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Mamablog: Emotionen im FamilienalltagDie heimliche Wut der Eltern

Von der Grosshirnrinde zum Mandelkern: In Stresssituationen funktioniert unser Gehirn anders. 

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Oft passiert es genau dann, wenn keiner damit rechnet. Eben schlenderte man noch gemütlich mit den Kindern durch ein Geschäft, als plötzlich ein Streit zwischen ihnen entfacht. Gerade schaute man noch entzückt zu, wie sie ein Bild malen, als ein Becher umfällt und alles unter Wasser setzt. Und plötzlich kippt ein Schalter im elterlichen Gehirn um. Erwachsene, die im Büro endlos Geduld mit den mühsamsten Kunden aufbringen, werden durch ihre Kinder unvermittelt derart getriggert, dass sie etwas tun, was sie mit ihren Kunden nie tun würden: Sie schreien sie an. Sie sagen verurteilende Sätze, drohen ihnen oder beschämen sie.

Eigentlich wissen wir es ja besser

Natürlich schreien nicht alle Eltern ihre Kinder an. Aus der Forschung weiss man, dass etwa 30 Prozent aller Menschen auch unter widrigsten Umständen keine Stressreaktionen zeigen (mehr dazu gibts in diesem Buch nachzulesen). Doch viele Eltern kennen diese aufbrechende Wut, über die viel zu selten geredet wird, weil sie mit so viel Scham besetzt ist und weil wir doch liebevolle Eltern sind. Und als solche wissen wir natürlich, dass Ausschimpfen nicht zielführend ist – denn kein Kind kann lernen, wenn es gestresst ist. Wir wissen zudem, dass wir dem Selbstwertgefühl des Kindes nichts Gutes tun und der Beziehung damit schaden. Doch allem Wissen zum Trotz geschieht es immer wieder aufs Neue. Gerade jetzt, in dieser Minute. Weltweit tausendfach. Warum?

Je mehr wir von klein an auf «Gefahr» gepolt sind, umso schneller schlägt unser System später Alarm.

Im sehr empfehlenswerten Buch «Erziehen ohne Schimpfen» von Nicola Schmidt wird beschrieben, was das mit uns selbst zu tun hat und was die Hirnforschung dazu meint. Massgebend ist unser Stresstoleranzfenster, welches sich in den ersten Lebensjahren aufgrund unserer Erfahrungen bildet und für den Rest des Lebens relativ konstant bleibt – insbesondere, wenn wir uns nicht aktiv seiner Veränderung widmen. Dieses früh gebildete Stresstoleranzfenster war einst auch äusserst sinnvoll: Wer in einer Gegend mit vielen Raubtieren aufwuchs, musste schliesslich im weiteren Leben schnell reagieren können, um zu überleben.

Heute aber liegen unsere Grundprobleme eher im Bereich der Bindung, einer zu rigiden Erziehung, der Vernachlässigung oder gar Gewalt. Je mehr wir von klein an auf «Gefahr» gepolt sind, umso schneller schlägt unser System später Alarm und dockt dort an, wo unsere eigenen Gefahrenquellen einst lagen: im Wildsein, im Nichtgehorchen, in der Unberechenbarkeit des Lebens. Ausserdem sind Stress-Systeme vererbbar. Wenn unsere Vorfahren also massivem Stress ausgesetzt waren (beispielsweise durch Krieg, Flucht oder Gewalt), reagieren wir in unserem eigenen Leben ebenfalls eher stark auf – bedeutungslose – Stimuli, obwohl wir diese Bedrohungen nicht selbst erlebten.

Raus aus der Stressschleife – aber wie?

Normalerweise funktionieren wir über den präfrontalen Cortex, jenen Teil der Grosshirnrinde also, der aufnimmt, bewertet und entscheidet. Dieses System ist genial, hat aber einen Nachteil: Es ist langsam. Und langsam ist im Gefahrenfall keine gute Idee. Darum wechseln wir in Momenten der Bedrohung zum Mandelkern, der uns in bedrohlichen Situationen durch Flucht- oder Kampfmodus in Sicherheit zu bringen versucht. Er ist es auch, der uns mit Adrenalin versorgt, unsere Fähigkeit für Mitgefühl reduziert oder den Blutdruck erhöht. Auch die Erinnerungsfähigkeit wird reduziert, was begründet, warum wir uns oft nicht an die Ursache eines Streits erinnern können. Was uns also einst das Überleben sicherte, ist heute oft ein Problem. Und natürlich spielen unsere aktuellen Belastungen sowie die Anzahl und das Temperament der Kinder ebenfalls eine Rolle.

Untersuchungen belegen, dass es 21 Tage braucht, um dem Hirn ein neues Verhalten anzutrainieren.

Gestresste Eltern stellen Anforderungen, denen Kinder nicht genügen können – nicht, weil sie nicht wollen, sondern weil sie Kinder sind. Was aber tun, um aus dieser Stressschleife herauszutreten?

  1. Anerkennen, dass es keine perfekten Eltern und keine perfekten Kinder gibt.

  2. Eine Abmachung mit uns selbst treffen für diese Momente: Durchatmen, auf drei zählen, Wasser für einen Tee aufsetzen – etwas, das unserem Verstand Zeit gibt, im Jetzt zu bleiben und nicht zum Mandelkern zu wechseln.

Untersuchungen belegen, dass es 21 Tage braucht, um dem Hirn ein neues Verhalten anzutrainieren. Wenn wir uns also ernsthaft vornehmen, 21 Tage so vorzugehen statt loszuschreien, wird das unser Verhalten langfristig verändern, weil im Hirn eine neue Autobahn gelegt wird. Unsere olle Denkzentrale wird also endlich kapieren, dass vor uns ein lebenslustiger Dreijähriger und kein Säbelzahntiger steht, und wir sind zu neuen Lösungen bereit.

Sollte es mal nicht klappen, sollten wir uns nicht verurteilen, sondern daran glauben, dass es beim nächsten Mal möglich ist. Vertrauen brauchen schliesslich auch Kinder, um zu wachsen. Damit das bei ihnen allerdings möglich wird, müssen wir Erwachsenen erst mal bei uns selbst ansetzen.