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Kampagne des "Peng!"-Kollektivs "Deutschland geht klauen" – warum eine Kampagne zur Straftat aufruft

Ladendiebstahl
Das "Peng!"-Kollektiv ruft in Deutschland zum Ladendiebstahl.
© Picture Alliance
Mit Ladendiebstahl gegen Ungleichheit kämpfen? Das will das Aktivisten-Kollektiv "Peng" mit seiner neuen Kampagne. Sie rufen aktiv in Deutschland zum Diebstahl wegen globalen Ungleichheiten auf. Viele kritisieren die Aktion. Es sei ein Aufruf zur Straftat. Doch was sagen sie selbst? NEON hat mit einem der Aktivisten gesprochen.

Ein Vater kauft gemeinsam mit seinem Sohn in einem Supermarkt ein. Sie schieben einen Einkaufswagen vor sich hin. Packen hier und da mal was rein. Erst Bananen. Dann Orangen. Doch dem Sohn scheint das nicht zu gefallen. Das entgeht auch dem Vater nicht. Deshalb fragt er ihn, was denn los sei: "Das ist nicht fair", schreit er durch den Laden. Plötzlich erscheint eine als Waschbär verkleidete Frau. Sie steckt sich unter anderem Tomaten, Schokolade und Kaffee in ihren Rucksack und geht an der Kasse vorbei, ohne zu zahlen. Als der Kassierer sie auf ihr Fehlverhalten anspricht, antwortet sie nur: "Ich klau' nicht, ich zahl' nur an die Richtigen."

Mit diesem Werbespot will das Aktivisten-Kollektiv "Peng!" auf globale Ungleichheiten aufmerksam machen. "Supermärkte klauen, wir klauen zurück" – so lautet deshalb das Motto der Kampagne. Die Berliner Aktionskünstler rufen aktiv zum Klauen auf. Sie werfen den vier Supermarktketten Aldi, Lidl, Edeka und Rewe vor, Produzenten und Arbeiter in den Herkunftsländern auszubeuten.

Deutschland sei Teil eines mafiösen Geschäftsmodells

Das durch das Klauen gesparte Geld soll dann direkt an die Gewerkschaften in den jeweiligen produzierenden Länder gespendet werden. Im Netz gibt es nicht wenige Stimmen, die den Aufruf zum Diebstahl heftig kritisieren. Was sagen sie eigentlich selbst zu ihrer Kampagne. NEON hat mit dem "Peng!"-Aktivisten Gil Schneider gesprochen.

Herr Schneider, wie stellen Sie sich das genau vor? Sollen wir nun alle Lebensmittel bei Aldi, Lidl, Edeka und Rewe klauen?

Erst einmal sollte das jeder für sich selbst überlegen, ob man einen Regelbruch auch vollziehen möchte. Schließlich ist das ja ziviler Ungehorsam. Unsere Kampagne hat sich auf acht Produkte spezialisiert: Bananen, Tee, Blumen, Schokolade, Wein, Tomaten, Kaffee und Orangensaft. Das sind Produkte von Gewerkschaften, mit denen wir in Kontakt stehen. Die haben uns gesagt, dass sie auch die Spenden annehmen. Wichtig ist, dabei zu erwähnen: Bei diesen Lebensmitteln können wir nachweisen, dass die Arbeiter*innen in den jeweiligen Herkunftsländern ausgebeutet werden.

Könnten Sie das vielleicht speziell an einem Beispiel konkretisieren? 

Ja, klar. Nehmen wir die Tomaten. Das fängt mit den Subventionierungen der EU in Italien an. Damit sind die Tomaten aus Italien billiger als die aus Ghana. Das heißt: Ghana hat keine Chance mehr auf den europäischen Markt zu kommen. Gleichzeitig lebt die Tomaten-Wirtschaft in Italien aber von illegalisierten Migrationsarbeiter*innen, großenteils aus Afrika. Die verdienen durchschnittlich gerade einmal 15 Euro am Tag. Zumal machen die auch zweidrittel der 1,2 Millionen Tomatenarbeiter in Italien aus. 

Deshalb wollen Sie jetzt was genau erreichen? 

Wir möchten nicht in einem Land leben, in dem ein Geschäftsmodell von Supermärkten auf moderner Sklaverei basiert. Deshalb brauchen wir ein Gesetz, mit dem wir in Deutschland Unternehmen verklagen können, wenn sie sich im Ausland nicht an Menschenrechte halten. 

Ihnen ist allerdings schon bewusst, dass Sie mit der Aktion zu einer Straftat aufrufen? 

Das sollen die Gerichte entscheiden. Der Aufruf zum Ladendiebstahl führt zu einer großen Empörung. Das könne man doch nicht machen, Diebstahl sei doch keine Lösung, da sei eine Grenze überschritten und so weiter. Damit haben sie ja auch Recht. Ich hoffe aber, dass sie im zweiten Schritt auch erkennen, wie bigott es ist, gleichzeitig durch soziale Konventionen ein System gutzuheißen, was massenweise Menschen unterdrückt.  Wer sich so darüber aufregen kann, wenn man Gewerkschaften der Produzent*innen zahlt anstelle der Supermärkte, kann sich hoffentlich auch darüber empören, dass eine ganze Industrie ihr Geschäftsmodell darauf aufbaut, dass andere Menschen unter moderner Sklavenhaltung leben. Da fehlt bei vielen Menschen  noch die Empathie.

Auch wenn Ihre Intention möglicherweise richtig ist, rufen Sie aktiv zum Ladendiebstahl auf. Ist das nicht eine Grenze, die Sie damit überschreiten, die Sie im Umkehrschluss nicht von anderen extrem denkenden Menschen unterscheidet?

Lassen Sie es mich so formulieren: Wir finden den Gedanken, ein System zu bauen, in dem 80 Prozent der Produkte auf moderner Sklaverei basieren, viel extremer und abscheulicher.

Kinder werden verkauft, wenn sie sieben Jahre alt sind, sie werden in andere Länder verschleppt und landen auf den Kakaoplantagen, aus denen 90 Prozent unserer Schokolade stammt, trotz aller Absichtsbekundungen der Industrie. Das ist moderne Sklaverei. Das bedeutet auch arbeiten ohne Arbeitsvertrag und Arbeitsrechte.  Sie bekommen kaum Lohn, leben in Baracken und wir hören immer wieder davon, wie sie während des Mittagessens mit Pestiziden vollgesprüht werden, weil da keine Rücksicht drauf genommen wird. Die Deutschen unterstützen dieses Geschäftsmodell täglich mit etwa 440 Millionen Euro, die sie in Supermärkten ausgeben. Jährlich sind das etwa 160 Milliarden Euro. 5,50 Euro am Tag pro Person. Wir brauchen hier schlicht einen neuen Gesellschaftsvertrag, der diese Extremität ein für alle mal stoppt, da ist doch ein unkonkreter Aufruf Robin Hood zu spielen zahm gegen.

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