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Wieso die Bahnhofsuhr jede Minute stehen bleibt

Pünktlich, elegant und beruhigend: Die Uhr von Elektroingenieur Hans Hilfiker. Foto: Petra Orosz (Keystone)

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Die Schweizer Bahnhofsuhren bleiben regelmässig stehen. Das ist eine ihrer grossen Stärken. Zu den weiteren Qualitäten gehören das schlichte Design und das gut zu lesende Ziffernblatt sowie ihre Robustheit.

Vor 75 Jahren hat der Elektroingenieur und Gestalter Hans Hilfiker (1901 bis 1993), seinerzeit bei den Schweizerischen Bundesbahnen (SBB) angestellt, diese stilprägende Uhr entworfen. Hilfiker ist ein Pionier des Industriedesigns in der Schweiz, der seine Gestaltungsmaximen nie aus der Kunst abgeleitet hat, sondern immer aus den ingenieurtechnischen Erfordernissen. Für die Bahn hat er auch einen Bockkran entwickelt und Bahnsteigdächer. Seine Bahnhofsuhr ist längst zu einer Weltmarke geworden, ähnlich berühmt wie das Schweizer Taschenmesser – beides Meisterwerke in Gestaltung und Funktionalität gleichermassen.

Apple nutzt digitale Kopie

Ein für die SBB einträglicher Exportschlager: Auch die Uhren an deutschen Bahnhöfen beispielsweise orientieren sich in Aussehen und Funktionsweise an dem Schweizer Original. Sie haben nur statt der Kelle einen Ring am Ende des Sekundenzeigers, das ist die auffälligste Abweichung. Apple wiederum nutzt eine digitale Kopie der Uhr als Zeitanzeige auf den iPads. Anfangs, ohne die Rechte dafür eingeholt zu haben. 2012 einigten sich Apple und die Schweizer Bundesbahn schliesslich, die Lizenzgebühr soll sich auf rund 16 Millionen Euro (cirka 18 Millionen Franken) belaufen. Seit 1986 gibt es Armbanduhren im Design der SBB-Uhren. Wanduhren und Wecker folgten, 2007 schaffte es die Bahnhofsuhr auf Briefmarken der Schweizer Post.

Hilfiker wollte 1944, dass alle Bahnhofsuhren synchron laufen. Dafür benötigen sie den Impuls von einer Hauptuhr. Die Übertragung eines solchen Impulses hat in den 1940er-Jahren allerdings eineinhalb Sekunden gedauert: Er ist über Telefonkabel von der Hauptuhr im Stellwerk Zürich an alle Bahnhofsuhren in der Schweiz geschickt worden heute gibt es davon knapp 5000 Stück.

Die Bahnhofsuhr ist massgebend

Als Hilfiker der Uhr den ursprünglich noch fehlenden, charakteristischen roten Sekundenzeiger mit der stilisierten Schaffnerkelle an der Spitze hinzugefügt hat, beschleunigte der Ingenieur diesen Zeiger. Er läuft seither in 58,5 Sekunden einmal um die Uhr, verharrt dann auf der Zwölf-Uhr-Position, bis der Zeitimpuls kommt und die nächste Minute anbricht. Technisch ist das inzwischen nicht mehr erforderlich, die Schweizer Bahnhofsuhren werden längst über Satellitensignale zehntelsekundengenau gesteuert, mitunter auch über Funksignale – diese kommen im Übrigen aus Frankfurt am Main.

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Doch es gilt nach wie vor, was Hans Hilfiker einst über die technisch notwendige kleine Rast des Sekundenzeigers gesagt hat: Unmittelbar vor der Abfahrt bringe sie «Ruhe in die letzte Minute und erleichtert eine pünktliche Zugabfertigung». Denn, so steht es in den Schweizer Fahrdienstvorschriften: «Für die Abfahrt des Zuges ist die Bahnhofsuhr massgebend.» Lokomotivführer müssen natürlich auf grüne Signale achten. Doch erst wenn die Bahnhofsuhr auch die korrekte Abfahrtszeit anzeigt, darf der Zug ausfahren. Gehen die Uhren in einem Bahnhof falsch, was aufgrund von Defekten schon vorgekommen ist, fahren die Züge eben zur falschen Zeit ab.

Solche Fehler sind allerdings äusserst selten. Die Bahnhofsuhr symbolisiert vielmehr die Effizienz der Bahn und damit des gesamten Landes. Auch wenn sich immer mehr Reisende heute über Apps, die Echtzeitinformationen versprechen, auf dem Laufenden halten lassen: Am verlässlichsten sind nach wie vor die Bahnhofsuhren, die die SBB von Anbeginn bei der Firma Moser-Baer im Emmental fertigen lassen. 20 Jahre hält ein Exemplar gewöhnlich Wind und Wetter stand, dann muss es ersetzt werden – ein geringer Verschleiss.

Thomas Mann formulierte Idee

Das Verharren des Sekundenzeigers suggeriert dem Reisenden ausserdem, dass er immer noch ein kleines bisschen Zeit hat. Seinen Kaffee noch austrinken, über den Bahnsteig zum richtigen Waggon gehen kann, statt rennen zu müssen. Thomas Mann hatte schon früh die Idee, eine Uhr möge doch auch mal innehalten.

Thomas Mann hat in seinem Roman «Der Zauberberg», der in der Schweiz spielt, bereits 20 Jahre vor Hans Hilfikers Erfindung die Idee formuliert, der Sekundenzeiger einer Uhr möge nach jeder Minute einen Augenblick anhalten, damit man sich der Zeit genauer bewusst werde. In dem Roman streiten die Hauptfigur Hans Castorp und sein Vetter Joachim Ziemssen über das Wesen der Zeit. Ziemssen beharrt auf ihrer objektiven Messbarkeit, Castorp insistiert auf ihrer individuellen Wahrnehmung.

Die Schweizer Bahnhofsuhr kombiniert beides: die präzise Bemessung und den gefühlten Verlauf der Zeit. Wobei sie den Reisenden, der zu ihr aufblickt, eben nicht hetzt, sondern ihm einen kleinen Puffer einräumt, der ihn mit Ruhe und Gelassenheit unterwegs sein lässt. Und sehenswert ist sie obendrein.