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Interview mit Schweizer Demograf«Ohne Zuwanderung müssten wir mehr und länger arbeiten»

Die Schweiz sei noch nicht fit für den demografischen Wandel, so der Basler Wissenschaftler Manuel Buchmann.

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Herr Buchmann, Sie befassen sich mit der Bevölkerungsstruktur der Schweiz, «überaltert» die Schweiz?

Der Begriff «überaltert» ist negativ konnotiert. Sagen wir es so: Die Schweiz verändert sich – es gibt immer mehr Alte und anteilsmässig weniger Junge. Dies führt zu grossen Veränderungen in unserer Gesellschaft und vor allem unserer Wirtschaft, die nun langsam spürbar werden.

Zum Beispiel auf dem Arbeitsmarkt – Stichwort Fachkräftemangel.

Wir werden noch weitere Veränderungen sehen, zum Beispiel auf dem Immobilienmarkt, dem Finanzmarkt oder bei der Altersvorsorge.

Die Demografie in der Schweiz steht kopf. Überall fehlt es an Personal, sogar am Flughafen bei der Gepäckkontrolle. Was muss jetzt passieren?

Wir müssen lernen, mit dieser neuen Welt zu leben. Die Macht verschiebt sich zu den Arbeitnehmenden, die heute immer mehr Optionen haben. Dort, wo Arbeitsbedingungen und Löhne nicht stimmen, wird einfach Personal fehlen. Immer mehr Arbeitsschritte werden automatisiert werden, Geschäftsmodelle müssen neu überdacht werden. Wichtig ist auch die unternehmerische Ebene: Wenn zu wenig Personal rekrutiert werden kann, dann werden auch Expansionspläne scheitern.

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Bereits heute kommt ein grosser Teil des Personals in der Pflege, der Reinigung und der Gastronomie – also im Dienstleistungsbereich – nicht aus der Schweiz. Wird dieser Trend zunehmen?

Der Trend zeigt zwar in diese Richtung. Ich bin mir aber nicht sicher, ob er sich so fortsetzen wird. Denn auch unsere wichtigsten Einwanderungsländer – Deutschland, Frankreich, Italien, Spanien, Portugal und der Balkan – altern stark. Grossteils sogar noch deutlich schneller als die Schweiz. Das heisst: Erstens gibt es weniger Menschen in diesen Ländern, die im Migrationsalter sind. Zweitens werden diese Länder immer mehr Anstrengungen unternehmen, ihre eigenen Arbeitskräfte im Land zu halten oder Ausgewanderte zurückzuholen. Das beste Beispiel dafür ist Portugal, das solche Massnahmen mit Erfolg umgesetzt hat. Heute wandern mehr Personen von der Schweiz nach Portugal als von Portugal in die Schweiz.

«Können wir einfach Altersheime schliessen, weil das Personal fehlt?»

Erfolgreiche Unternehmen wollen aber wachsen. Was müssen sie tun, wenn Fachkräfte knapp sind?

Sie müssen langsamer wachsen oder aufhören zu wachsen. Oder sich gesundschrumpfen, wie es so schön heisst. Das ist halt anders als früher: Die Nachfrage ist zwar da, aber das Angebot an Personal fehlt. Wenn immer weniger Arbeitskräfte vorhanden sind, kann auch immer weniger produziert werden. Gewisse Dinge lassen sich zwar automatisieren oder im Ausland herstellen ...

… aber die Pflege zum Beispiel nicht.

Das stimmt. Die Pflege ist demografisch gesehen der heikelste Bereich. Die Nachfrage wird ansteigen, weil wir immer mehr Betagte haben oder Menschen kurz vor dem Tod, die viel Betreuung benötigen. Zudem stellen diese Dienstleistungen ein Grundbedürfnis unserer Gesellschaft dar. Können wir einfach Altersheime schliessen, weil das Personal fehlt? Obwohl wir genug Plätze hätten? Hier müssen ernsthafte Massnahmen zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen getroffen werden.

Das wurde mit der Pflegeinitiative versucht.

