Die Ostsee ist schon seit langem nicht im besten Zustand. Trotz zahlreicher Maßnahmen in den vergangenen Jahren ist die ökologische Situation weiterhin kritisch. Ein Überblick über einige der drängendsten Umweltprobleme der Ostsee.

Wochenend-Magazin: Markus Brauer (mb)

Die Ostsee ist das Lieblingsmeer der Deutschen und eines der Hauptreiseziele von Urlaubern aus Deutschland und den Anrainerstaaten. Doch das Baltische Meer, wie es international nach seinem lateinischen Namen „Mare Balticum“ genannt wird, befindet sich in einem kritischen Zustand. Ein Überblick:

 

Auf unserer Karte sehen Sie die Ostsee und ihre sieben Anrainerstaaten:

Wie ist der ökologische Zustand der Ostsee?

Nach Angaben der schleswig-holsteinischen Landesregierung ist das Ökosystem Ostsee und seine biologische Vielfalt zu hohen Belastungen ausgesetzt. Gründe hierfür seien insbesondere die zu hohen Nährstoffeinträge, Einträge von Schadstoffen und Müll, Belastung durch Munitionsaltlasten, Unterwasserlärm sowie eine insgesamt zu hohe Nutzungsdichte.

Einer Studie des Stockholm Resilience Centre (SRC) der schwedischen Stockholm University zufolge schneidet das Binnenmeer recht gut beim küstennahen Fischbestand sowie bei den Lebensgrundlagen und wirtschaftlichen Bedingungen der Anrainer ab.

Deutlich schlechter sieht es dagegen bei der Verunreinigung mit Schadstoffen, den Schutzgebieten, der Eutrophierung sowie Biodiversität und Kohlenstoffsenken aus.

Nachbesserungsbedarf sieht der Meeresbiologe Thorsten Blenckner vom SRC vor allem bei neuen Giftstoffen. Während die Situation bei alten Schadstoffen wie etwa Dioxin langsam besser werde, würden neuere teils noch gar nicht gemessen.

Wie hoch ist die Belastung durch Schadstoffe?

Laut Nitratbericht 2020 des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) ist die sogenannte Eutrophierung – also die menschengemachte Anreicherung von Nährstoffen im Meer – weiterhin eines „der größten ökologischen Probleme für die Meeresumwelt der deutschen Ostseegewässer“. In der Ostsee seien die Nitratkonzentrationen küstennah und insbesondere in der Nähe der Flussmündungen am höchsten.

Wie steht es um die Artenvielfalt in der Ostsee?

Die Helsinki-Kommission (Helcom) , die von den Ostsee-Anrainern gegründet wurde und für den Schutz der Meeresumwelt im Ostseeraum arbeitet, warnt: Die Biodiversität der Ostsee ist besorgniserregend: kein guter Zustand für die Lebensräume des Freiwassers und des Meeresbodens, kein guter Zustand für die meisten kommerziellen Fischbestände und die Wasservögel, kein guter Zustand für Robben und Schweinswale. Von 173 untersuchten Arten sind der Kommission zufolge 100 in die höchsten Gefährdungsklassen eingeordnet.

Wie groß ist die Belastung durch Krankheitserreger?

Nach Angaben des Landesamts für Gesundheit und Soziales (Lagus) in Rostock wurden Anfang Juli die ersten Vibrionen der Saison an der Ostseeküste Mecklenburg–Vorpommerns nachgewiesen. Bei Wassertemperaturen ab etwa 20 Grad müsse in der Ostsee mit einem vermehrten Vorkommen an Vibrionen gerechnet werden, teilte die Behörde mit. Eine Infektion beim Menschen nach Kontakt mit Ostseewasser wurde 2023 bisher nicht gemeldet.

In seltenen Fällen können Vibrionen den Angaben zufolge schwere Infektionen verursachen. Es seien jedoch nur sehr wenige Badegäste durch Vibrionen gefährdet. In der Saison 2022 seien dem Lagus insgesamt zehn Infektionen in Mecklenburg–Vorpommern gemeldet worden.

Was sind Vibrionen?

Bei Vibrionen handelt es sich um das Bakterium „Vibrio vulnificus“, das natürlicherweise in Meer- und Brackwasser vorkommt. Laut Lagus ist seit 1994 bekannt, dass Vibrionen in der Ostsee vorkommen und schwere Wundinfektionen bis hin zu einer tödlich verlaufenden Sepsis verursachen können.

Im Sommer 2003 wurden den Gesundheitsbehörden in Ostvorpommern zwei schwere Wundinfektionen gemeldet, von denen eine tödlich verliefen.

Die Stäbchenbakterien vermehren sich stark bei anhaltenden Wassertemperaturen über 20 Grad. Sie können über Hautverletzungen in den Körper eindringen und bei Menschen mit chronischen Grunderkrankungen und Älteren zu schweren Wundinfektionen und Sepsis (Blutvergiftung) führen.

