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FDP-Chef Lindners "Los Wochos" sorgen für Argwohn in der SPD

Bundesfinanzminister und FDP-Parteichef Christian Lindner
Bundesfinanzminister und FDP-Parteichef Christian Lindner
© Michael Kappeler / DPA
Tagein, tagaus kommt FDP-Chef Christian Lindner mit einem neuen Vorstoß um die Ecke. Ist das schon Wahlkampf? In der SPD ist die Irritation groß. 

Christian Lindner hat gerade einiges loszuwerden. Anders lässt sich das ausgeprägte Sendungsbewusstsein des FDP-Vorsitzenden kaum erklären. Tagein, tagaus schlägt der Finanzminister ein weiteres Pflöckchen ein oder setzt eine neue Duftmarke. Hier zum Bürgergeld, dort zur Rente. "Los Wochos" bei Lindner, politisches Fast-Food zum Schnellverzehr? Alles muss raus?

In der SPD blicken sie auf die immer neuen Vorstöße mit Argwohn, mitunter Kopfschütteln. Die Stimmung: zunehmend gereizt. 

"Es spricht nichts dagegen, wenn der Vorsitzende der FDP sein Wahlprogramm vorträgt", murrt etwa Tim Klüssendorf, Sprecher der Parlamentarischen Linken in der SPD-Fraktion. "Dabei sollte er allerdings nicht vergessen, dass er als Bundesfinanzminister zunächst einmal Teil einer SPD-geführten Bundesregierung ist", sagt er dem stern.

Mit anderen Worten: Ampel-Teamplay sieht anders aus.

Tatsächlich wirken Lindners Wortmeldungen vielmehr wie ein Wink mit der liberalen Dachlatte. Hinter einer Vielzahl seiner Vorstöße dürften sich die Koalitionspartner jedenfalls kaum versammeln. Mal geht es gegen die Grünen, wenn der FDP-Chef den Zeitpunkt für den Kohleausstieg infrage stellt. Äußert er Zweifel am Renteneintrittsalter, dürfen sich die Genossen angesprochen fühlen. Eine Auswahl an Schlagzeilen, ohne Anspruch auf Vollständigkeit:

Lindner, Lindner, Lindner. Der FDP-Chef ist auf Dauersendung, offenkundig im Angriffsmodus. Aber auch schon im Wahlkampf?

"Das war diese Woche ein Vulkanausbruch"

In zwei Wochen steht der FDP-Parteitag an. Das alljährliche Treffen von Führung und Basis dient – wie allen Parteien – zur Standortbestimmung und Selbstvergewisserung. Wer sind wir, was wollen wir? Der Chef hat den Mitgliedern und (Stamm-)Wählern schon mal einige Antworten in den Block skizziert, die der liberalen Seele schmeicheln sollen. Irritationen beim Koalitionspartner sind da eingepreist. So weit, so üblich.

"Das war diese Woche ein Vulkanausbruch an finanz- und sozialpolitischen Themen, die der Finanzminister dem Land mitteilte", sagt SPD-Haushaltspolitiker Andreas Schwarz dem stern. Es klingt fast anerkennend, aber: "Ob jeder dieser Vorschläge zur Problemlösung, Abgrenzung oder Brautschau dient, bleibt im Auge des Betrachters."

Aus Sicht der SPD ist der Argwohn nachvollziehbar. Viele von Lindners Vorstößen, rhetorisch flankiert vom FDP-Spitzenpersonal, triggern insbesondere die Genossen. So schlägt Lindner etwa Steuererleichterungen für die arbeitende Mitte vor – weil das Bürgergeld "massiv und überproportional" erhöht worden sei. Er fordert ein dreijähriges Moratorium bei den Sozialausgaben – so könne Geld in die Verteidigung investiert werden. Oder pocht auf einen Ausgleich der inflationsbedingter Steuererhöhungen (Kalte Progression) – von der aber besonders Spitzenverdiener profitieren würden. Rote Herzen erwärmt all das nicht.

Und damit zum Finanzminister Lindner, dem Vizevizekanzler und Kabinettsmitglied. Weg vom Parteivorsitzenden, der seine FDP an der demoskopischen Abbruchkante wähnt, zumal in diesem Superwahljahr. 

Nicht wenige in der FDP sind mit dem Regierungsbündnis unzufrieden, das hat nicht nur eine knappe Mitgliederbefragung zugunsten der Koalition gezeigt. Schon früh hatte Lindner die FDP-Rolle in der Koalition als Korrektiv gegen "links" definiert, bereits vor anderthalb Jahren große Differenzen zwischen den Ampel-Parteien betont – etwa bei der Haltung zur Schuldenbremse, an der die Liberalen eisern festhalten. SPD und Grüne setzen sich hingegen für eine umfangreiche Reform ein. 

An dieser Gemengelage hat sich bis heute nichts geändert. Nur könnte es aus aktuellem Anlass in der Finanzierungsfrage ordentlich krachen. Ohne die üblichen Eckwerte, dafür aber mit Obergrenzen für die Ministerien hat Finanzminister Lindner die Verhandlungen für den Haushalt 2025 eingeläutet. Bis zum 19. April müssen alle Ministerien erklären, wie sie die Sparvorgaben umsetzen wollen, um die geltenden Schuldenregeln einzuhalten und ein offenbar zweistelliges Milliardenloch zu schließen. Es zeichnen sich harte Verteilungskämpfe ab.

"Der Haushalt 2025 wird eine große Herausforderung", meint SPD-Haushälter Schwarz. Er plädiert dafür, das Augenmerk auf die Modernisierung der Schuldenbremse zu legen "und nicht auf eine Sozialstaatsreform, die Lindner anstrebt". Gerade ein starker Sozialstaat halte die Gesellschaft zusammen, findet der Abgeordnete, Deutschland könne nicht "in die Herausforderungen der Zeit hineinsparen". 

Ähnlich sieht es Finanzpolitiker Klüssendorf. Er zieht buchstäblich eine rote Linie: "Die Idee, in einer Zeit gesellschaftlicher Umbrüche, dazu den Sozialstaat kaputtzusparen, wird auch durch wiederholten Vortrag nicht richtiger und ist mit der Sozialdemokratie nicht vereinbar", sagt der SPD-Politiker. Da auch Lindner weder Zaubern, noch die Gesetze der Mathematik außer Kraft setzen könne, stehe er in der Verantwortung, Lösungen zur Finanzierung des Staates aufzuzeigen. 

Macht Lindner, findet Lindner. Er schlug das nächste Pflöckchen ein, diesmal im "Handelsblatt"-Interview. "Über die Schuldenbremse wird bei der nächsten Bundestagswahl abgestimmt", sagte er. Also: Da ist mit ihm erstmal nichts zu machen. 

Der Finanzminister empfehle, sich auf die Sache zu konzentrieren. Die Bundesregierung müsse sich auf einen Haushalt und ein Konzept verständigen, wie die Wirtschaftsflaute überwunden werden kann, sagte er. Dann würden auch die "Spekulationen" verschwinden, die FDP könnte aus der Ampel aussteigen. 

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