Das ist ein guter erster Schritt, aber in meinen Augen zu wenig – es muss mehr passieren. Denn hier liegt ein grosses gesellschaftliches Risiko, das wir in den Griff bekommen müssen. Die Konsequenzen wären ansonsten immens.

Sie meinen, wenn zum Beispiel das Altersheim die Grossmutter nicht mehr aufnehmen kann wegen Personalmangel?

Was zur Folge hätte, dass die Kinder die Betreuung übernehmen würden, was wiederum dazu führt, dass sie an ihrem Arbeitsplatz fehlen. Dann gibt es das Problem: Wer es sich leisten kann, kauft sich die Betreuung privat. Wer nicht über die nötigen Ressourcen verfügt, hat das Nachsehen. Ich habe den Eindruck, dass diese gesamtgesellschaftlichen Probleme noch nicht genügend erkannt werden.

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Was muss die Politik machen?

Vor allem eines: die Demografie ernst nehmen und sich auf die Entwicklungen vorbereiten, die auf uns zukommen werden. Viel zu oft wird am Thema vorbeidiskutiert. Die Schweiz braucht in meinen Augen eine Demografiestrategie, um diesen Auswirkungen erfolgreich entgegenzutreten.

Wie könnte eine solche Strategie aussehen?

Fast das gesamte Wachstum der Weltbevölkerung in den kommenden Jahrzehnten ist auf Afrika zurückzuführen. Hier liegt also ein enormes Potenzial an Arbeitskräften. Eine mögliche Lösung könnte es sein, Ausbildungsstätten in afrikanischen Ländern einzurichten, wo auch wichtige Aspekte der Schweizer Kultur und Sprache vermittelt werden. Die besten Absolventen würden dann eine Stelle in der Schweiz bekommen.

Die besten Leute fehlen dann aber in ihren jeweiligen Ländern, ist das gerecht?

Das Gastgeberland selbst würde auch davon profitieren, denn die restlichen Absolventen erhalten eine hochklassige Ausbildung, die sie sonst nicht bekommen hätten.

Also eine Art «Schweizer Ausbildungsstätte für Pflege» in Nigeria oder Gambia? Wie liesse sich das finanzieren?

So sieht für mich die Zukunft der Schweizer Entwicklungszusammenarbeit aus. Wir müssen Programme lancieren, die beiden Seiten etwas bringen. Auf diese Weise findet sich auch eine Finanzierung. Deutschland setzt zurzeit die rechtlichen Rahmenbedingungen für eine vermehrte Fachkräftezuwanderung aus Afrika. Bundeskanzler Scholz ist sehr aktiv, er war kürzlich in Kenia und spricht oft über das Potenzial von Arbeitskräften aus Afrika. Hier ist Deutschland der Schweiz einen Schritt voraus.

«Weniger Wachstum und Wohlstand wäre die logische Konsequenz, wenn wir den Fachkräftemangel nicht beheben können.»

Die Umsetzung hierzulande dürfte nicht einfach sein.

Bei der Integration dieser potenziellen Arbeitskräfte gibt es in der Praxis noch viele Fragezeichen. Gleichzeitig ist das eine Chance für die Schweiz oder Schweizer Unternehmen, sich als fortschrittliches Einwanderungsland mit einem exzellenten Angebot zu positionieren und so die besten Fachkräfte aus Afrika anzulocken. Wir müssen umdenken: Zuwanderer aus Afrika waren für uns früher vor allem Flüchtlinge. Jetzt sind sie Arbeitskräfte und bald womöglich Fachkräfte.

Könnte man auch die Pensen von Teilzeitarbeitenden erhöhen, statt auf Zuwanderung zu setzen? Zum Beispiel beim Lehrerberuf?

Ohne Zuwanderung müssten wir mehr und länger arbeiten. Aber das ist schwer umzusetzen, denn man kann die Leute nicht zwingen, mehr zu arbeiten. Würde man im Lehrerberuf die Teilzeitpensen abschaffen, bestünde das Risiko, dass dann niemand mehr Lehrerin oder Lehrer werden möchte. Der Trend geht in Richtung Teilzeit, was übrigens auch eine Versinnbildlichung von grösserer Verhandlungsmacht seitens der Arbeitnehmenden ist. Viele Arbeitgeber sind schon heute mit der Frage konfrontiert, ob sie jemanden im Teilzeitpensum einstellen wollen oder niemanden finden.