Vibrionen können schwere Wundinfektionen auslösen, Symptome sind etwa starker lokaler Schmerz, Fieber und Schüttelfrost. Wer mit Vibrionen kontaminierte Meeresfrüchte isst, die roh oder nur wenig gegart sind, oder kontaminiertes Meereswasser schluckt, kann sich eine Magen-Darm-Erkrankung zuziehen. Behandelt werden die Infektionen in der Regel mit Antibiotika.

Warum sind Vibrionen in der Ostsee verbreitet?

Die Bakterien kommen in weiten Teilen der Ostsee und anderen Regionen der Welt vor. Erkrankungen durch diese Bakterien sind in Deutschland aber nach wie vor sehr selten. Nach Angaben von Experten könnte sich der Erreger aber aufgrund des geringen Salzgehalts und des Klimawandels an der Ostseeküste ausbreiten. Auch in Meerestieren wie Garnelen wurden die Erreger nachgewiesen.

Die Zahl sommerlicher Vibrionen-Infektionen könnte in den kommenden Jahren in Folge der globalen Erwärmung insbesondere an der Ostseeküste weiter zunehmen. Grund dafür sind steigende Wassertemperaturen etwa der Meere und in Flussmündungen. Sie erleichtern den salztoleranten Bakterien die Ausbreitung.

Wer ist durch eine Vibrionen-Infektionen besonders gefährdet?

In den vergangenen Jahren lag die Zahl bekannter Erkrankungen in Deutschland laut Eckhard Strauch, Leiter des Konsiliarbüros für Vibrionen des Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR), im ein- oder niedrigen zweistelligen Bereich. Wie viele Menschen sich in diesem Jahr infizieren werden, hänge vom Wetter ab. Vereinzelt sei es in den vergangenen Jahren zu Todesfällen gekommen.

Junge und gesunde Erwachsene erkranken laut Robert Koch-Institut (RKI) nur selten an einer Vibrionen-Infektion. Gefährlich sind die Bakterien demnach vor allem für ältere sowie immungeschwächte Personen. Menschen mit Vorerkrankungen wie Diabetes, Lebererkrankungen oder Krebs hätten ein erhöhtes Risiko für eine Erkrankung und einen schweren Krankheitsverlauf.

Wie groß ist die Gefahr durch Weltkriegsmunition?

Die Gefahren für Meeresbewohner und Menschen durch die in Ostsee verklappte Munition wird durch den Alterungsprozess bei der Munition künftig steigen. Giftige Substanzen können ungehindert austreten. Dies führt laut Experten zu einer Gesundheitsgefährdung der Meerestiere – und über den Fischfang auch für den Menschen als Verbraucher.

„Das Problem wird größer, je mehr die Metallhüllen der Kampfmittel wegrosten“, erklärt der Toxikologe Edmund Maser, Leiter des Instituts für Toxikologie und Pharmakologie für Naturwissenschaftler an der Universität Kiel.

Wie viel Munition liegt in der Ostsee?

In der deutschen Nord- und Ostsee liegen rund 1,6 Millionen Tonnen konventionelle und chemische Waffen aus Weltkriegszeiten. Internationale Wissenschaftler hatten im Rahmen des Forschungsprojekts „Daimon“ mehrere Jahre zu den Risiken geforscht, die von versenkten Kampfstoffen in der Ostsee ausgehen.

Die Ostsee und die darin verklappte Munition haben Wissenschaftler bereits seit 2006 im Visier. Seit Ende 2018 widmen sich Forscher auch der Nordsee. Matthias Brenner vom Alfred-Wegener-Institut betont, beide marinen Systeme seien zwar sehr unterschiedlich. Dennoch könnten die Ostsee-Ergebnisse in vielen Bereichen für die Nordsee übernommen werden.

Info: Ostsee

Größe
Die Ostsee hat – inklusive Kattegat – eine Fläche von 412 500 Quadratkilometern (ohne Kattegat 390 000 Quadratkilometern). Die maximale Tiefe beträgt 459 Meter, die mittlere Tiefe 52 Meter.

Entstehung
Das Binnenmeer entstand am Ende der letzten Eiszeit – der sogenannten Weichsel-Kaltzeit – vor etwa 12000 Jahren nach dem Abschmelzen der riesigen Gletschermassen.

Salzgehalt
Der Salzgehalt der Ostsee nimmt von West nach Ost ab. Er schwankt im Westen zwischen 3 Prozent und 1,9 Prozent,. Im nordöstlichen Teil beträgt er nur noch zwischen 0,5 bis 0,3 Prozent. Der Salzgehalt an der Ostküste Schleswig-Holsteins beträgt 1,5 bis 1,9 Prozent. Zum Vergleich: Der Salzgehalt der Nordsee liegt bei 3,5 Prozent.

Ostsee-Länder
Zu den sieben Anrainer-Staaten der Ostsee zählen Deutschland, Estland, Finnland, Lettland, Litauen, Polen und Schweden.

Tourismus
Laut einer Umfrage des Allensbacher Instituts im Jahr 2022 unter der deutschsprachigen Bevölkerung fahren pro Jahr etwa sechs Millionen Menschen mindestens einmal innerhalb von zwölf Monaten an die Ostsee, um dort Urlaub zu machen.