Am Ende ihrer eindrücklichen Haushaltsrede muss die Grafenberger Finanzchefin Susanne Girod die Tränen zurückhalten. Die Stimme bricht, obwohl sie sonst für eine klare Rhetorik bekannt ist.

Warnung: Nicht die Augen vor der Realität verschließen

Die bleibt die Kämmerin ihren Zuhörern in der Rienzbühlhalle aber während der jüngsten Sitzung des Gemeinderates nicht schuldig: Am Ende eben hat Susanne Girod nicht nur die Fallstricke des Zahlenwerks erläutert – sondern den Verantwortlichen für Grafenberg auch eine Mahnung mitgegeben: „Ich warne davor, die Augen vor der Realität zu verschließen – und über eine kreative Buchhaltung Einnahmen darzustellen, die die Gemeinde Grafenberg gar nicht hat.“ Warum dieser emotionale Appell? Es ist der vorläufig letzte Etat, den Susanne Girod einbringt: Die Verwaltungsfachfrau verabschiedet sich im Februar in eine zweijährige Elternzeit. Auf die Pause hat sie direkt nach der Geburt ihres Sohnes vor einigen Jahren verzichtet, wohl auch mit Blick auf die finanziellen Probleme in Grafenberg. Nun habe sie mit ihrer Familie beschlossen, sich doch eine Auszeit vom Job zu geben, begründet sie im Gespräch mit unserer Zeitung.

Vakanzen und Rochaden im Rathaus

Mit der als kompetent und engagiert geltenden Finanzchefin verliert die Verwaltung eine weitere Mitarbeiterin auf einer Schlüsselposition. Im Rathaus hatte es zuletzt einige Vakanzen und Rochaden gegeben (unter anderem auf der Stelle der Hauptamsleiterin). Auch im Bauamt ist noch eine Stelle unbesetzt, wie Bürgermeister Volker Brodbeck sagte. Aber zurück zu den kommunalen Finanzen. Die beleuchtet Susanne Girod (ein Ersatz für sie ist noch nicht gefunden) detailliert, wobei klar wird: Die Finanzen bleiben ein Sorgenkind. Im Haushalt klafft 2021 ein Defizit von rund 370 000 Euro – den rechtlichen Vorgaben entspricht der Etat erst wieder 2024.

Zur Deckung Vermögen einsetzen?

Und Grafenbergs Probleme sind die alten: Zwar hat die Gemeinde die Schulden zuletzt weiter reduzieren können, auch plant die Verwaltung in naher Zukunft keine neuen Darlehen ein. Aber Abschreibungen und Tilgungen könne der Ort bis 2023 nicht, oder nur teilweise, erwirtschaften. „Zur Deckung ist Vermögen einzusetzen. Wir leben von der Substanz.“ Apropos Vermögen. Mit den sogenannten liquiden Mitteln kann Grafenberg zwar dienen. Auf dem Girokonto liegen gut 1,5 Millionen Euro. Doch dieses Geld zum Ausgleich des laufenden Betriebs einzusetzen, sei weder nachhaltig, noch generationengerecht, warnte Susanne Girod. Vielmehr sei es zum Investieren da. Und hier hat die Gemeinde einiges vor.

Erschließung Gewerbegebiet Trieb

Ein dicker Brocken: Die Erschließung des geplanten Gewerbegebietes Trieb. Da die Flächen alle der Kommune gehören, kann Grafenberg zunächst mit Grundstückserlösen in Höhe von 3,4 Millionen Euro rechnen. Zu tragen hat die Gemeinde allerdings die Erschließung. Anberaumt sind Ausgaben von rund 2,1 Millionen Euro.
Den Überschuss kann Grafenberg dringend brauchen, denn Rat und Verwaltung müssen das nächste dicke Brett bohren: Die Sanierung des Ortszentrums, die das Land mit 60-prozentigem Zuschuss fördert. En detail soll der Platz vor der Apotheke neu gestaltet, ein Areal am Anger geschaffen und das Gelände um das ehemalige Gasthaus Lamm neu angelegt werden.
Noch stehen allerdings keine Konzepte. Stattdessen gilt es, einige zu Hürden nehmen, lässt Susanne Girod durchblicken. So sind etwa im Untergrund vor der Apotheke etliche Kanäle marode. Sie auszuwechseln, würde die Gemeinde allein mit 950 000 Euro belasten, rechnete ein Sachverständiger dem Rat vor. Im „Lamm“ sind derzeit Flüchtlinge untergebracht, und wegen der Pläne am Anger laufen seit längerem Grundstücksverhandlungen.

Der Wirtschaft Aufträge und Impulse geben

Dennoch, jährliche Raten für die neue Mitte stehen bereit – auch, um ein politisches Signal zu setzen, betont Girod. Seinen politischen Willen, Projekte voranzutreiben, bekundete auch Bürgermeister Volker Brodbeck: „Trotz aller finanziellen Fragezeichen ist es wichtig, Vorhaben kontinuierlich weiter zu verfolgen, um der Wirtschaft Aufträge und Impulse zu geben.“
Und sonst? Grafenberg will im Haushaltsjahr 2021 unter anderem den Naturkindergarten verwirklichen, in den Digitalfunk der Feuerwehr und den Medienentwicklungsplan der Schule investieren sowie Spielplätze sanieren.
Einiges an Geld muss die Kommune in den kommenden Jahren für die Abwasserbeseitigung in die Hand nehmen  – etliche Känale sind dringend sanierungsbedürftig, legten Fachleute im Rat dar. Und Sorgen macht der Kämmerin die Wasserversorgung. Dort steigen die Schulden längerfristig, nach der Erschließung Trieb erst recht.
Bürgermeister und Kämmerin verwiesen zudem auf Unsicherheiten, die das Coronajahr mit sich bringt. Volker Brodbeck (er hatte zuvor auf 2020 zurückgeblickt) betonte, die Steuereinnahmen der Kommunen erreichten erst 2022 wieder das Niveau von 2019.
Die Mammutsitzung am Dienstag dürfte übrigens nicht nur wegen der Coronapandemie in die Annalen eingehen. Das Gremium hatte mit Mundschutz und bei frostigen Temperaturen in der Halle 21 Tagesordnungspunkte zu bewältigen. Darunter den Abschied des langjährigen Rates Rudolf Rampf (Bericht folgt). Schluss war erst um Mitternacht.

1,8

Millionen Euro an Einnahmen verbucht die Kommune aus der Einkommenssteuer. Die Gewerbesteuer liegt bei 1,65 Millionen Euro. Die Grundsteuer A und B wird erhöht (10 von 100).