Wachkoma:Die Hoffnung auf Bewusstsein

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Wachkomapatienten kehren nur selten ins Bewusstsein zurück. Doch neuere Forschungsergebnisse machen Angehörigen Hoffnung, dass Wachkomapatienten mehr wahrnehmen, als gedacht.

Johannes Kuhn

Die Meldung machte Schlagzeilen: 19 Jahre lang habe der polnische Bahnarbeiter Jan Grzebski nach einem Arbeitsunfall im Wachkoma gelegen, bevor er im April dieses Jahres plötzlich wieder zu sich gekommen sei.

Wachkomapatient Terry Wallis (2003): Das Erwachen gleich einem Wunder (Foto: Foto: AP)

Eine Genesung nach so langer Zeit ist äußerst selten und lässt aufhorchen - bei Grzebski entpuppte sich die plötzliche Heilung schlicht als Ente, denn ein übereifriger Journalist hatte Wachkoma und Lähmung verwechselt. Dennoch gibt es Fälle, die weitaus weniger eindeutig sind.

So sorgte 2003 das Schicksal des US-Amerikaners Terry Wallis für Aufmerksamkeit: Im Jahr 1984 hatte er mit seinem Auto ein Brückengeländer durchbrochen und war acht Meter tief in ein ausgetrocknetes Bachbett gestürzt. Durch den Aufprall wurden Fasern zwischen den beiden Hälften seines Kleinhirns zerrissen.

Wallis überlebte den Unfall, lag aber 19 Jahre im sogenannten Wachkoma, einem Dämmerzustand ähnlich der Bewusstlosigkeit. Als seine Mutter ihn im Juni 2003 im Pflegeheim besuchte, begrüßte er sie plötzlich mit "Mom", sein Zustand besserte sich rapide.

Auch die 38-jährige Sarah Scantlin begrüßte ihre Mutter im Frühjahr 2005 urplötzlich, als diese sie im Pflegeheim besuchte. Zuvor hatte sie 20 Jahre im Wachkoma gelegen, sie war von einem betrunkenen Autofahrer angefahren worden. Für beide Fälle fanden die Ärzte keine Erklärung.

Massives Absterben der Nervenzellen

Beim appallischen Syndrom, so der Fachbegriff für Wachkoma, sind bestimmte Hirnzonen geschädigt und können deshalb nicht zusammenarbeiten. Die Unterbrechung der Blut- und Sauerstoffzufuhr und das massive Absterben von Nervenzellen haben eine Art "Bewusstlosigkeit" zur Folge. Die Zentren, über die Atmung, Kreislauf und Wärmeregulation gesteuert werden, bleiben jedoch intakt.

Es gleicht einem Wunder, nach mehreren Jahren dem Wachkoma zu entkommen. In Deutschland werden jährlich 3000 bis 5000 Menschen zu Wachkomapatienten - manche für Monate, viele für den Rest ihres Lebens. Schicksale wie das des Bahnarbeiters Grzebski machen den Angehörigen Hoffnung. Insgesamt sind mindestens 50 Fälle dieser Art dokumentiert - viele davon stammen aus den letzten Jahren.

Doch es gibt unterschiedliche Nuancen des Wachkomas. Ist der Hirnstamm selbst nicht beschädigt, erhöhen sich die Chancen, dass sich ein Patient wieder erholen kann. Die Voraussetzung: Nervenzellen müssen sich regenerieren, um so für neue Vernetzungen im Gehirn zu sorgen.

"Neuere Forschungen haben ergeben, dass anregende Umgebung und positive Emotionen dies auf chemischer Ebene begünstigen können. Beinahe so, wie ein Medikament", sagt Neurochirurg Andreas Zieger vom Evangelischen Krankenhaus Oldenburg. Zieger zieht Vergleiche zu Traumapatienten. Bei diesen wurden Zusammenhänge zwischen positiven Worten und der Ausschüttung von Botenstoffen nachgewiesen.

"Stellen Sie sich vor, dass Sie Tennis spielen"

Voraussetzung dafür wäre, dass der Patient tatsächlich auf irgendeine Art fähig ist, das Gesprochene aufzunehmen. Ein Experiment aus dem vergangenen Jahr deutet darauf hin, dass Wachkomapatienten mehr wahrnehmen, als bislang angenommen. Mit einem Hirnscan hatten britische Forscher die Reaktion einer Wachkoma-Patienten auf Aufforderungen wie "Stellen Sie sich vor, dass Sie Tennis spielen" untersucht.

Als die Forscher die Hirnaktivität der Patientien mit der von gesunden Kontrollpersonen verglichen, fanden sich Übereinstimmungen. Die Frau hatte, so scheint es, im Kopf Tennis gespielt - obwohl sie äußerlich keinerlei Regung zeigen konnte. Dabei handelte es sich auch nicht um eine Reaktion auf das Wort "Tennis" - diese war viel schwächer ausgefallen.

Allerdings ist das Krankheitsbild von Wachkomapatienten so individuell, dass solche Ergebnisse nicht verallgemeinert werden können. So lag die britische Frau zum Zeitpunkt der Messung erst fünf Monate im Wachkoma - zu diesem Zeitpunkt besteht noch eine Regenerations-Chance von 20 Prozent.

Kein "langes, finsteres Nichts"?

Kritiker solcher Untersuchungen argumentieren, dass es sich bei vielen "Reaktionen" von Wachkomapatienten nur um Reflexe handele. So hätte eine veränderte Atmung, oder gar Aktivitäten wie lächeln, saugen, kauen und greifen nichts mit Bewusstsein zu tun.

Sie argumentieren, dass Wachkoma-Patienten, die sich nach Jahrzehnten erholt hatten, oft keine Apalliker gewesen seien, sondern an Erkrankungen mit ähnlichen Symptomen gelitten hätten - ein Beispiel hierfür ist das Locked-in-Syndrom, bei dem die geistigen Fähigkeiten des Menschen voll erhalten, aber schwer zu erkennen sind.

Für Zieger hingegen, der selbst Wachkomapatienten bei der Frührehabilitation betreut, ist jede weitere Studie ein Schritt zu einem neuen Bild von Wachkoma-Patienten, deren Zustand offenbar wenig mit dem vielzitierten langen, finsteren Nichts zu tun hat. So könnten Fälle wie Wallis, Scantlin und Grzebski zwar weiterhin schlagzeilenträchtige Einzelfälle bleiben - doch zumindest bleibt der kleine Trost für viele tausend Angehörige, dass ihre aufopfernde Pflege nicht ganz umsonst ist.

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