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Großbritannien Boris Johnson will den britischen Staat umbauen – Kritiker sprechen von einem "autokratischen Königreich"

Premierminister Boris Johnson
Rechtsexperten werfen Premierminister Boris Johnson vor, die britische Demokratie zu unterwandern
© Tolga Akmen/ PA Wire / DPA
Premierminister Boris Johnson peilt einen Umbau des britischen Staates an. Durch ein ganzes Bündel neuer Gesetze könnte das Ergebnis ein Polizeistaat sein. Kritiker und Experten sind entsetzt über die Pläne.

Die "Party-Gate"-Affäre hat dem britischen Premierminister Boris Johnson deutlich zugesetzt. Auch aus den eigenen Reihen wird die Kritik immer lauter. Rechtsexperten macht allerdings etwas anderes noch deutlich mehr Sorgen: Sie werfen Johnson vor, die Demokratie im Königreich zu unterwandern. 

Fast könnte man sich bei Johnson an Pippi Langstrumpf erinnert fühlen. "Ich mach mir die Welt, wie sie mir gefällt": Kritiker und Opposition werfen ihm vor, das Land nach Gusto umzubauen, ohne Rücksicht auf demokratische Grundrechte. "Großbritannien steuert auf den Autoritarismus zu", kommentierte der Kolumnist George Monbiot kürzlich in der Zeitung "Guardian". Und die Nachrichtenseite "Open Democracy" stellte fest: "Die britische Demokratie wird angegriffen."

Kritiker: Boris Johnson Umbau käme einem "Polizeistaat" gleich

Es ist nicht ein einzelnes Gesetz, das Aktivisten, Rechtsexperten und Opposition in Aufregung versetzt. Es ist gleich ein ganzes Bündel an Vorhaben, die alle unabhängig voneinander durchs Parlament gehen, die aber aufeinander abgestimmt wirken. Das Ergebnis wäre aus Sicht der Kritiker nichts anderes als ein Polizeistaat im oft gelobten "Mutterland der Demokratie". Die "Partygate"-Affäre um Lockdown-Feiern am Regierungssitz in der Downing Street habe deutlich gemacht, dass sich Johnson nicht um Moral und Anstand schere, werfen Kritiker dem Premier vor. Und die geplanten Gesetze zeigten, dass er auch Recht und Demokratie hintanstelle, wenn es ihm nicht passe.

Beim angepeilten Umbau des Staatswesens kommt Johnson zugute, dass Großbritannien nicht über eine geschriebene Verfassung verfügt, sondern die Freiheiten in einzelnen Gesetzen verankert sind - die mit einfacher Mehrheit gekippt werden können. Könnte daher aus dem Vereinigten Königreich im Handstreich das Autoritäre Königreich werden?

Beispiel Justiz: An diesem Dienstag wird ein Gesetz im Londoner Unterhaus besprochen, das auf die Unabhängigkeit der Rechtsprechung zielt. Neue Befugnisse könnten die rückwirkende Gültigkeit eines Richterspruchs gegen eine Regierungsentscheidung einschränken oder beseitigen, erklärte die Chefin der englischen Anwaltskammer, Stephanie Boyce, der "Financial Times". Damit würde es keinen Rechtsbehelf mehr für die Betroffenen geben - auch nicht für diejenigen, die den Fall angestrengt haben.

Die Zeitschrift "Tribune" vermutet, dass es Johnson, sein Justizminister Dominic Raab und Generalbundesanwältin Suella Braverman dabei nicht bewenden lassen wollen. "Sie hoffen, der Regierung zu ermöglichen, Entscheidungen, mit denen sie nicht einverstanden ist, einfach zu ignorieren", kommentierte das politisch links stehende Blatt.

Politik könnte die Justiz aushebeln

Die Justiz ist dem Premier ein Dorn im Auge, seitdem der Supreme Court 2019 die von Johnson auferlegte Parlamentspause für rechtswidrig erklärte. Die Konservativen machen aber schon länger Druck: 2016 geißelte die Zeitung "Daily Mail" auf der Titelseite drei Richter als "Feinde des Volkes". Sie hatten die Rolle des Parlaments im Brexit-Prozess betont. Autor der Schlagzeile: Johnsons späterer Kommunikationschef James Slack.

Bei den Gerichten soll es nicht bleiben. Für besonders viel Aufregung sorgen Vorhaben von Innenministerin Priti Patel. Die Hardlinerin will Flüchtlinge abschrecken, indem sie illegal eingereisten Migranten jede Möglichkeit nimmt, im Land Asyl zu beantragen. Patel steht erheblich unter Druck, da zuletzt die Zahl der Flüchtlinge, die über den Ärmelkanal ins Land gekommen sind, stark zunahm. Dabei hatten die Konservativen damit geworben, der Brexit werde die Freizügigkeit "ein für allemal" (Patel) beenden. 

Doch auch die eigene Bevölkerung wird von der "Nationality and Borders Bill" bedroht. Einwohnern mit doppelter Staatsbürgerschaft oder Geburtsort im Ausland, die die Regierung als Gefahr für die Sicherheit ansieht, könnte sie den britischen Pass aberkennen - ohne sie vorab zu warnen. Nach Berechnungen der Wochenzeitung "The New Statesman" fallen fast sechs Millionen Menschen in diese Kategorie.

Gesetz könnte Versammlungsrecht einschränken

Ein anderes Gesetz der Innenministerin sieht eine erhebliche Einschränkung des Versammlungsrechts vor. Laut dem Entwurf kann die Polizei Proteste verbieten oder auflösen, wenn sich Dritte vom Lärm gestört fühlen oder Verkehrswege blockiert werden. Das zielt auf große Kundgebungen wie die Black-Lives-Matter-Demonstrationen oder radikale Klimaproteste, auf die die Regierung empört reagiert hatte.

Groß war die Erleichterung daher, als die einschneidendsten Punkte im Oberhaus des Parlaments krachend scheiterten - und da die Regierung sie erst kurz zuvor ergänzt hatte, darf sie den Entwurf nun nicht noch einmal im Unterhaus vorbringen, wo sie eine deutliche Mehrheit hat. Aber Justizminister Raab hat bereits deutlich gemacht, dass er notfalls ein eigenes Demonstrationsgesetz einbringen werde. Der Erfolg der Gegner werde nicht von langer Dauer sein, kommentierte die "Times".

pgo/ Benedikt von Imhoff DPA

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