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Der Mann als tobsüchtiges Kleintier

Die Welt als Kindergarten: Musikkritiker Georg – gespielt von Josef Hader – hat jedenfalls genug. Foto: PD

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Jeder dürfte merken, dass «Wilde Maus» ein österreichischer Film ist – spätestens bei folgender Szene: Ein festgenommener Musikkritiker, der seinem Ex-Chef­redaktor die private Überwachungskamera aus der Halterung geschlagen hat, sagt zu einem Polizisten, das Vernehmungsprotokoll sei wirklich gut geschrieben. Was den Polizisten freut, weil er, sagt er, ein Fan des Kritikers sei. Beziehungsweise seiner Sprachspiele, «wanns jemanden so niederbügeln». Das erinnere ihn an Alfred Polgar, und ob er, der Kritiker, Polgars gesammelte Kritiken gelesen habe, «da schiffens eana o». Und dann lässt der Polizist den Kritiker in Polgars Namen laufen. Es ist das kulturelle Wien in der Nussschale.

In diesem Ton löst sich in «Wilde Maus», Josef Haders Regieerstling, alle Hysterie in der grossen existenziellen Ironie auf. Die nimmt alles nicht so ernst und erkennt die Welt als Kindergarten. Sie weiss, dass ein Ende nie ein Ende ist, weil ja alles immer wieder von vorn anfängt in diesem Drecksleben. Und es ist eben gar nicht wahr, dass eine Geschichte zu Ende gedacht ist, wenn sie die schlimmstmögliche Wendung genommen hat und Komödie geworden ist. Die hadersche Komödientheorie geht eher von einer denkerischen Kreisbewegung aus. Nichts wird Komödie, ­alles ist es schon. Und die schlimmstmögliche Wendung ist nur eine der schlimmstmöglichen.

Ein Würstchen unter Würstchen

Eine wäre beispielsweise der Tod, den der Musikkritiker erwägt. Nach einer konzisen Definition des Kabarettisten Hader (aus seinem Programm «Hader muss weg») wäre das der Zustand, in dem man Erde wird und sinnlose Stauden aus einem wachsen, die keiner braucht. Er definierte auch das Leben, das ist, wie es ist, und auch woanders nicht anders: eine Reihe von Katastrophen, und dazwischen ist es fad. Oder wie es in einem anderen Hader-Programm hiess: Es sei alles so enttäuschend, die Kinder, die Liebe und die Akropolis, und das Leben verliere doch sehr dadurch, dass man es kennen lerne.

So muss man sich die Grundmorosität der Comédie humaine vorstellen, in der Georg, der Musikkritiker (Hader spielt ihn selbst; und warum haben Filmfiguren eigentlich so oft nur Vornamen?), ein Würstchen unter Würstchen ist, die sich da abstrampeln. Am Anfang gehts ihm beim Strampeln noch gut. Er hält sich für eine kulturelle Instanz und ist auch eine. Die schöne Nora von Waldstätten schaut als Jungredaktorin zu ihm auf, bis der deutsche Chefredaktor (Jörg Hartmann; der hat als Figur dann wieder nur einen Nachnamen: Waller) dem Kritiker mitteilt, man könne sich Instanzen nicht mehr leisten. Heisst: Kündigung. Es werde Leserproteste geben, sagt Georg. Das glaube er nicht, sagt der Chef, seine Leser seien meistens tot.

Verwandlung zum Kleintier

Jemanden, der selber Kritiken schreibt, berührt da natürlich Josef Haders präziser Möglichkeitssinn. Aber das ist eine persönliche Angelegenheit, kein kunstkritisches Argument. Die grosse Kunst steckt in der gleichzeitig trockenen und wahrhaft ins Irre überschnappenden Komik, mit der von der Vermausung eines Mannes zu einem gegen sich selbst und andere tobenden Kleintier erzählt wird.

Wie dieser Georg mit höflicher Brutalität von allem Instanzhaften entkleidet wird – von der Park- und den Freikarten und den Akkreditierungen. Wie er erleben muss, dass die Bewunderung der Jungredaktorin sich zu flüchtigem Mitleid wandelt. Und wie die junge Frau eine Konzertkritik schreibt, die irr­tümlich noch unter seinem Namen erscheint – die findet seine Frau dann «ungewohnt nett». Wie er aber seiner Frau (Pia Hierzegger) nicht ums Verrecken die Wahrheit sagen kann, sondern täglich in den Wiener Prater flüchtet, wo er immer, wenn sie anruft, gleich eine Pressekonferenz hat. Im Prater übrigens hilft er dem Erich (Georg Friedrich), einem früheren Schulkollegen, eine Achterbahn herzurichten (eine «Wilde Maus»: das ist tatsächlich die Gattungbezeichnung für solche Bahnen, zugelassen für Kinder ab sechs Jahren). Zu Hause ist er eigentlich nur noch wegen seiner Frau, einer ­Psychotherapeutin mit einem so star- ken ­späten Kinderwunsch, dass an den Tagen des Eisprungs Kopulationspflicht herrscht und Stellungsbefehle ergehen.

Der Georg will aber kein Kind, jetzt schon gar nicht. Sodass nun auch das noch zum inneren Grimm wird, der schliesslich als schrille Tobsucht nach aussen drängt. Sowie als dringendes Bedürfnis, den Ex-Chef zu ermorden, diese Piefkesau, die an allem schuld ist. Und das führt eben zur Sache mit der Überwachungskamera und tief ins österreichische und allgemein menschliche Wesen, wo sich Josef Hader auskennt.

Zweig trifft auf Brenner

Es ist alles von wunderbarer Umständlichkeit und vollendet logischem Irrsinn. Die schönste Szene ist die, in der Georg nackt im Schnee sitzt und sich mit Whisky und Tabletten umbringen will. Er tuts dann nicht, das ist nicht das Ende. Denn so leicht lässt uns ein Hader nicht davonkommen in die Eindeutigkeit einer sentimentalen Surrealität.

Etwas aber wird da eindeutig klar: Was für ein Schauspieler, dieser Josef Hader. Einer, der durch sein komisches Granteln und Wüten und Kopf-gegen-die-Wand-Rennen Zerbrechlickeit scheinen lässt. Als ob sich Detektiv Simon Brenner, seine bekannteste Figur, verschmolzen hätte mit dem verlorenen Schriftsteller Stefan Zweig, den er kürzlich in «Vor der Morgenröte» gespielt hat: zum Meisterbild der Symbiose von Lächerlichkeit und Weltpanik.

In Zürich im Kino Riffraff.