Verweltlichung:Gottes kleine Rolle

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Nur noch eine Minderheit der jungen Erwachsenen ist gläubig, die großen Kirchen schrumpfen stetig. Profitieren andere Religionen davon?

Von Matthias Drobinski

Der Mann mit den Folien und Schaubildern trübte die Laune im Kirchenparlament. Es war Anfang November, die Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) beriet in Würzburg, wie man junge Menschen für den Glauben und die Kirche begeistern könnte. Und Gerhard Wegner, der Leiter des Sozialwissenschaftlichen Instituts der EKD, machte seinem Publikum klar, wie schwer das werden dürfte. Die jungen Erwachsenen in Deutschland seien eine "postchristliche Generation", sagte er. Sie sei glücklich und zufrieden. Auch ohne Glauben.

Die Schaubilder auf der großen Leinwand zeigten, was er meint: 19 Prozent der vom Institut Befragten bezeichnen sich als religiös, weitere 20 Prozent als teilweise, 61 Prozent jedoch als nicht religiös ( siehe Grafik). Nur noch jeder Vierte sagt, er glaube an Gott. Minderheiten zwischen 13 und 16 Prozent geben an, zu ihrem Glauben zu stehen, mit Freunden über Glaubensfragen zu sprechen, dass ihnen dieser Glaube in schwierigen Lagen hilft. Den Satz: "In meinem Alltag spielt Glaube eine große Rolle" bejahen lediglich sieben Prozent; den Satz "ich kann mit dem Glauben an Gott nichts anfangen 33 Prozent. Im Mittelpunkt des Lebens steht das eigene Ich.

Mancher Synodale tröstete sich an jenem Montagmorgen in Würzburg damit, dass die kircheneigenen Soziologen sich auf die kirchenfernste Gruppe konzentriert hatten. Mit 28 Jahren ist die Kirchenaustrittsquote am höchsten. Könnte es nicht sein, dass mancher wiederkommt, wenn die Hochzeit ansteht, Kinder da sind oder schließlich der Tod am Horizont auftaucht? Ja, da könnten manche zurückkommen. Viel größer aber ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Studie Ausblicke auf den Wandel der religiösen Landschaft in den kommenden Jahrzehnten bietet.

Auch andere Studien, zum Beispiel die des Münsteraner Religionssoziologen Detelf Pollack, gehen davon aus, dass den meisten Deutschen Religion einfach weniger wichtig wird. Das Ich rückt an die Stelle Gottes, Selbstfindung und Selbstoptimierung ersetzen die Suche nach Erlösung und Heil, Familie und Freunde die Institution Kirche, die Freizeitgestaltung den Kirchgang. Es ist gar nicht so sehr die dezidierte Ablehnung der Kirchen, die zunimmt. Dass es sie gibt, finden die meisten irgendwie gut, kirchliche Kindergärten, Schulen und Krankenhäuser sowieso. Die Kirchenmitgliedschaft wird aber zum Gegenstand der schlichten ökonomischen Überlegung: Was bringt mir das? Wenn ein Kirchenskandal losbricht oder eine Steuererhöhung kommt, dann verändert sich die Kosten-Nutzen-Rechnung. Die größte Austrittswelle gab es nach der Einführung des Solidaritätszuschlags 1991. Andererseits verringern als positiv wahrgenommene Ereignisse die Austrittsneigung nur zeitweise: Die Wahl des deutschen Papstes Benedikt XVI. 2005 brachte dem Land so wenig die Rückkehr der Religion wie 2013 die Wahl des freundlich-bescheidenen Papstes Franziskus.

Auch unter den Muslimen in Deutschland gibt es die Tendenz zur Säkularisierung

Die Bewegung weg von den großen Kirchen ist eine echte Säkularisierung. Keine andere Religionsgemeinschaft profitiert entscheidend vom Mitgliederschwund der Volkskirchen. Evangelikale Freikirchen und Pfingstkirchen, die weltweit am schnellsten wachsenden Gemeinschaften, liegen in Deutschland recht stabil zwischen 1,5 und zwei Millionen Mitgliedern. Weisheits- und Esoterik-Bücher finden zwar stabil ihre Käufer, doch esoterische Gemeinschaften wachsen in Deutschland so wenig wie die Buddhisten. Selbst unter dem Muslimen im Land, die sich, verglichen mit dem christlich geprägten Umfeld, deutlich häufiger und entschiedener als gläubig bezeichnen, gibt es Säkularisierungstendenzen, wie eine Studie der Deutschen Islamkonferenz ergab. Nur noch jeder dritte Muslim betet einmal am Tag - von den geforderten fünfmal ganz zu schweigen. Nicht einmal den organisierten Konfessionsfreien und Atheisten hilft der Trend: Die Humanistische Union, der Humanistische Verband und der Bund für Geistesfreiheit kommen zusammen auf nicht ganz 30 000 Mitglieder im Land. Und daran ändert sich kaum etwas.

Die Kirchen sind also auf dem Weg in die Minderheit, und doch ist diese Säkularisierung widersprüchlich und paradox. Der Glaube verschwindet nicht einfach, wie Soziologen noch in den 1970er-Jahren vorhersagten. So stellte die Sinus-Milieustudie 2013 ein überdurchschnittliches Interesse an Religion in konservativ-wohlhabenden, aber auch in alternativ-postmaterialistischen Milieus fest. Religiös zu sein oder wenigstens religiös gebildet, könnte also zum Unterscheidungsmerkmal einer Elite werden - eine Herausforderung für die Kirchen, die sich an der Seite der Armen sehen. Von diesen aber interessiert sich kaum noch einer für die Institution. Zudem zeigt sich, dass sich der Kern der treuen Kirchenmitglieder sogar festigt: 1992 sagten bei einer Untersuchung der EKD elf Prozent ihrer Mitglieder, sie fühlten sich sehr mit ihrer Kirche verbunden. 2013 lag dieser Anteil bei 15 Prozent. Eine Studie der Unternehmensberatung McKinsey kam für die Katholiken zu einem ähnlichen Ergebnis. Wo die Kirche in der Minderheit ist, dort ist die Zufriedenheit der Mitglieder deutlich höher als in Bayern oder Baden-Württemberg, wo man häufiger allein deshalb noch in der Kirche ist, weil man halt in der Kirche ist.

Es spricht also viel dafür, dass die Kirchen auch dann noch viele Millionen Menschen binden wird, wenn sie zur Minderheit geworden sind. Es dürfte einen stabilen Kern gläubiger Menschen geben und die Gemeinschaft der treuen Fernstehenden, die mal kommen und mal nicht, je nach Lebenslage und Lebensphase. Zu Weihnachten werden die Kirchen voll bleiben. Von ihrer jetzigen institutionellen Macht aber dürften die Kirchen einiges abgeben müssen.

© SZ vom 22.12.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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