ST.GALLER ARCHÄOLOGIESTREIT: Der Professor soll seinen Schatz hergeben

Der Kanton St.Gallen hat vor einem Aargauer Bezirksgericht Recht erhalten: Die Grabungsdokumentation der Kathedrale aus den 1960ern gehört dem Staat. Der beklagte Archäologieprofessor will den Fall aber weiterziehen.

Sina Bühler
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Aufgewühlte Kathedrale: Die Grabungen in den 60er-Jahren. (Bild: PD)

Aufgewühlte Kathedrale: Die Grabungen in den 60er-Jahren. (Bild: PD)

Sina Bühler

ostschweiz@tagblatt.ch

Hans-Rudolf Sennhauser gilt als der Schweizer Experte für Kirchenarchäologie. Der emeritierte Professor lehrte sowohl an der Universität Zürich als auch an der ETH. Sein Thema ist die Kunstgeschichte des Mittelalters und die Archäologie der frühchristlichen, hoch- und spätmittelalterlichen Zeit. Jahrzehntelang grub er in Kirchen und Klöstern der halben Schweiz, verfasste Bücher und Artikel, sammelte alles, was er fand. Seit den 50er-Jahren hat er mindestens 57 Ausgrabungen in 13 Kantonen durchgeführt. Die Unterlagen – und früher auch einen Grossteil der Fundstücke – lagert er im Kanton Aargau. In einem alten Riegelhaus in Bad Zurzach. Es ist das Haus, in dem er selber wohnt; es steht im Dorf, in dem er aufgewachsen ist.

Waren Sennhausers Grabungen kantonale Aufträge? Dieser Ansicht sind die Kantone und sie fordern deshalb seit Jahrzehnten die Herausgabe der Grabungsdokumentation, die bei diesen Aufträgen erstellt worden ist. Der Professor verweigert das. Er sei meist als Experte des Bundes vor Ort gewesen und nicht als Leiter der Ausgrabungen.

Der Professor traut den Kantonen noch immer nicht

Zwar möchte er heute nicht mehr mit den Medien sprechen, jedoch hat er seine Beweggründe früher ausführlich begründet. Er habe seine Pionierarbeit zu einer Zeit geleistet, in der sich kaum jemand für Schweizer Mittelalterarchäologie interessierte. Lagerräume für Fundgegenstände fehlten, Kantonsarchäologen gab es fast nirgends. In der Stadt St. Gallen, beklagte sich Sennhauser Anfang Jahr gegenüber Radio SRF, habe man seine Funde sogar wegwerfen wollen: «Hätte ich sie nicht nach Zurzach genommen, wären sie heute nicht mehr da.»

Er traut den Kantonen immer noch nicht. Immerhin konnten sie nach längeren Verhandlungen die Grabungsfunde selber abholen. 2013 kamen rund drei Tonnen Material nach St. Gallen – Erd- und Mörtelproben, skulpturierte Steine, Keramik, Glas und Knochen. Die Dokumentation hingegen behielt Sennhauser bei sich. Er weigerte sich, die Originale der Zeichnungen, Fotos, Skizzen und Pläne, die damals vor Ort erstellt wurden, herauszugeben. Ohne diese können aber Funde nicht zugeordnet, Zusammenhänge nicht gezogen, wissenschaftlich nicht gearbeitet werden.

Unterlagen einer selber gegründeten Stiftung geschenkt

Selbst als die Kantone immer eindringlicher, in einer Task Force vereint und mit der Unterstützung des Bundesamtes für Kultur, Druck auf Sennhauser ausübten, gab er nicht nach. Er schenkte alle seine Unterlagen der Stiftung für Forschung in Spätantike und Mittelalter. Diese hatte er 2009 selber gegründet. Sie hat ihren Sitz im Riegelhaus in Zurzach und wird von Sennhauser präsidiert. Damals spitzte sich der Konflikt so zu, dass drei Kantone ihn verklagten. Der Luzerner Fall ist zurzeit sistiert, Basel-Stadt aber hat im Mai 2015 gewonnen und die Grabungsdokumentation zum Basler Münster erhalten.