Zuwanderung oder mehr arbeiten – sind das die beiden Optionen? Man könnte die Ansprüche an den eigenen Wohlstand reduzieren.

Weniger Wachstum und Wohlstand wäre die logische Konsequenz, wenn wir den Fachkräftemangel nicht beheben können. Das lässt sich den Leuten aber nur schwer verkaufen. Man geht immer davon aus, dass es der nächsten Generation besser ergeht als der vorhergehenden. Dass Eltern eines Tages ihren Kindern sagen müssen: «Euch wird es schlechter gehen als uns», das ist hart, aber vielleicht wird das Realität. Wie viele andere entwickelte Länder hat auch die Schweiz über Jahrzehnte von vorteilhaften demografischen Bedingungen profitiert. Nun weht aber ein demografischer Gegenwind. Es gäbe noch die Möglichkeit, die Produktivität zu erhöhen, um die kommenden Probleme abzufedern.

«Im Jahr 2050 wird jede vierte Person in der Schweiz über 65 sein.»

Die Leute müssen härter arbeiten?

Nein, das meine ich nicht, sondern: Wir nutzen Hilfsmittel wie Roboter oder künstliche Intelligenz (KI), die uns Arbeitsschritte abnehmen oder erleichtern. In der Pflege werden bereits Exoskelette verwendet, um schwere Menschen zu heben – somit wird der Beruf physisch etwas einfacher. KI ist jetzt schon besser darin, Röntgenbilder und MRIs auszuwerten, als Ärztinnen und Ärzte. Hier liegt viel Potenzial.

Kommen die Probleme nicht schneller auf uns zu, als die technologische Entwicklung voranschreitet?

Das stimmt, Innovationen brauchen Zeit und können nur Schritt für Schritt ausgeschöpft werden. Wenn die Unternehmen leiden, suchen sie zwar schneller nach Alternativen, doch der demografische Wandel ist trotzdem schneller.

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Wird unsere Lebenserwartung weiter steigen auf 90 oder 100 Jahre?

Ja, aber das bedeutet nicht unbedingt, dass Menschen, die heute 90 werden, plötzlich 120 werden. Die aktuelle Forschung deutet darauf hin, dass die Lebensalter immer näher zusammenrücken, je älter eine Gesellschaft wird. Es werden also immer weniger Menschen früh sterben. Die Wahrscheinlichkeit, dass man 90 wird, wird deutlich zunehmen, aber nicht unbedingt die Wahrscheinlichkeit, dass man 100 wird. In der Forschung nennt man das auch «Kompression der Sterblichkeit». Das hat man übrigens auch bei den Primaten beobachtet.

Wenn die Gesellschaft allgemein immer älter wird, wird sie auch konservativer?

Dass die Alten viel konservativer sind als die Jungen, ist ein Trugschluss. Es zeigt sich in diversen Befragungen, dass die Wertunterschiede zwischen Generationen sehr klein sind. Unterschiede sind bezüglich Einkommen, Bildungshintergrund und Region (Stadt/Land) viel grösser als beim Alter. Was allerdings stimmt: Junge haben andere Schwerpunktthemen als ältere. So sind zukunftsweisende Themen wie Umweltschutz den Jungen viel wichtiger als den Alten. Der politische Aktivismus der Jungen ist daher bedeutsam, damit solche Themen in der politischen Diskussion vertreten sind.

Wie sieht die Schweiz im Jahr 2050 aus?

Jede vierte Person in der Schweiz wird über 65 sein und jede zehnte über 80. Heute ist jede fünfte Person über 65 und jede zwanzigste über 80. In anderen Ländern mit einer ähnlichen Demografie sehen wir, dass Dörfer oder ganze Städte aussterben. In Japan werden bis 2030 knapp 5 Prozent aller Gemeinden keine Einwohner mehr haben! Solche Geisterstädte sind auch hierzulande vorstellbar.

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