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Autokratisches Zweckbündnis Gegen den gemeinsamen Feind verbunden: Wie Iran zum mächtigsten Verbündeten Russlands wird

Putin und Raisi schütteln sich die Hand
Russlands Präsident Wladimir Putin und sein iranischer Amtskollege Ebrahim Raisi bei einem Treffen im Juli in Teheran: In der Ideologie gespalten, im Hass gegen die USA vereint
© Sergei Savostyanov / Sputnik
Es ist ein offenes Geheimnis, dass die Kamikaze-Drohnen, die derzeit Kiew terrorisieren, aus dem Iran stammen. Doch könnten sie nur der Vorgeschmack einer für die Ukraine und den Westen gleichermaßen fatalen Freundschaft sein.

Kiew brennt wieder. Monate, nachdem sich die Invasoren aus dem Gebiet rund um die Metropole zurückgezogen haben, erschüttern erneut Explosionen die ukrainische Hauptstadt. Auf Videos, die in den sozialen Netzwerken kursieren, ist zu sehen, wie Soldaten und Polizisten teils hilflos auf unbemannte Flugobjekte schießen, ehe sie auf Wohngebäude krachen. Acht Menschen sind Behördenangaben zufolge am Montag von Drohnen getötet worden. In drei ukrainischen Regionen waren hunderte Städte und Dörfer ohne Strom.

Es ginge Moskau darum, unter den Ukrainern das Gefühl zu verbreiten, dass die Menschen nirgendwo mehr sicher sind, erklärt Sicherheitsexpertin Ulrike Franke vom "European Council on Foreign Relations" am Montag im ZDF-"Heute Journal". Doch woher hat Russland diese automatisierten Selbstmordmaschinen?

Nicht nur für Außenministerin Annalena Baerbock ist es "sehr, sehr deutlich", woher diese sogenannten Kamikaze-Drohnen stammen. Dass der Iran bislang bestreitet, Russland mit Waffen zu unterstützen, das kauft dem Mullah-Regime kaum jemand ab. Nie war die Allianz mit Teheran für Moskau wichtiger – und nie stieß sie auf mehr Gegenliebe. Dabei sind es weniger gemeinsame Ziele, sondern vielmehr gemeinsame Feinde, die die beiden Autokratien in ihrer derzeitigen Isolation einen. 

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Iran und Russland: "Zweckgemeinschaft zwischen zwei angeschlagenen Diktaturen"

Selten dürfte man sich im Kreml so einsam gefühlt haben. 143 UN-Mitgliedstaaten verurteilten vergangene Woche auf der Vollversammlung in New York Russlands Annexionen in der Ukraine. Nie stellte sich die Welt geschlossener gegen Moskau – das Ergebnis übertraf auch die Prognosen der größten Optimisten. Fünf Staaten sprachen sich gegen die Resolution aus, darunter (neben Russland selbst) Moskaus Vasallenstaat Belarus und Nordkorea. Und der Iran? Der gehörte zu den zehn Ländern, die gar nicht erst an der Abstimmung teilnahmen. Lauter hätte das Schweigen kaum sein können.

Doch ist es keine tiefe Liebe, die den Iran und Russland zusammenrücken lässt. Vielmehr schweißt sie der gemeinsame Hass auf die USA zusammen, die beide Autokratien für ihre Paria-Stellung verantwortlich machen. Ideologisch verbindet sie wenig. Es sei "eine Zweckgemeinschaft zwischen zwei angeschlagenen Diktaturen", so Karim Sadjadpour, Iran-Experte bei der in Washington ansässigen Carnegie Endowment for International Peace gegenüber der "New York Times" (NYT). Kurzum: Der Feind meines Feindes ist mein Freund.

Misstrauen unter Freunden

Rückblickend stand die sich nun intensivierende Liaison nicht unter den historisch besten Vorzeichen. Die Beziehung zwischen Teheran und Moskau sei eigentlich "seit langem durch ein gewisses Maß an gegenseitigem Misstrauen gekennzeichnet", schreiben Experten des Londoner "International Institute for Strategic Studies" (IISS). Vor allem bislang nicht vereinbare Interessen im heutigen Nahen Osten ließen die beiden Nationen immer wieder aneinandergeraten. 

Nach der Islamischen Revolution 1979 lautete das Motto der Teheraner Außenpolitik: Weder Ost noch West. Dass sich das iranische Regime von der selbst auferlegten Neutralität inzwischen offenkundig verabschiedet und die Arme gen Kreml geöffnet hat, liegt auch an der "guten Zusammenarbeit" in Syrien, schreibt die NYT. 2015 entsandte Putin seine Luftwaffe in das Bürgerkriegsland, um den Zusammenbruch des Assad-Regimes zu verhindern – einem langjährigen Verbündeten Irans.

Auch damals vereinte die beiden Autokratien das gemeinsame Bestreben, die US-dominierte Weltordnung zu untergraben. Mit dem Krieg in der Ukraine ist das nicht anders – nur der Maßstab ist weitaus größer.

Dem Westen ein Schnippchen schlagen

Doch geht es Teheran nicht nur darum, die amerikanisierte Geopolitik zu unterminieren. Dem Mullah-Regime unter Präsident Ebrahim Raisi dürfte angesichts der ausufernden nationalen Proteste, die das Land seit dem Tod der 22-jährigen Mahsa Amini erschüttern, durchaus daran gelegen sein, die internationale Aufmerksamkeit wieder verstärkt auf die Ukraine zu lenken.

