Reizgas, Elektroschocker und am Ende vier Schüsse aus der Maschinenpistole: Nach dem Tod des 16-jährigen Mouhamed Lamine Dramé während eines Polizeieinsatzes in Dortmund im vergangenen August hat die Staatsanwaltschaft am Landgericht Anklage gegen mehrere Beamte erhoben (der stern berichtete).
Einem 29-jährigen Polizisten wird Totschlag vorgeworfen. Er feuerte mit seiner Waffe auf den Jugendlichen, der sich offenbar selbst mit einem Messer verletzen oder töten wollte. Drei weiteren Beamten wird gefährliche Körperverletzung zur Last gelegt. Einem Dienstgruppenleiter wirft die Anklage zudem Anstiftung zur gefährlichen Körperverletzung vor. Er soll den Einsatz von Reizgas befohlen haben. Laut Staatsanwaltschaft haben die Beamten nicht das mildeste Mittel gewählt, um den 16-Jährigen von seinem Vorhaben abzubringen. Ihr Vorgehen sei damit rechtswidrig, hieß es von der Behörde. Der mitgeschnittene Notruf, bei dem der Anrufer während des Einsatzes in der Leitung blieb, ist für die Dortmunder Staatsanwaltschaft dabei ein wichtiges Beweismittel.
Tödlicher Polizeieinsatz in Dortmund sorgt für Diskussionen
Bei einer Verurteilung drohen den Beamten bis zu zehn (Totschlag) bzw. fünf Jahre (gefährliche Körperverletzung) Haft, außerdem die Entlassung aus dem Polizeidienst sowie der Verlust der Pensionsansprüche. Für alle fünf Beschuldigten gilt die Unschuldsvermutung. Insgesamt waren elf Polizisten zu dem Einsatz vor rund sechs Monaten ausgerückt.
Der tödliche Vorfall hatte einmal mehr intensive Diskussionen, unter anderem über rechtswidrige Polizeigewalt, aber auch über Rassismus in den Sicherheitsbehörden, ausgelöst. Der Erschossene stammte aus dem Senegal.
Der stern sprach mit Rafael Behr, Professor für Polizeiwissenschaften an der Akademie der Polizei Hamburg, über den Fall, über das Vorgehen der Beamten und über Defizite bei der Polizei.
Herr Behr, Sie haben in der Vergangenheit immer wieder unabhängige Stellen zur Untersuchung mutmaßlich rechtswidriger Polizeigewalt gefordert. Zeigt die Anklageerhebung im Dortmunder Fall nicht, dass die existierenden Strukturen ausreichen? Oder ist im August 2022 so viel schiefgelaufen, dass die Staatsanwaltschaft die Fehler der Polizei schlicht nicht mehr übersehen konnte?