Vor gut einem Monat konnte auch der Kanton St. Gallen einen Erfolg verbuchen. Das Gericht befand, Sennhauser müsse die Unterlagen aushändigen. Das Urteil ist allerdings nicht rechtskräftig. Hans Rudolf Sennhauser leitete zwischen 1963 und 1967 die Grabung in der St. Galler Kathedrale. 1961 hatte der Katholische Konfessionsteil mit der Innenrestaurierung begonnen. Das Gebäude steht unter dem Schutz der Eidgenössische Denkmalpflege, die bei dieser Gelegenheit empfahl, auch archäologische Ausgrabungen vorzunehmen.

Basilikagrundriss interessiert Mittelalterforschung weltweit

Die Forscher fanden dabei die Fundamentreste einer Klosterkirche aus dem frühen 8. Jahrhundert. Ausserdem konnten sie den Grundriss der Basilika von Abt Gozbert rekonstruieren, dem Vorgängerbau der Kathedrale. Gebaut wurde diese zwischen 830 und 935, aus der Zeit also, aus der auch der St. Galler Klosterplan stammt. Dabei handelt es sich um den weltweit ältesten erhaltenen Architekturplan, der den Schriftsteller Umberto Eco vermutlich zu seinem Bestseller «Der Name der Rose» inspirierte.

Ob der Klosterplan mit dem Grundriss der Gozbert-Basilika übereinstimmt, wäre eine der wirklich interessanten Fragen in der Mittelalterforschung. Nur kann sie immer noch nicht beantwortet werden, denn die damalige Grabung wurde bisher nicht wissenschaftlich aufgearbeitet, nur einzelne Erkenntnisse daraus sind publiziert. Laut Katrin Meier, Leiterin des St. Galler Amtes für Kultur, gelang es 2012 wenigstens, Kopien zu erstellen, die der Kanton inzwischen besitzt. «Es handelt sich aber nur um Sicherungskopien, damit die Informationen nicht verloren gehen, wenn die Originaldokumente beschädigt werden oder abhanden kommen.» Der Kanton will die Originale. Umso mehr, als dass es sich bei der Grabung um das Weltkulturerbe handelte: «Sie sind zum einen wichtig, um sicherzustellen, dass wirklich alles kopiert worden ist. Zum andern können die Originale Informationen enthalten, die auf den Digitaldaten nicht gleich gut sichtbar oder erkennbar sind.»

Jahrelange Ermahnungen hier und Vertröstungen dort

Dass Ergebnisse von Grabungen nicht sofort zur Verfügung stehen, ist zwar üblich. In diesem Fall ist der Zeithorizont jedoch enorm: 1967 wurde die Grabung beendet. Und Sennhauser war der Ansicht, 1972 sei der Bericht so weit. 1979 glaubte er, in drei bis vier Jahren fertig sein zu können. 1988 hiess es, die Arbeiten seien in zehn bis fünfzehn Jahren beendet. 1997 erklärte der Professor, jetzt sei der Zeitpunkt für seine Bearbeitung günstig. Fertig ist er auch 20 Jahre später noch nicht. Über die Jahre sind 236000 Franken aus dem Katholischen Konfessionsteil nach Zurzach geflossen, etwas mehr als 100 000 Franken davon hat der Bund übernommen. Immer wieder mahnten Katholischer Konfessionsteil und Kanton, immer wieder vertröstete der Professor. Irgendwann begannen sich die Auftraggeber Sorgen zu machen. Als Sennhauser mit der Arbeit in St. Gallen begonnen hatte, war er 33 Jahre alt und gerade dabei, das Studium abzuschliessen. Heute ist er 86 und seit mehr als 20 Jahren pensioniert.

Diese Zahlen und Daten sind aus dem Urteil des Bezirksgerichts Zurzach ersichtlich. Hans Rudolf Sennhauser selber möchte nichts mehr zum Fall sagen. Er bestätigt aber, dass er bereits Berufung gegen das Zurzacher Urteil eingelegt habe.