Die Lieferung der Drohnen könnte allerdings auch zur Unterstützung der iranischen Rüstungsindustrie dienen, so die Experten des IISS. Schließlich wurden iranische Waffen in der Vergangenheit als billige Sowjet-Imitate belächelt – ein inzwischen überholter Eindruck, den es zu korrigieren gelte. Wenn das der Plan ist, geht er auf. Aktuell sei die iranische Shahed-Drohne "die meistdiskutierte Waffe der Welt", twitterte Ali Akbar Raefipour, Chef der iranischen Cyberarmee erst kürzlich. 

Zudem besteht die Möglichkeit, dass der Waffenhandel nicht als Einbahnstraße ausgelegt ist. So müsse der Iran seinen Bestand an Kampfjets aufstocken. Einige Analysten, so das IISS, spekulierten, ob Russland seinem neuen Partner in Spe nicht 24 Suchoi Su-35 verkaufen könnte, die ursprünglich im Rahmen eines inzwischen auf Eis gelegten ägyptischen Auftrags hergestellt wurden.

Auch wirtschaftlich liebäugelt Teheran mit Moskau. "Der Iran sieht die Zukunft in Russland und China", sagte der deutsch-iranische Unternehmensberater Dawood Nazirizadeh Anfang Oktober der "Wirtschaftswoche". Noch im August, so berichtet das IISS, begannen die isolierten Partner mit dem Handel in ihren Landeswährungen, um die massiven US-Sanktionen zu umgehen. Wenig überraschend, hat doch kaum eine Nation mehr Erfahrungen damit, der ökonomischen Isolation zu entfliehen. So hätten die USA beispielsweise bereits drei iranische Frachtflugzeuge mit Ziel Russland identifiziert – an Bord sollen unter anderem dringend benötigte elektronische Bauteile gewesen sein.

Auch im Energiesektor setzt der Iran auf den Kooperationswillen des Kreml. Im Sommer präsentierten die National Iranian Oil Company und Gazprom gemeinsame Pläne, wonach Russland 40 Milliarden US-Dollar in die iranische Öl- und Gasbranche investieren soll.

Am Ende ist es die Angst, die Moskau und Teheran verbindet

Das Zusammenrücken der Regime "sollte als eine tiefgreifende Bedrohung angesehen werden und als etwas, das jedes Land sehr genau beobachten sollte", sagte Vedant Patel, ein stellvertretender Sprecher des US-Außenministeriums, laut NYT bei einer Pressekonferenz am Montag. Wie die "Washington Post" am Sonntag berichtete, sollen die Drohnen nur ein Vorgeschmack der bevorstehenden Lieferungen sein. Bereits vor einem Monat seien russische Abgesandte auf Shoppingtour im Iran gewesen. Auf ihrer Einkaufsliste, so die US-Zeitung, hätten auch ballistische Kurzstreckenraketen gestanden. Die erste Lieferung würde bereits vorbereitet (der stern berichtete). 

Doch geht Teheran mit seiner halbherzig getarnten Unterstützung auch ein enormes Risiko ein. Sollte sich die Islamische Republik offen hinter oder gar neben Russland stellen, könnte das Israel auf den Plan rufen. Denn bislang hatte Jerusalem – trotz mehrfacher Bitten aus Kiew – keine Waffen in die Ukraine geschickt. Auch ist kaum abzusehen, wie Irans Lokalrivale Saudi-Arabien die neu entfachte Freundschaft aufnimmt.

Gleiches gilt für die Erneuerung des 2015 von Donald Trump einseitig gekündigten Atomabkommens, das mit jedem Drohneneinschlag auf ukrainischem Boden in weitere Ferne rückt.

Obwohl der Iran jahrzehntelange Erfahrung mit dem Wirtschaften unter westlichen Sanktionen hat, dürfte deren Verschärfung angesichts des drohenden Bürgerkriegs der sprichwörtliche Tropfen sein, der das Fass zum Überlaufen und womöglich tatsächlich zur Revolution bringt. Als am Montag die Schreckensaufnahmen aus Kiew um die Welt gingen, folgten die Drohungen aus Washington postwendend: "Jeder, der mit dem Iran Geschäfte macht, die eine Verbindung zu UAVs (Unbekannte Luftfahrzeuge) oder der Entwicklung ballistischer Raketen haben, sollte sehr vorsichtig sein", sagte der Sprecher des US-Außenministeriums, Vedant Patel. Die USA würden "nicht zögern, Sanktionen einzusetzen", fügte er hinzu. Auch Außenministerin Annalena Baerbock sprach sich am Montag für den Fall iranischer Drohnenlieferungen an Russland für weitere Sanktionen aus. Nur müsse erst Klarheit über die Herkunft der von Russland eingesetzten Drohnen bestehen. Im Klartext: Neue Sanktionen sind nur eine Frage der Zeit. 

Ob das den Iran zur Einsicht bewegt, daran kann man zumindest zweifeln. Denn am Ende ist es die Angst, die Moskau und Teheran verbindet. Die Angst vor dem Zerfall ihrer Macht, ihrer Werte und ihrer Bedeutung. Sogar für die Proteste auf den eigenen Straßen macht das iranische Regime die USA verantwortlich, genau wie Russland seine Invasion im Februar mit der vermeintlichen Bedrohung durch die Nato gerechtfertigt hat. Es geht darum, ein Zeichen zu setzen, Stärke zu demonstrieren, nach innen wie nach außen. "Es ist ihnen egal, ob die Alternative das Chaos ist", fasst es die US-Denkfabrik "Atlantic Council" zusammen.

Quellen: ZDF-"Heute-Journal"; "New York Times"; "International Institute for Strategic Studies""Atlantic Council"; mit dpa und AFP

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