Kommentar:Der verspätete Impfpass ist eine Blamage für die Regierung

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164 Impfpässe und 89 bereits ausgefüllte digitale Impfnachweise haben die Polizisten in einer Gaststätte in Kirchseeon entdeckt. (Foto: Bernd Wüstneck/dpa)

Der digitale Impfpass soll in der Corona-Pandemie für neue Freiheiten sorgen. Doch in Deutschland ist dieser noch gar nicht verfügbar - peinlich für die größte Wirtschaftsnation Europas.

Von Caspar Busse

Langsam kann sich das Leben nach dem harten Corona-Winter jetzt wieder normalisieren. Geimpfte, Genesene und Negativ-Getestete warten schon darauf, dass sie wieder mehr Freiheiten bekommen und leichter reisen können. Ende vergangener Woche hat sich die Europäische Union (EU) deshalb auf einen digitalen Impfpass verständigt. Ein Zertifikat in Form eines einfachen QR-Codes auf Papier oder auf dem Mobiltelefon soll den Weg in die neue Normalität öffnen.

Doch - peinlich, peinlich - ausgerechnet Deutschland, Europas führende Wirtschaftsnation, ist noch weit zurück. Ein digitales Impfzertifikat werde erst Ende Juni bereitstehen, sagt das Bundesgesundheitsministerium. Viele Fragen müssten noch geklärt werden. Der Pfingsturlaub ist dann schon vorbei. Aber auch für den Sommerurlaub kommt die digitale Lösung, wenn sie denn pünktlich da ist, reichlich spät, denn die Schulferien beginnen in einigen Bundesländern bereits in der dritten Juni-Woche. Bis dahin sollen die Bürger sich mit dem alten gelben Impfpass behelfen, oft schon zerfleddert, unpraktisch und vor allem fälschungsanfällig.

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Es ist ein trauriges Beispiel dafür, wie die Digitalisierung verschlafen wurde

Es ist eine Blamage für die Bundesregierung und ein neues trauriges Beispiel dafür, wie die deutsche Verwaltung in den vergangenen Jahren die Digitalisierung einfach verschlafen hat. Seit dem vergangenen Jahr ist klar, dass die Impfungen anlaufen und dass sich geimpfte Menschen dann ausweisen können müssen. Doch bis jetzt gibt es nichts Digitales. Warum eigentlich? Was ist so schwierig daran, eine digitale Infrastruktur mit QR-Codes aufzubauen? Private Unternehmen, etwa im Einzelhandel, schaffen das in ihrem Bereich in kurzer Zeit. Jetzt muss mit viel Aufwand nachgerüstet werden, bereits Geimpfte - inzwischen immerhin 33 Millionen Deutsche - müssen sich das Zertifikat nun nachträglich besorgen und wieder zum Hausarzt, ins Impfzentrum oder in die Apotheke gehen. Die Sommerurlaubssaison wird behindert, die Ineffizienz ist groß, der Verdruss auch.

Das Schlimme dabei: Der digitale Impfpass ist kein Einzelfall. Die öffentliche Verwaltung ist bei der Digitalisierung in vielen Bereichen weit zurück, das zeigt sich gerade in der Pandemie. Während die Wirtschaft sich schnell und flexibel auf die neue Lage einstellt, hat man das Gefühl, die Verwaltung ist erstarrt und unfähig, adäquat zu handeln. Dabei zeigt die Pandemie, wie schnell die Umstellung gelingen kann, wie leicht Digitalisierung manche Dinge macht. So arbeiten plötzlich Millionen Menschen von Zuhause aus, was zuvor niemand für möglich hielt.

Bei der öffentlichen Hand aber sieht es anders aus. Ein besonders trauriges Beispiel sind viele Universitäten und vor allem Schulen, die noch immer nicht richtig auf Home-Schooling vorbereit sind, es fehlt an technischer Ausstattung, an einfachen Dingen wie Wlan, an Software - und manchmal auch am Willen. Die Leidtragenden sind Kinder, Jugendliche und Familien. Doch auch in vielen anderen Bereichen der Verwaltung geht es nicht voran. So kommunizieren Gesundheitsämter und andere Verwaltungen offenbar noch immer per Fax - und das im Jahr 2021. Nach einer neuen McKinsey-Studie sind viele Deutsche unzufrieden mit den digitalen Diensten der Verwaltung.

Alles viel zu kompliziert, langsam, ineffizient - das ist am Ende auch ein erheblicher Wettbewerbsnachteil für die deutsche Wirtschaft. Am fehlenden Geld kann das wohl kaum liegen, in der Pandemie stehen öffentliche Mittel ausreichend zur Verfügung. Auch das Know-how ist in Deutschland vorhanden. Das Problem ist offenbar die politische Führung, die Ära Angela Merkel hat Deutschland in dieser Hinsicht nicht vorangebracht - die Schlappe beim digitalen Impfpass zeigt das überdeutlich.

Spätestens nach den Bundestagswahlen im Herbst muss die Digitalisierung schnell ganz oben auf die Agenda, ein Digitalministerium mit weitreichenden Kompetenzen wäre die richtige Lösung, Dorothee Bär, die Beauftragte der Bundesregierung für Digitalisierung, hat bislang nichts erreicht. Eine solche Rückständigkeit kann sich ein Industrieland wie Deutschland nicht leisten, so wird das Land auf Dauer nicht an der Spitze der Industrienationen bleiben können.

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