ist jedes Ich so gemeint. Bei mir hat wirklich mal der Kuckuck geklingelt.

So wie in "Fünf Jahre nicht gesungen" ...
Da stand der Gerichtsvollzieher vor der Tür und ich habe gesagt: "Können Sie noch eine Stunde warten, dann habe ich das Geld." Er hat ganz mitleidig geguckt und gesagt: "Herr Uhlmann, Sie müssen das irgendwie in den Griff bekommen."

Auf Ihrem neuen Album gibt es einen Song über den im vergangenen Jahr verstorbenen Avicii. Was ist die Verbindung zwischen einem schwedischen Star-DJ und einem Musiker aus Niedersachsen?
Als Vater einer Tochter habe ich mich da fast näher an der Mutter gefühlt als am Künstler selbst. Und ich bin einfach riesiger Avicii-Fan. Als ich das einem Kumpel erzählt habe, der mit ihm zusammengearbeitet hat, meinte der schon: Dem geht’s nicht besonders gut. Das ist einfach eine wahnsinnig traurige Geschichte.

Kennen Sie diese Schattenseiten des Musikgeschäfts auch?
Wir haben mal versucht auszurechnen, was Avicii allein mit der Gema verdient hat. Das müssen auf jeden Fall über hundert Millionen gewesen sein. Aber das hat offensichtlich nicht gereicht. Da konnte sich jemand trotz seines Geldes keinen leisten, der ihn schützt. Solche Leute habe ich zum Glück, deshalb hat mich diese Problematik nie betroffen. 

Sie treten überhaupt sehr bodenständig auf. In Ihren Songs kommen Ihre Tochter vor, Ihre Mutter, Ihr Heimatort Hemmoor und die B73. Wo kommt das her?
In Amerika würde mir keiner so eine Frage stellen, da ist das normal. Bei uns wirkt es irgendwie unnatürlich. Aber wenn es Sachen gibt, über die ich nachdenke und die mich interessieren, dann wird daraus früher oder später ein Song werden.

Was sagen Ihre Tochter und Ihre Mutter dazu, wenn Sie in Ihren Texten vorkommen?
Meine Tochter ist jetzt zwölf und findet meine Musik blöd. Und sie gibt sich sehr viel Mühe, das zu zeigen. So viele Leute haben ein Kind und für mich als Künstler ist es interessant, über Dinge nachzudenken, die jeder kennt. Das ist wie eine weiße Wand, auf die man etwas malen kann. Ich habe meiner Tochter erzählt, dass ich in Interviews über sie reden werde. Sie versteht das intellektuell und hat gesagt: Papa, ist total in Ordnung. Mit meiner Mutter habe ich ein sehr gutes Verhältnis, auch wenn das lange gedauert hat. Wir sehen uns etwa alle sechs Wochen und ich freue mich schon wieder auf Weihnachten.

Warum ist Ihnen Ihre Heimat so wichtig?
Hemmoor ist kein schöner Ort, aber ich liebe es, da zu sein. Es ist toll, in Hemmoor tanken zu gehen und mit dem Tankwart darüber zu reden, wann es nur noch Elektroautos geben wird. Das ist interessanter, als mit anderen Sängern zu sprechen.

Da haben Sie in Berlin, wo Sie wohnen, das direkte Gegenprogramm.
In Berlin arbeite ich entweder oder kümmere mich um meine Tochter. Ich gehe kaum aus, treffe wenig Leute, komme kaum auf Konzerte. Manche gehen ja in der Großstadt auf, aber ich bin eben ein Dorftyp. Für mich sind es zu viele Menschen. Ich fühle mich in Berlin unaufgehoben.

Als 2013 Ihr letztes Album herauskam, sah die Welt noch anders aus – auch politisch. Schlägt sich das in der Musik nieder?
Das war eine ganz andere Zeit, noch vor Trump, Brexit, der AfD, vor #MeToo. Ich bin wütend und traurig darüber. Brexit, Trump und AfD sind ein Dreieck der Schande, gerade die Wahl von Trump war für mich ein Zivilisationsbruch. Meine Tochter hat mich gefragt: Warum wird jemand gewählt, der Frauen einfach anfasst? Das hat mich wahnsinnig gemacht. Und aus dieser Wut versuche ich Kunst zu machen, die sagt: Vielleicht ist es bei euch so – aber bei uns ist es schöner und interessanter und wir sind die besseren Menschen.

Trotzdem positionieren Sie sich nicht so politisch wie viele andere Bands in der Zwischenzeit. Passt das nicht zu Ihnen?
Das ist nichts für mich, weil ich nie ein Lied schreiben wollte, was die Welt verändert. Ich finde es ganz wichtig, was Herbert Grönemeyer, Die Toten Hosen oder Feine Sahne Fischfilet machen, aber ich möchte nicht, dass das Politischsein nur ein weiteres Gadget in meiner Kunst wird. Feine Sahne Fischfilet stehen an der Front, die werden bedroht, jeden Tag – wenn ich da einfach mitmachen würde, das würde mir ungehörig vorkommen gegenüber diesen Menschen, die da wirklich Vollgas geben.

Auch das Thema Klimaschutz hat in der Zwischenzeit eine ganz neue Dynamik bekommen. Wie schauen Sie darauf?
Ich weiß nicht, warum Menschen über 35 das Bedürfnis haben, das Tun von Greta Thunberg zu kommentieren. Wenn 35-jährige Männer über 16-jährige Mädchen reden, ist das immer ein ganz komisches Zeichen. Manchmal kann man die Menschen nicht mehr ertragen. Der Frau muss man doch dankbar sein, dass sie die Jugend angezündet hat. Wenn gesagt wird, die Kinder kennen sich da gar nicht aus – natürlich kennen sie sich nicht aus, es sind Kinder! Aber sie dürfen sich doch Sorgen um die Welt machen. 

Hat sich durch Ihre Tochter Ihre Sicht auf das Thema verändert?
Neulich klingelt das Telefon und meine Tochter sagt: "Ich bin gerade in der U-Bahn, wir fahren jetzt zu Fridays for Future." Sonst kann sie nirgends alleine hin, aber zum Kanzleramt geht's. Und was haben Sie danach gemacht? Sie sind im Hauptbahnhof zu McDonald’s und zu Starbucks gegangen. Genau das fand ich so wunderschön: Wir sind zum ersten Mal frei und machen mit dem Krötengeld von unseren Alten etwas, was sonst nicht erlaubt ist. Seit wann wird denn von Kindern erwartet, dass sie schlau sind? Kinder sind dafür da, dass sie dumm sind und ihre Freiheit ausnutzen. So werden schlaue Menschen gemacht.

Wie weit denken Sie in die Zukunft – dauert es wieder sechs Jahre bis zum nächsten Album?
Ich denke bis zum 21. Dezember, dann haben wir das letzte Konzert unserer Tour. Und dann ist erst mal Weihnachten.

In Hemmoor bei der Mutter?
Richtig.

"Junkies und Scientologen" von Thees Uhlmann erscheint am 20. September.

Mehr zum Thema

Newsticker

VG-Wort Pixel