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Wenn Patienten ihr blutzuckersenkendes Medikament mit wählen dürfen, dürfte auch die Therapietreue steigen, meinen Experten.

© Getty Images / Tanja Ivanova

Behandlung von Diabetes: Verschiedene Medikamente auszuprobieren lohnt sich

Es gibt verschiedene Wirkstoffe, die den Blutzuckerspiegel senken. Sie wirken nicht bei allen gleich gut. Patienten den geeignetsten Kandidaten mit auswählen zu lassen, kann vorteilhaft sein.

Von Stefan Parsch, dpa

Bringt es Patienten mit chronischen Krankheiten Vorteile, wenn sie mehrere Medikamente eine Weile ausprobieren und sich dann für eines entscheiden können? Dieser Frage ist ein britisches Forschungsprojekt anhand blutzuckersenkender Wirkstoffe nachgegangen.

Die Patienten entschieden sich dabei weit überwiegend für das Präparat, das ihren Blutzuckerspiegel am besten senkte und das die wenigsten Nebenwirkungen hatte, wie die Gruppe um Beverley Shields von der University of Exeter (Großbritannien) in der Fachzeitschrift „Nature Medicine“ berichtet. Die Gewichtszunahme habe hingegen eine untergeordnete Rolle gespielt.

Als ich das dritte Medikament einnahm, fühlte ich mich vom ersten Moment an anders – ich hatte mehr Energie und ich wusste, dass es das richtige Medikament für mich war.

Studienteilnehmer Tim Keehner

„Die richtige Behandlung von Diabetes ist von grundlegender Bedeutung, um die besten Ergebnisse zu erzielen und eine gute Lebensqualität zu erhalten“, erklärt Shields. Sie und ihre Kollegen fanden zwischen November 2016 und Januar 2020 mehr als 500 Patienten, bei denen Diabetes mellitus Typ 2 diagnostiziert worden war, die sich an ihrer Untersuchung beteiligten. Von 457 Teilnehmern lagen schließlich vollständige Daten zu drei Wirkstoffen und der Bevorzugung eines Präparates vor.

Pioglitazon, Sitagliptin oder Canagliflozin?

Pioglitazon, Sitagliptin und Canagliflozin sind Wirkstoffe, die den Blutzuckerspiegel von Diabetes-Patienten senken. Sie zeigen jedoch bei verschiedenen Menschen unterschiedliche Wirkungen. Die Studienteilnehmer nahmen einen Wirkstoff 16 Wochen lang ein, dann den zweiten ebenso lange Wochen, dann den dritten.

Die Wissenschaftler teilten die Patienten in sechs Gruppen ein, die die Medikamente jeweils in unterschiedlicher Reihenfolge einnahmen. Das sollte verhindern, dass sich Patienten häufiger für das erste oder das letzte Präparat entschieden. Am Ende bevorzugten 37 Prozent der Teilnehmer den ersten, 33 Prozent den zweiten und 30 Prozent den dritten der verabreichten Wirkstoffe.

Studienteilnehmer Tim Keehner berichtete, dass die ersten beiden Wirkstoffe bei ihm nicht anschlugen, eines seinen Zustand sogar verschlimmerte. „Als ich das dritte Medikament einnahm, fühlte ich mich zum Glück vom ersten Moment an anders – ich hatte mehr Energie und ich wusste, dass es das richtige Medikament für mich war“, sagte Keehner.

8,2
Millionen Menschen in Deutschland sind an Diabetes erkrankt.

Ohne ihre Blutzuckerwerte und ihre Gewichtsentwicklung während der Einnahme eines Wirkstoffs zu kennen, entschieden sich bereits 53 Prozent der Studienteilnehmer für den Wirkstoff, der ihren Blutzuckerspiegel am stärksten senkte. Nach Bekanntgabe der Werte bevorzugten sogar 70 Prozent das Medikament, das zum niedrigsten Blutzuckerwert führte.

Ein Gerät misst elektrochemisch die Blutzuckerkonzentration.
Ein Gerät misst elektrochemisch die Blutzuckerkonzentration.

© picture alliance / dpa

Nicht viel weniger, nämlich 67 Prozent der Teilnehmer, präferierten das Präparat mit den wenigsten Nebenwirkungen. Beispiele für Nebenwirkungen sind Unterzuckerung, Magen-Darm-Probleme, verstärkter Harndrang. Überrascht waren die Forscher hingegen, dass die Gewichtszunahme beim Einnehmen eines Wirkstoffs nur für 45 Prozent der Teilnehmer ein wichtiger Entscheidungsgrund war.

Auch die Therapietreue dürfte steigen, wenn die Patienten ein Medikament einnehmen, das sie selbst bevorzugen.

Baptist Gallwitz, Medizinprofessor am Universitätsklinikum Tübingen

In einer Befragung vor Beginn der Medikamentengabe hatten noch 86 Prozent der Teilnehmer angegeben, dass die Gewichtsentwicklung für sie wichtig sei. Die Forscher vermuten, dass nach dem Ausprobieren der Präparate die Blutzuckersenkung und geringe Nebenwirkungen dann doch bedeutsamer waren als das Gewicht, das auch nicht stark variierte.

Als eine sehr gut durchgeführte Studie bezeichnet Baptist Gallwitz die Untersuchung. Gallwitz ist Medizinprofessor am Universitätsklinikum Tübingen und Sprecher der Deutschen Diabetes Gesellschaft. Zwar sieht der Mediziner auch einige Einschränkungen der Studie, aber sie zeige klar, dass die Patientenpräferenzen positive Auswirkungen auf die Therapiegüte hätten.

„Auch die Therapietreue dürfte steigen, wenn die Patienten ein Medikament einnehmen, das sie selbst bevorzugen“, sagt Gallwitz. Er kann sich dieses Vorgehen auch bei anderen chronischen Krankheiten, etwa Bluthochdruck, vorstellen. Wichtig sei aber, dass der Patient damit einverstanden und sein Stoffwechsel stabil sei.

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